Sein Kabinett wusste nichts

Geheime Posten: Führte Australiens Ex-Premier Morrison mehrere Ministerien?

Scott Morrison, ehemaliger Premierminister von Australien, verteidigt sein Handeln. Die Ausnahmesituation der Corona-Pandemie habe es nötig gemacht.

Scott Morrison, ehemaliger Premierminister von Australien, verteidigt sein Handeln. Die Ausnahmesituation der Corona-Pandemie habe es nötig gemacht.

Eine ehemalige Ministerin hat bereits Scott Morrisons Rücktritt aus dem Parlament gefordert, der amtierende Premierminister Anthony Albanese will sich in der Angelegenheit mit dem Generalstaatsanwalt beraten. Australien ist mit einem handfesten Politskandal konfrontiert.

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Tatsächlich sind die Vorwürfe gegen den früheren Premierminister Scott Morrison schwer. Der liberalkonservative Politiker soll neben seiner Rolle als Regierungschef noch fünf weitere Ministerposten gehalten haben. Die zusätzliche Verantwortung für die Portfolios übernahm Morrison zwischen März 2020 und Mai 2021.

Dabei sollen einige der eigentlichen Minister darüber im Dunkeln gelassen worden sein. Auch sein Kabinett wusste über den ungewöhnlichen Schritt anscheinend nicht Bescheid. Neben seiner Position als Premierminister stand er teilweise den Ressorts Gesundheit und Finanzen vor. Außerdem war er gleichzeitig noch Innenminister und Schatzkanzler. Auch als Minister für Ressourcen fungierte er neben Keith Pitt. Letztere Befugnisse nutzte Morrison anscheinend, um eine umstrittene Lizenz für eine Erdölexploration zu blockieren, etwas das Pitt anders entscheiden wollte. Wieviel Einfluss er in den anderen Portfolios hatte, ist bisher nicht eindeutig geklärt.

Premier Anthony Albanese: Morrison hat das Parlament „irregeführt“

Der amtierende Premierminister Anthony Albanese, der mit seiner sozialdemokratischen Labor Party seit Mai an der Macht ist, warf Morrison vor, er habe mit dieser Aktion die für das Westminster-System entscheidenden Kontrollen und Gleichgewichte untergraben. Morrison habe „im Geheimen“ operiert, die australische Bevölkerung habe über die Machenschaften des Premierministers nicht Bescheid gewusst.

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„Er hat das Parlament irregeführt, wer welche Ressorts innehatte und wer dafür verantwortlich war“, sagte Albanese. Das sei ein Angriff auf das Westminster-System der parlamentarischen Demokratie gewesen. Das Ganze werfe aber nicht nur ein schlechtes Licht auf Morrison, „sondern auch auf seine Kabinettskollegen, die sich zurücklehnten und dies zugelassen haben“, wie Albanese vor Reportern sagte.

Morrisons Parteikollegin Karen Andrews fordert Rücktritt

Anne Twomey, eine Verfassungsrechtlerin der University of Sydney, schrieb in einer Analyse für das akademische Magazin „The Conversation“, dass es „unangemessen“ sei, solche Angelegenheiten zu verschweigen – insbesondere, wenn sie vor dem Kabinett und vor dem Minister, dem der Generalgouverneur formell die Verantwortung für ein Ressort übertragen hat, geheim gehalten werden. „Solch ein Mangel an Transparenz weist auf mangelnden Respekt gegenüber den Regierungsinstitutionen und der Öffentlichkeit hin, die ein Recht darauf hat, zu erfahren, wie Macht verteilt wird“, schrieb sie. In einem Interview mit dem staatlichen Sender ABC verglich die Juristin die Rechte, die sich Morrison herausnahm, eher mit denen eines Präsidenten als denen eines Premierministers.

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Die frühere Innenministerin Karen Andrews bestätigte am Dienstag, dass sie beispielsweise nicht gewusst habe, dass Morrison die Kontrolle über ihr Portfolio übernommen hatte. „Ich hatte absolut kein Wissen davon“, sagte sie. Sie sei weder vom Premierminister noch von seinem Büro informiert worden. „Das untergräbt die Integrität der Regierung“, meinte Andrews. Die frühere Ministerin forderte Morrison deswegen zum Rücktritt aus dem australischen Parlament auf. Morrison selbst verteidigte seine Handlungen in einem Radiointerview jedoch: Es seien rein „Schutzmaßnahmen“ und „die richtige Entscheidung“ während der Pandemie gewesen. „Das waren sehr unkonventionelle Zeiten“, meinte er.

Australien zu Beginn der Corona-Pandemie: Demokratie in der Warteschleife

Die aktuellen Erkenntnisse passen zum Pandemiemanagement der früheren australischen Regierung. Denn auch wenn die Jahre der Pandemie zweifelsohne ungewöhnliche Maßnahmen erforderten, so ging Australien doch mit einer für eine Demokratie ungewöhnlichen Härte vor: Geschlossene Grenzen nach außen wie teilweise auch zwischen den Bundesländern, drakonische Strafen für Pandemie-Fehltritte, lange und streng überwachte Lockdowns. Auch die Demokratie befand sich zeitweise in der Warteschleife: 2020 kam das Parlament in Canberra über Monate nicht zusammen.

Bill Bowtell, ein außerordentlicher Professor an der Universität von New South Wales und Berater für Gesundheitspolitik, nannte dies damals schon „inakzeptabel“. Die Regierung hätte einen Plan B ausarbeiten müssen. „Ist es wirklich wahr, dass es über die Fähigkeit des Parlaments hinausgeht, ein Zoom-Meeting wie alle anderen zu organisieren?“, fragte Bowtell damals gegenüber dem Onlinemedium „The New Daily“. Peter van Onselen, ein Professor für Politik an mehreren australischen Universitäten, schrieb damals in der Tageszeitung „The Australian“, dass die Entscheidung, das Parlament so lange zu schließen, der gesamten Grundlage des Westminster-Systems widerspreche. „Das Parlament operierte während beider Weltkriege weiter“, schrieb Onselen. „Es war während der Weltwirtschaftskrise und sogar während der spanischen Influenza von 1919 in Betrieb.“

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