Auschwitz-Komitee: Justiz hat Aufklärung von NS-Verbrechen versäumt
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Christoph Heubner, Geschäftsführender Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, wirft der deutschen Justiz jahrelange Versäumnisse bei der Aufklärung von NS-Verbrechen vor.
© Quelle: dpa
Essen/Berlin. Das Internationale Auschwitz Komitee wirft der deutschen Justiz Versäumnisse bei der Aufklärung von NS-Verbrechen vor. Die deutsche Justiz habe jahrzehntelang versäumt, NS-Verbrecher zur Verantwortung ziehen, sagte der Geschäftsführende Vizepräsident Christoph Heubner den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe.
Zu wissen, dass die Täter aus den Lagern zumeist unbehelligt und ungefährdet ihr Leben hätten leben können, „ohne für ihre Untaten Rechenschaft vor einem deutschen Gericht ablegen zu müssen, hat die Überlebenden ihr ganzes Leben belastet“, sagte Heubner.
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Anlass für die Kritik des Komitees, das 1952 von Überlebenden des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau gegründet wurde, sind zwei aktuelle Anklagen. Beim Landgericht Itzehoe wird derzeit eine Anklage gegen eine 95-Jährige ehemalige Sekretärin des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig geprüft und beim Landgericht Neuruppin gegen einen 100-jährigen ehemaligen Wachmann des Lagers Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin.
„Dass dies erst jetzt geschieht, ist ein Versagen und ein Versäumnis der deutschen Justiz, das sich über Jahrzehnte erstreckt hat“, sagte Heubner.
“Die Überlebenden wollen Gerechtigkeit”
Mittlerweile habe sich in der deutschen Rechtsprechung die Auffassung durchgesetzt, dass jeder Mensch, der in „dem Mordsystem und Räderwerk“ eines deutschen Vernichtungslagers Dienst getan hat, auch mitverantwortlich sei für die „Demütigung, die Qual und die Ermordung der Häftlinge“. Zu diesem Räderwerk gehörten auch die angeklagte ehemalige Sekretärin und der angeklagte frühere Wachmann, sagte Heubner.
„Über den Schreibtisch der Sekretärin ging die Korrespondenz des Todes, sie hatte in ihrem Büro im Lager Stutthof nicht nur Einsicht in die Mordakten sondern vor ihr lag in Sichtweite von weniger als einhundert Metern das Eingangstor des Lagers und die Baracken. Jeder Wachmann in jedem Lager der Nazis war jederzeit und überall für die Häftlinge eine tödliche Gefahr: Er konnte sie töten, mit einem Spaten, mit einem Schuss, mit seinen Stiefeln.“
Die Überlebenden wollten Gerechtigkeit, betonte Heubner. Diese Prozesse seien noch immer wichtig, auch wenn mittlerweile die Täter und die überlebenden Opfer ein hohes Alter erreicht hätten. „Für die Überlebenden wirkt es fast bizarr, dass diese Prozesse in einer Zeit stattfinden, in der neue Nazis schon wieder zu Hass aufrufen und das verherrlichen, was in den Lagern geschehen ist.“
RND/epd