Attentat auf dem Breitscheidplatz: Was folgt der Untersuchung im Bundestag?

Im Dezember 2016 steuerte Anis Amri mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz.

Im Dezember 2016 steuerte Anis Amri mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz.

Berlin. Drei Jahre lang hat ein Untersuchungsausschuss des Bundestages den islamistischen Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz analysiert. Vertreter aller Fraktionen kamen in 132 Sitzungen zu insgesamt 450 Stunden Beweisaufnahme zusammen, hörten 147 Zeuginnen und Zeugen und legten einen 1873-seitigen Abschlussbericht vor. Der Prozess endete am Donnerstag mit einer Debatte im Plenum, an der auf der Tribüne auch mehrere Dutzend Opfer und Hinterbliebene teilnahmen.

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Was ist damals passiert?

Anis Amri, ein abgelehnter Asylbewerber aus Tunesien, erschoss am 19. Dezember 2016 mit einer Pistole einen polnischen Lastwagenfahrer. Mit dessen Fahrzeug raste er dann über den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, wo er weitere elf Menschen tötete und 170 teils schwer verletzte. Anschließend gelang dem Anhänger der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) die Flucht nach Italien, wo er bei einer Kontrolle von der Polizei erschossen wurde.

Was wissen wir nach der Untersuchung im Bundestag?

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Amri reiste am 6. Juli 2015 nach Deutschland ein, nachdem er zuvor mehrere Jahre lang in Italien im Gefängnis gesessen hatte. Amri war dann mit mehreren Dutzend falschen Identitäten in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Berlin unterwegs und wurde durch Sozialbetrug ebenso auffällig wie durch Drogendelikte und Kontakte zur islamistischen Szene. Zwar war er elfmal Thema im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ), in dem 40 Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern versammelt sind. Dennoch kam es zu dem Anschlag.

Im Untersuchungsausschuss herrscht Einigkeit, dass das nicht hätte passieren dürfen – und auch nicht müssen. Das GTAZ kam unter anderem aufgrund von Amris Drogengeschäften zu der Einschätzung, dass er ungefährlich sei. Deshalb wurde seine Überwachung im Herbst 2016 eingestellt. Der damalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen nannte Amri im Ausschuss rückblickend einen „reinen Polizeifall“.

Dem widerspricht die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic mit dem Hinweis, das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst sei schon frühzeitig an Amri dran gewesen. Der Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern, Reinhard Müller, musste zugeben, dass mehrfach Hinweise eines V-Manns zu Amri und dessen Verbindungen ins Berliner Clanmilieu nicht weiter gegeben wurden.

Was wissen wir nicht?

Unbekannt ist trotz umfangreicher Untersuchungen vieles. So bleibt im Dunkeln, woher Anis Amri die Waffe hatte, mit der er den polnischen Lkw-Fahrer erschoss. Unklar bleibt auch, wie er genau hat fliehen können. Es ist nicht einmal sicher, ob Amri im Anschlags-Lkw allein war. Denn das Universitäts-Klinikum Schleswig-Holstein hat DNA-Spuren in der Führerkabine des Lkw untersucht und dort auch DNA einer unbekannten Person gefunden.

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Was folgt aus all dem?

Die Abgeordneten glauben, dass es zwischen den Sicherheitsbehörden eine bessere Vernetzung und einen verbesserten Informationsaustausch geben muss. Der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser betonte am Donnerstag: „Es scheiterten nicht einzelne, es scheiterte eine Struktur.“

Seine Linken-Kollegin Martina Renner beklagte, dass Amri von V-Leuten umstellt gewesen sei, ohne dass dies etwas genutzt habe. Daher müsse man den Einsatz von V-Leuten grundsätzlich infrage stellen. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Stefan Keuter machte die Flüchtlingspolitik verantwortlich. „Die Politik der offenen Grenzen war ein historischer Fehler“, sagte er.

Immerhin: Manches hat sich bereits zum Positiven gewendet. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat einen neuen Ausweis für Asylbewerber eingeführt. Das Bundesinnenministerium sorgte dafür, dass die Ausländerbehörden und andere staatliche Stellen besser Informationen zu einzelnen Ausländern austauschen können. Zuvor hatte der Ausschuss des Bundestages festgestellt, dass nicht nur Anis Amri mit mehreren falschen Identitäten in Deutschland unterwegs war.

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Auch andere Islamisten aus seinem Umfeld – darunter sein Landsmann Bilal ben Ammar – hatten sich etliche Alias-Namen zugelegt. Bei der GTAZ-Arbeitsgruppe „Status“ wurden Veränderungen vorgenommen, damit die verschiedenen Behörden gemeinsam die Abschiebung von ausländischen Islamisten vorantreiben, denen die Polizei einen Terroranschlag zutraut.

Das neue Analysesystem Radar-ITE soll dazu beitragen, dass Polizisten jetzt nicht mehr vorrangig auf Sachverhalte schauen, sondern auch auf die Persönlichkeit von Islamisten, ihre Kontakte und ihre aktuelle Lebenssituation. Dem liegt nicht zuletzt die Einschätzung zugrunde, dass besonders von jenen Islamisten eine besondere Gefahr ausgeht, die ohnehin nichts mehr zu verlieren haben.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Sprecherin der Opfer und Hinterbliebenen, Astrid Passin, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) nach der Debatte: „Wir wollen wissen, welche Konsequenzen aus dem Fehlverhalten mancher Sicherheitsbehörden und der mangelnden Kooperation zwischen ihnen gezogen werden und wie man künftig damit umgeht.“

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der an der Sitzung teilnahm, ohne das Wort zu ergreifen, sagte dem RND dazu: „Wir werten den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses in der kommenden Woche aus. Und anschließend werden wir schauen, was notwendig ist. Das wird noch in dieser Legislaturperiode geschehen. Dafür sind wir da.“

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