Auschwitz war in der DDR erst spät ein Thema
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Tor im Konzentrationslager Buchenwald.
© Quelle: imago images/pictureteam
Berlin. Für Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, ist die Sache eindeutig. Auschwitz als zentraler Ort des Holocaust sei in der DDR „kein Thema“ gewesen, sagt sie. Stattdessen seien Juden bis in die 1980er-Jahre hinein selbst für ihr Schicksal verantwortlich gemacht worden. Man habe ihnen zur Last gelegt, dem anti-faschistischen Widerstand fern geblieben zu sein. Der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer stimmt dieser These tendenziell zu, betont aber: „Es gab nicht nur einen verordneten Antifaschismus in der DDR, es gab auch einen ehrlichen Antifaschismus, der aus der menschlichen Anrührung kam.“
In jedem Fall war das Gedenken an Auschwitz im Osten vor 1989 etwas anderes als im Westen.
Der Gründungsmythos der DDR war der eines anti-faschistischen Staates, der sich 1961 mit einem „anti-faschistischen Schutzwall“ umgab. Beim offiziellen Gedenken war der Widerstand der Kommunisten vorrangig. Zugleich galt die Bundesrepublik als Erbin des Nationalsozialismus. Mit dieser Begründung wiesen die SED-Oberen die Forderung nach Entschädigungszahlungen ab. „Von einer differenzierten oder gar persönlichen Auseinandersetzung, die auch die Anerkennung von Verantwortung einschloss, war die DDR weit entfernt“, sagt Kaminsky. „Man hat den Holocaust nicht als herausragendes Geschehen betrachtet.“ Am 8. Mai, dem Ende des Zweiten Weltkrieges, habe man den „Tag der Befreiung“ gefeiert, und am 1. September, dem Tag des deutschen Überfalls auf Polen, den „Weltfriedenstag“. Einen Holocaust-Gedenktag habe es nicht gegeben.
Aktion Sühnezeichen setzte andere Akzente
Im Gegenteil: Bereits kurz nach Gründung der DDR seien die wenigen überlebenden Juden in die Strudel des spätstalinistischen Antisemitismus geraten, so die Geschäftsführerin der Stiftung Aufarbeitung. Viele Juden seien aus der DDR geflohen, nachdem der Berliner Rabbiner Nathan Peter Levinsohn angesichts der Repressionen in der Sowjetunion und Ungarn dazu aufgerufen habe. Erst nach dem Tod Stalins 1953 sei die Verfolgungswelle abgeebbt. Die acht jüdischen Gemeinden in Ostdeutschland, die vor der Fluchtwelle rund 2600 eingeschriebene Mitglieder zählten, hätten fortan ein Schattendasein geführt. Am Ende der DDR hätten sie nur noch 380 Mitglieder gehabt. Hinzu kam, dass sich der Staat Israel aus Sicht der SED vom legitimen Staat der Juden zum „Kettenhund des amerikanischen Imperialismus“ (Jargon des SED-Parteiorgans „Neues Deutschland“) entwickelte.
Ohnehin stand als zentraler Gedenkort nicht Auschwitz im Mittelpunkt, sondern die Lager in Buchenwald hoch über Weimar mit dem mächtigen Denkmal des Sauerländers Fritz Cremer und Sachsenhausen. Den Obelisken in Sachsenhausen zierten lediglich rote Dreiecke. Allerdings stellt Schorlemmer fest: „Die Rote Armee hat Auschwitz befreit. Das darf man nicht vergessen.“ Überdies gab es von der verordneten DDR-Erinnerungskultur Ausnahmen.
Eine Ausnahme war wie so oft die Literatur. Schorlemmer erinnert an die als Buch veröffentlichten und 90.000 Mal verkauften Essays von Rudolf Hirsch, Jude und Kommunist, sowie Rosemarie Schuder mit dem Titel „Der gelbe Fleck. Wurzeln und Wirkungen des Judenhasses in der deutschen Geschichte“ – oder an den Roman aus der Feder von Bruno Apitz „Nackt unter Wölfen“. Darin geht es um einen polnischen Häftling, der im Frühjahr 1945 ein dreijähriges Kind nach Buchenwald einschmuggelt. Zwei andere Häftlinge verstecken es dort unter Gefahr für das eigene Leben.
Die Rote Armee hat Auschwitz befreit. Das darf man nicht vergessen.
Friedrich Schorlemmer
Pfarrer und Bürgerrechtler
Ebenso bekannt wie anrührend ist der Roman Jurek Beckers: „Jakob der Lügner“. Er erzählt die Geschichte des Juden Jakob Heym im Ghetto einer polnischen Stadt. Jakob behauptet, ein Radio zu besitzen, und erfindet nach einer ersten wahren Nachricht vom Näherrücken der Roten Armee weitere gute, aber fortan falsche Nachrichten, um die Hoffnung und damit die Bewohner des Ghettos am Leben zu erhalten. Der Roman wird in der DDR verfilmt.
Die zweite Ausnahme vom Grundsätzlichen waren – ebenfalls wie so oft – die Kirchen, insbesondere die protestantische Aktion Sühnezeichen (ASZ), die es sowohl in Ost- wie in Westdeutschland gab und die im Westen Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (ASF) hieß. ASZ sei es gelungen, unter kirchlichem Schutz für Versöhnung mit den Opfern des Nationalsozialismus einzutreten, sagt Anna Kaminsky. Zunächst ging das nur inoffiziell, in Gestalt von Fahrradtouren. Später fanden so genannte Sommerlager in Auschwitz und anderen ehemaligen Konzentrationslagern auf polnischem Boden statt. Dort kam es auch zu innerdeutschen Begegnungen von ASZ und ASF.
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Die Pfarrerstochter Hildegart Stellmacher war von 1969 an bei der ASZ und mehrmals in Auschwitz („weil ich’s wissen wollte“) – anfangs allein, dann einmal mit einer Gruppe junger Erwachsener. Sie sagt, Buchenwald und Auschwitz seien unterschiedliche Orte, und Auschwitz sei ein Ort der Unterdrückung der Juden gewesen. „In den Schulbüchern der DDR kam das Wort Juden kaum vor“, beklagt die 68-Jährige aus Dresden. „Das Thema war unterbelichtet.“ Dem wollte sie entgegen wirken.
Volkskammer bat 1990 um Entschuldigung
Die Geschäftsführerin der Bundestiftung Aufarbeitung, Anna Kaminsky, verweist schließlich darauf, dass sich der Umgang mit dem Holocaust in der ausgehenden DDR verändert habe. So habe die SED-Führung zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht 1988 einen wahren „Gedenkmarathon“ inszeniert. In den 1980er-Jahren wurde auch die Synagoge in der Oranienburger Straße restauriert. Staats- und Parteichef Erich Honecker wollte in die USA reisen und versprach sich davon Vorteile.
Ein grundlegender Wandel der offiziellen Erinnerungskultur trat indes erst nach dem Mauerfall ein. So fasste die erste frei gewählte Volkskammer 1990 rasch einen Beschluss. Darin bat sie „die Juden in aller Welt“ und „das Volk in Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigungen jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande“.
45 Jahre nach Kriegsende und kurz vor ihrer Auflösung kamen die historischen Tatsachen in der DDR zu ihrem Recht.