Aufschub oder nicht: So könnte es im Brexit-Drama weitergehen
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Das Parlament hat eine Entscheidung über den Brexit-Deal von Premierminister Johnson verschoben.
© Quelle: Kirsty Wigglesworth/AP/dpa
London/Brüssel. Das Brexit-Drama geht weiter: Das britische Unterhaus hat eine Brexit-Verlängerung erzwungen – und Premier Boris Johnson diese bei der EU beantragt. Aber wie geht es jetzt weiter in Großbritannien? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was ist am Wochenende geschehen?
Der britische Premier Boris Johnson ist daran gescheitert, den in Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal rechtzeitig durchs Parlament zu bringen. Die Abgeordneten stimmten stattdessen am Samstag für einen Änderungsantrag, nach dem Johnson zuerst ein Austrittsgesetz vorlegen muss, bevor das Parlament den Deal ratifiziert. Der 19. Oktober war jedoch der letztmögliche Zeitpunkt, um einen Austritt zum 31. Oktober zu beschließen. Daher sah sich Johnson gezwungen, beim Europäischen Rat eine Verlängerung um weitere drei Monate zu beantragen.
Britisches Parlament verschiebt Abstimmung über Brexit-Abkommen
Das britische Unterhaus verschiebt seine Abstimmung über das neue Brexit-Abkommen, Boris Johnson will aber am 31. Oktober als Ausstiegstermin festhalten.
© Quelle: AFP
Warum schickt Johnson zwei Briefe nach Brüssel?
Johnson versucht mit allen Tricks, Großbritannien doch noch zum 31. Oktober aus der EU zu lösen. Seine politische Zukunft hängt davon ab, dass er den Austritt hinbekommt, an dem seine Vorgängerin Theresa May gescheitert ist. In einem ersten Brief bittet er um die Verlängerung um drei Monate. Diesen Brief unterzeichnet er jedoch nicht.
In einem zweiten, diesmal unterschriebenen Brief wendet sich Johnson persönlich an EU-Ratspräsident Donald Tusk und weist darauf hin, dass ein weiterer Aufschub seiner Meinung nach den Interessen Großbritanniens und der EU schade. Er wolle „den Prozess zu einem Abschluss bringen“, schreibt der Premier.
Zudem liegt ein dritter Brief, ein Schreiben des britischen EU-Botschafters Tim Barrow, vor, der darauf hinweist, dass die britische Regierung „vom Gesetz her“ zu dem Antrag auf eine weitere Verlängerung verpflichtet ist.
Welche Wirkung hat das Briefchaos?
Keine außer Häme. Tusk gab postwendend auf Twitter bekannt, dass der Verlängerungsantrag eingegangen sei und die EU-Mitgliedsstaaten darüber beraten würden.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte der „Bild“-Zeitung, er sehe eine Verlängerung gelassen. „Eine gute und geordnete Lösung ist immer noch möglich, wenn Boris Johnson nun auf das Parlament zugeht und eine überparteiliche Lösung sucht. Wenn eine Verlängerung (der Brexit-Frist) um ein paar Wochen nötig ist, hätte ich damit kein Problem.“ Altmaier warnte zugleich davor, dass ein weiterer Machtpoker in Großbritannien Arbeitsplätze und Wohlstand gefährden würde.
Hat das Briefmanöver Folgen für Johnson?
Ja, denn er muss sich auf einen Rechtsstreit einrichten. Ein Gericht in Schottland beschäftigt sich bereits mit dem Fall. Dabei solle ab Montag geprüft werden „ob der Premierminister auf das Recht und die Versprechen gepfiffen hat, die er dem Gericht gegeben hat“, sagte die Unterhausabgeordnete der Schottischen Nationalpartei, Joanna Cherry. Das Gericht hat Johnson schon im September in die Schranken gewiesen, als er das Parlament in eine fünfwöchige Zwangspause schicken wollte.
Ist ein Austritt zum 31. Oktober vom Tisch?
Noch nicht, das glaubt zumindest Johnson. Er wird nun in den kommenden Tagen versuchen, die Austrittsgesetze durchs Parlament zu peitschen, auch wenn ihm dort die Mehrheit fehlt. Denn die nordirischen Unionisten von der DUP, Johnsons Koalitionspartner, sind abgesprungen, weil er im Deal mit Brüssel de facto einer Zollgrenze auf der Irischen See zugestimmt hat. Und ob alle 27 EU-Staaten einer Verlängerung zustimmen, ist ebenso fraglich. Deutschland ist zwar dafür, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aber kategorisch dagegen. Und auch Irlands Premier Leo Varadkar könnte befürchten, dass der mühsam bilateral ausgehandelte Deal jetzt wieder hinfällig wird.
Welche Optionen gibt es in der folgenden Woche?
Zwei Szenarien sind die wahrscheinlichsten: Entweder bekommt Johnson seinen Deal doch noch mit einer denkbar knappen Mehrheit durchs Parlament, dann könnte ein Austritt nach kurzer Verlängerung möglich sein und Johnson hätte seinen Kopf gerettet. Oder die Abgeordneten stellen sich gegen den Premier und setzen ein Misstrauensvotum auf die Tagesordnung. Um dies zu gewinnen, müsste Johnson alle schwankenden Parlamentarier überzeugen, ihn noch ein weiteres Mal zu unterstützen. In der kommenden Woche geht es also vor allem um das, was Boris Johnson am Wichtigsten ist: um ihn selbst.
Wann könnte erneut abgestimmt werden?
Vermutlich schon am Montagabend. Es scheine ausreichend Unterstützung im Unterhaus vorhanden zu sein, sagte der britische Außenminister Dominic Raab der BBC. Parlamentspräsident John Bercow will seine Entscheidung dazu am Montagnachmittag (gegen 16.30 Uhr MESZ) bekanntgeben, wie eine Sprecherin des Unterhauses der Deutschen Presse-Agentur sagte. Gibt er grünes Licht, könnten die Abgeordneten bereits am selben Tag abstimmen.
Ist ein zweites Referendum endgültig vom Tisch?
Nicht, wenn es nach der oppositionellen Labour-Partei geht. Jedes Austrittsabkommen solle in einem Referendum zur Abstimmung gestellt werden, sagte der Brexit-Sprecher der größten Oppositionspartei Keir Starmer am Sonntag der BBC. Das gelte besonders für den von Premierminister Boris Johnson ausgehandelten Vertrag. Als Alternative solle ein Verbleib in der EU auf dem Stimmzettel stehen. Würde ein zweites Referendum ermöglicht, könnte Labour Johnsons Deal zustimmen,sagte Starmer, Auch Hunderttausende Demonstranten haben am Wochenende eine neue Volksabstimmung verlangt.
RND/jps/dpa/AP