Augustputsch in Moskau vor 30 Jahren: ein Scheitern mit zitternden Händen
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Die Moskauer Bevölkerung leistet am 19. August 1991 Widerstand gegen einrollende Panzer der Roten Armee vor dem russischen Regierungsgebäude, dem „Weißen Haus“. Ein achtköpfiges „Notstandskomitee“, angeführt vom Vizepräsidenten Gennadi Janajew, übernahm am 19. August die Macht und stellte den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow in dessen Feriensitz auf der Krim unter Hausarrest.
© Quelle: Tass/dpa
Moskau. Er sollte die Sowjetunion als Staat retten, doch als der Augustputsch in Moskau vom 19. August 1991 zwei Tage später gescheitert war, bewirkte dieses Misslingen das genaue Gegenteil: Sehr schnell spalteten sich etliche Sowjetrepubliken wie Litauen, Lettland, Estland und Tadschikistan als eigenständige Staaten von der durch die Putschisten diskreditierten Union ab. Und schon am 21. Dezember 1991 war die Sowjetunion Geschichte. An dem Tag wurde sie durch die Alma-Ata-Deklaration aufgelöst.
Wäre der Putsch ausgeblieben, hätte die Sowjetunion hingegen in veränderter Form möglicherweise weiterhin existiert. Durch die Ergreifung der Macht wollten die Verschwörer den Reformkurs von Präsident Michail Gorbatschow stoppen und vor allem die Unterzeichnung der sogenannten Nowo-Ogarjowo-Verträge verhindern, die für den 20. August angesetzt war.
Diese von Gorbatschow neu ausgehandelten Unionsabmachungen sahen vor, aus den Sowjetrepubliken unabhängige Republiken in einer Föderation mit einem gemeinsamen Präsidenten, gemeinsamer Außenpolitik und gemeinsamen Streitkräften zu machen.
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Der damalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow (vorn links) verlässt mit seiner Frau Raissa (hinten rechts) eine Aeroflot-Maschine auf dem Moskauer Flughafen. Am Morgen des 19. Juli 1991 rollten Panzer durch die Stadt. Ein selbsternanntes „Staatskomitee für den Ausnahmezustand“ erklärte Präsident Michail Gorbatschow aus gesundheitlichen Gründen für abgesetzt.
© Quelle: ---/dpa
Den Putschisten unter Führung von Vizepräsident Gennadij Janajew ging diese Aufweichung der sowjetischen Zentralgewalt allerdings zu weit. Deswegen versuchten sie am Tag vor der Unterzeichnung, die Macht an sich zu reißen.
Figuren der Vergangenheit
Dabei wäre ohne den Staatsstreich ein großer Teil der Sowjetunion mit hoher Wahrscheinlichkeit als Staat erhalten geblieben, zumindest zunächst: Die baltischen Länder wären zwar nicht in der „Union Souveräner Staaten“ zu halten gewesen, die durch Nowo-Ogarjowo-Verträge gebildet werden sollte.
Bei einigen anderen Republiken wie Georgien, der Ukraine und Moldau war der Verbleib in der Union unklar, aber Russland, die zentralasiatischen Staaten und Belarus wären in der auf dieses Weise reformierten UdSSR geblieben.
Allerdings ist unklar, ob das als Dauerlösung funktioniert hätte. Denn die strukturellen Probleme, vor allem die Zweifel über die gerechte Verteilung von Mitteln in der Union, hätten fortbestanden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die „Union Souveräner Staaten“ ebenso wie die „Staatenunion von Serbien und Montenegro“ auseinandergefallen wäre, war hoch.
Allerdings darf auch bezweifelt werden, dass die Putschisten die Sowjetunion auf Dauer erhalten hätten, wenn ihr Staatsstreich erfolgreich verlaufen wäre. Denn sie waren Figuren der Vergangenheit: „Es war gar nicht klar, was sie eigentlich wollten“, sagt der Politologe Alexander Libman vom Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin. „Was wäre aus der UdSSR unter ihnen geworden? Das war vollkommen unklar.“
Keiner verkörperte den Wandel stärker als Boris Jelzin
Dass die Verschwörer den „Wind of Change“ der damaligen Zeit, die die Scorpions in ihrem berühmten Lied besingen, nicht gewachsen waren, zeigte sich allein schon an der Unentschlossenheit, die sie während des Putsches offenbarten. Berühmt ist die zögerliche Fernsehansprache, die Anführer Janajew ans Volk richtete und sich ihm dabei mit zitternden Händen präsentierte.
Dabei hätte er nach den alten Regeln der Sowjetunion keinen Grund zur Nervosität haben müssen. Denn die Putschisten hatten die mächtigsten Institutionen des Staats auf ihre Seite gebracht: das Verteidigungsministerium unter Dmitrij Jasow, das Innenministerium unter Boris Pugo und den KGB unter Wladimir Krjutschkow, die alle zu den Verschwörern zählten. Das Problem: Die alten Regeln galten nicht mehr, und das wussten die Putschisten.
Keiner verkörperte in diesen Augusttagen den Wandel stärker als Boris Jelzin, der zwei Monate zuvor zum Präsidenten der Russischen Teilrepublik gewählt worden war. Er bezog öffentlich Stellung gegen die Putschisten und verschanzte sich im Weißen Haus in Moskau, das von der Bevölkerung erfolgreich gegen Angriffe der mobilisierten Streitkräfte verteidigt wurde.
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Der damalige russische Präsident Boris Jelzin (3. v. l.) steht auf einem gepanzerten Fahrzeug vor dem Gebäude der Russischen Föderation, dem „Weißen Haus“, während Anhänger eine Flagge der Russischen Föderation halten. Der frühere sowjetische Präsident Gorbatschow wurde damals für amtsunfähig erklärt und isoliert. Panzer fuhren im Stadtzentrum von Moskau auf.
© Quelle: Diane Lu Hovasse/epa/dpa
Das Bild, das Jelzin zeigt, wie er vor Zehntausenden Demonstranten auf einen Panzer vor dem Weißen Haus steigt und die Soldaten bittet: „Werdet nicht zur blinden Waffe des verbrecherischen Willens von Abenteurern“, ging um die Welt. Und tatsächlich: Die Soldaten verweigerten sich dem Befehl, von Waffengewalt Gebrauch zu machen.
Der extrem machtbewusste Jelzin steigerte seine Popularität im Volk aufgrund seines beherzten Verhaltens beträchtlich, und das wurde zum Problem für Michail Gorbatschow. Der Präsident weilte während des Putsches auf einer Regierungsdatscha in Foros auf der Krim, wo er von den Verschwörern unter Hausarrest gestellt wurde.
Als der Spuk vorbei war, kehrte er nach Moskau zurück. Anstatt aber sofort zu den Demonstranten vor dem Weißen Haus zu eilen und mit der Menge den Sieg zu feiern, fuhr er nach Hause. Denn er wollte seine Frau Raissa nicht allein lassen, die von der Gefangennahme auf der Krim traumatisiert war.
Am Ende gelang es den Putschisten nicht, ihre Chance zu nutzen.
William Taubman,
Autor der Biografie „Gorbatschow: Der Mann und seine Zeit“
Politisch war das ein großer Fehler: In diesem Moment war Gorbatschow „populärer, als er je gewesen war und je wieder sein würde“, erinnerte sich später Galina Starowoitowa, eine führende Demokratin der damaligen Zeit. „Am Ende gelang es den Putschisten nicht, ihre Chance zu nutzen“, schreibt der Pulitzerpreisträger William Taubman in seiner Biografie „Gorbatschow: Der Mann und seine Zeit“ von 2017. „Aber auch Gorbatschow nutzte nach der Rückkehr seine Chance nicht.“ Noch im Dezember desselben Jahres dankte er als Präsident der Sowjetunion ab. Seine Macht war für immer verloren.