Schwere Vorwürfe gegen Arolsen Archives

„Ein wirklicher Skandal“: Auschwitz-Komitee empört über Vorfälle im NS-Dokumentationszentrum

Ein Archivbild aus dem Dokumentationszentrum für NS-Verbrechen im hessischen Bad Arolsen.

Ein Archivbild aus dem Dokumentationszentrum für NS-Verbrechen im hessischen Bad Arolsen.

Berlin. Mit Empörung und der Forderung nach umgehender Aufklärung haben deutsche Kulturpolitiker auf die am Mittwoch bekanntgewordenen Vorwürfe gegen die Leitung des weltweit größten NS-Dokumentenzentrums Arolsen Archives mit Sitz im hessischen Bad Arolsen reagiert. Dabei geht es um Mobbing, Machtmissbrauch und Sexismus. Mehr als 25 aktive und ehemalige Mitarbeitende haben sich gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deuschland (RND) über die Direktorin Floriane Azoulay und den stellvertretenden Direktor, Steffen Baumheier, beklagt. Der Fall wird inzwischen von einer Berliner Anwaltskanzlei untersucht.

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Das Internationale Auschwitz-Komitee hat die Arbeitsbedingungen in den Arolsen Archives und das Verhalten des Direktoriums scharf kritisiert. Es handele sich um einen „wirklichen Skandal“, sagte dessen Vizepräsident, Christoph Heubner, gegenüber dem RND. „An einem Ort, an dem es eine Fürsorgepflicht gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus gibt, gibt es auch Fürsorgepflicht gegenüber denen, die dort gemeinsam arbeiten.“

Schwere Vorwürfe in den Arolsen Archives

Die Sonnenkönigin und der Bluthund

Die Arolsen Archives sind das größte NS-Dokumentationszentrum weltweit. Die Werte: Respekt, Vielfalt, Demokratie. Mitarbeiter jedoch berichten von einem Klima der Angst, von Mobbing und Zermürbung. Einblicke in eine Institution in der Krise.

Geschildertes Arbeitsklima der Arolsen Archives „völlig inakzeptabel“

Ein solches Arbeitsklima, wie es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arolsen Archives schildern, sei aus der Sicht der Überlebenden der deutschen Konzentrationslager „völlig inakzeptabel“, betonte Heubner. „Es gefährdet die Erinnerungsarbeit, die auch von dem Ruf lebt, dass sie im Umgang mit Menschen etwas gelernt hat.“ Die jetzt bekannt gewordenen Umstände konterkarierten das Ziel der Institution – „und stellen die gesamte Arbeit in Frage“.

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„Die Berichte und Schilderungen der Mitarbeitenden über die Arbeitsatmosphäre in den Arolsen Archives machen mich sehr betroffen“, sagte die kulturpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Anikó Glogowski-Merten, dem RND und fügte hinzu: „Es ist richtig und wichtig den Mut aufzubringen, auf Missstände aufmerksam zu machen.“

Die FDP-Politikerin sagte weiter, sie werde sich in ihrer Funktion immer dafür einsetzen, dass „Vielfalt, Respekt und Demokratie“, wie es die Arolsen Archives als Selbstverständnis propagieren, nicht nur öffentlich deklariert sondern auch hinter verschlossenen Türen gelebt werde. „Gerade an einem Ort, der die Folgen von Menschenhass aufarbeiten soll, ist es der einzig richtige Weg diese Reflexion auch selbst vorzuleben“, sagte Glogowski-Merten.

Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, müssten sie umgehend aufgeklärt und durch präventive Vorkehrungen für die Zukunft verhindert werden, damit sich solche Vorfälle keinesfalls wiederholen.

Antisemitismusbeauftragter Klein fordert Aufklärung der Vorwürfe

Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, sagte dem RND, es gelte, Schaden von einer hochangesehenen Institution abzuwenden, die auf nationaler und internationaler Ebene wichtige Arbeit in der Erinnerungskultur und im Kampf gegen Antisemitismus leistet. „Die Vorwürfe gegen die Führung der Arolsen Archives wiegen schwer und bedürfen unbedingt der Aufklärung“, sagte Klein und fügte hinzu: „Ich begrüße es, dass hierzu vom zuständigen Ausschuss erste Maßnahmen eingeleitet wurden. Selbstverständlich muss der Direktion die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden.“

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Christiane Schenderlein, Sprecher für Kultur und Medien der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sagte, die erhobenen Vorwürfe von Machtmissbrauch würden schwer wiegen und und könnten massive Auswirkungen auf den Arbeitsalltag der Mitarbeiterschaft haben. „Daher muss das Arbeitsverhältnis der Direktorin mit sofortiger Wirkung so lange ruhen, bis diese aufgeklärt sind“, sagte Schenderlein.

11.12.2018, Hessen, Bad Arolsen: Christian Groh, Leiter der Abteilung Archiv, blättert in einem Ordner an einem Aktenschrank im provisorischen Archiv des International Tracing Service (ITS). Der ITS ist ein Archiv und Dokumentationszentrum über NS-Verfolgung und die befreiten Überlebenden. (zu dpa «International Tracing Service ITS» vom 02.01.2019) Foto: Swen Pförtner/dpa

Kommentar zu Vorwürfen: Offenbar außer Kontrolle

Wenn Mitarbeitende einer öffentlich-rechtlichen Institution, die im besonderen Maße für Demokratie und Menschenrechte steht, der Führung Mobbing, Machtmissbrauch und Sexismus vorwerfen, ist das mehr als alarmierend. Es stellt sich im Fall der Arolsen Archives jedoch auch die Frage, wer für die Aufsicht Verantwortung trägt.

Mit Blick auf die Zuständigkeit von Kulturstaatsministerin Claudia Roth sagte Schenderlein, die Grünen-Politikerin ist aufgefordert, mehr als Briefe zu schreiben. „Die eingeleitete Untersuchung muss angesichts der geschilderten Dramatik nach zwei Monaten auch Ergebnisse liefern. Der Schwebezustand ist unhaltbar“, so die Unionspolitikerin.

Der kulturpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Helge Lindh, sagte, Kultureinrichtungen sollten Orte sein, an denen Kreativität, Zusammenarbeit und Respekt gefördert werden.

Es sei von größter Bedeutung, dass staatlich unterstützte Kultureinrichtungen wie das Arolsen Archives klare Richtlinien und Mechanismen zur Prävention und Bekämpfung von Machtmissbrauch einhalten. Man sehe hier eine zu starke Machtposition des Direktoriums und einen mangelnden Zugang der Mitarbeitenden zu einer zentralen Hinweisstelle.

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SPD-Politiker Lindh fordert Einrichtung einer Ad-hoc-Ombudsstelle

„Um den aktuellen Fall angemessen zu behandeln, ist es notwendig, eine Ad-hoc-Ombudsstelle einzurichten, um den Mitarbeitenden die Meldung weiterer Vorfälle zu erleichtern“, sagte Lindh und setzte fort: „Darüber hinaus bedarf es einer langfristigen Vertrauensstelle als Frühwarnsystem für die Mitarbeitenden des Archivs. In öffentlich geförderten Kultureinrichtungen sollten klare Vorgaben zur Einhaltung höchster Standards in Bezug auf Compliance, Transparenz und die Einrichtung einer Vertrauensstelle in den Förderbedingungen festgeschrieben sein.“

Dazu gehörten regelmäßige Schulungen für die Beschäftigten, eine Sensibilisierung für Missbrauchssignale sowie eine konsequente Durchsetzung von Verhaltenskodizes und Maßnahmen bei Fehlverhalten.

Die im Mai eingeleitete Untersuchung des Vorfalls wurde von dem aus elf Ländern bestehenden Internationalem Ausschuss (IA), dem Aufsichtsgremium der Arolsen Archives, in Auftrag gegeben. Nach Darstellung der Angestellten herrsche vor allem im wissenschaftlichen Bereich und auf der Führungsebene seit Amtsantritt von Direktorin Azoulay im Jahr 2016 eine „toxische Arbeitsatmosphäre“ aufgrund einer „Kultur der Angst“. Mehrere Personen berichteten von dauerhaften Angstzuständen, Schlafstörungen und Panikattacken.

Verhalten der Direktorin wird als „manipulativ“ und „narzistisch“ beschrieben

Das Verhalten der Direktorin wird als „manipulativ“ bis „narzisstisch“ beschrieben. Gleichzeitig berichteten Betroffene von unprofessionellem und übergriffigem bis sexistischem Verhalten des stellvertretenden Direktors Baumheier. Wutentbrannte Aussagen wie: „Die provoziere ich so lange, bis sie etwas Falsches sagt“ oder „Ich mache Dir das Leben zur Hölle!“ seien bei ihm üblich.

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Seit 2016 Leiterin der Arolsen Archives: Floriane Azoulay.

Seit 2016 Leiterin der Arolsen Archives: Floriane Azoulay.

Der amtierende Präsident des Internationalen Ausschusses, der französische Diplomat Nicolas Chibaeff, teilte dem RND mit, dass man sich „der Ernsthaftigkeit des Themas und der Notwendigkeit bewusst ist, die Vorwürfe mit der gebotenen Strenge und unter uneingeschränkter Achtung der Rechte jeder Partei zu klären“. Die PR-Chefin der Arolsen Archives, Anke Münster, teilte mit, die „anonym erhobenen Vorwürfe nehmen wir sehr ernst“. „Die Direktion ist gehalten, nicht zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, bis die laufende Untersuchung hierzu abgeschlossen ist.“

Die Arolsen Archives ist das Dokumentenzentrum für sämtliche Papiere, die die deutschen Nationalsozialisten von 1933 bis 1945 in Archiven, Personalakten, Unterlagen in Arbeits- und Vernichtungslagern, in Befehlen von SS oder Gestapo, in Krankenberichten und Protokollen medizinischer Versuche an Menschen hinterließen. Die Alliierten haben sie 1946 in Bad Arolsen zentral sammeln lassen.

In den 30 Millionen Dokumenten über Opfer des Holocaust tauchen die Namen von insgesamt 17,5 Millionen Menschen auf. Die Arolsen Archives, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Internationaler Suchdienst International Tracing Service ITS) für Überlebende der NS-Verfolgung und deren Suche nach Familienangehörigen begannen, gelten als bedeutendstes NS-Dokumentationszentren weltweit. Es steht für unerbittliche Aufarbeitung von Geschichte, demokratische Werte und Menschlichkeit.


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