Eskalation in Bergkarabach: Armenien ruft nach schweren Gefechten Kriegszustand aus
Das armenische Verteidigungsministerium teilte mit, das benachbarte Aserbaidschan habe zivile Siedlungen in der Region Bergkarabach angegriffen.
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Eriwan/Baku. Die Südkaukasusrepublik Armenien hat nach Gefechten mit Aserbaidschan in der Konfliktregion Bergkarabach das Kriegsrecht verhängt. Das teilte Regierungschef Nikol Paschinjan am Sonntag in Eriwan mit. Zuvor hatte Aserbaidschan eine Militäroperation gegen Bergkarabach angekündigt. Es soll zahlreiche Verletzte und rund zehn Tote unter den Soldaten in dem Südkaukasus-Gebiet geben. Es handelt sich um die schwerste Eskalation seit Jahrzehnten.
Paschinjan wertete die Gefechte mit dem verfeindeten Nachbarn als Kriegserklärung. “Das autoritäre Regime von Aliyev hat seine Feindseligkeiten wieder aufgenommen. Es hat dem armenischen Volk den Krieg erklärt”, sagte Paschinjan in einem Video, das er am Sonntag auf Facebook veröffentlichte. Unter der Regierung von Ilham Alijew habe Aserbaidschan mit schwerem Gerät Bergkarabach angegriffen. “Wir sind zu diesem Krieg bereit”, sagte der armenische Regierungschef.
Armenien hatte am Sonntagmorgen den Abschuss von zwei aserbaidschanischen Hubschraubern gemeldet. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums in Eriwan, Schuschan Stepanjan, sagte am Sonntag, zudem hätten armenische Truppen bei Kämpfen drei aserbaidschanische Panzer getroffen.
Die Behörden in Bergkarabach hatten überdies mitgeteilt, dass die Hauptstadt Stepanakert beschossen worden sei und die Menschen angewiesen, sich in Sicherheit zu bringen. Zahlreiche Häuser in Dörfern seien zerstört worden. Es soll auch Verletzte geben. Für die Region werde der Kriegszustand gelten. Alle einsatzfähigen Bewohner ab einem Alter von 18 Jahren sollten sich bereit machen, hieß es Agenturen zufolge.
Beide Seiten gaben einander die Schuld für die Gefechte. Der Beschuss habe am frühen Morgen von aserbaidschanischer Seite begonnen, schrieb der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan auf Facebook. “Die gesamte Verantwortung dafür hat die militär-politische Führung Aserbaidschans”, teilte die Sprecherin des Verteidigungsministeriums von Armenien mit. Eriwan habe Hubschrauber und Kampfdrohnen abgeschossen. Baku dementierte dies und betonte, es handele sich bei den Gefechten um eine Gegenoffensive an der Frontlinie. Armenien habe die Kämpfe provoziert.
Das Verteidigungsministerium Aserbaidschans teilte am Nachmittag mit, sieben Dörfer in Bergkarabach zurückerobert zu haben. Die Gebiete seien bei der Militäroperation am Sonntag von der armenischen Besatzung befreit worden, sagte Verteidigungsminister Zakir Hasanov aserbaidschanischen Medien zufolge am Sonntag in Baku. Demnach handelte es sich vor allem um Gebiete in den Regionen Füsuli und Dschabrayil. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew sprach von einer Militäroperation, die auf eine Verteidigung gegen Aggressionen aus Armenien angelegt sei.
“Die aserbaidschanische Armee führt gegenwärtig Schläge gegen die militärischen Stellungen des Gegners aus”, sagte Alijew in Baku. Der Militäreinsatz sei eine Reaktion auf die andauernden Provokationen aus Armenien.
Seit dem Ende des Krieges um Bergkarabach 1994 ist das überwiegend von Armeniern bewohnte Kaukasusgebiet unter armenischer Kontrolle. Beide Seiten haben entlang der entmilitarisierten Zone um die Exklave eine hohe Militärpräsenz aufgebaut.
Bereits im Juli kam es an der Grenze zwischen den verfeindeten Republiken zu schweren Gefechten; die Kämpfe lagen jedoch Hunderte Kilometer nördlich von Bergkarabach. Armenien setzt auf Russland als Schutzmacht, die dort Tausende Soldaten und Waffen stationiert hat.
Russland und EU rufen zu Ende der Gewalt auf
Das russische Außenministerium rief beide Seiten auf, das Feuer sofort einzustellen. Zudem sollten Baku und Eriwan Gespräche aufnehmen, um die Situation zu stabilisieren. Die benachbarte Türkei warf Armenien vor, internationales Recht zu verletzen. Das Außenministerium in Ankara teilte mit, es verurteile den “armenischen Angriff” scharf. Die Türkei stehe an Aserbaidschans Seite.
Auch EU-Ratschef Charles Michel und der Europarat forderten Armenien und Aserbaidschan dazu auf, die Gefechte sofort zu beenden. Michel zeigte sich in einem Tweet am Sonntag tief besorgt. “Um eine weitere Eskalation zu verhindern, müssen militärische Handlungen dringend aufhören.” Der einzige Ausweg sei die unverzügliche Rückkehr zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen.
Europarat-Generalsekretärin Marija Pejčinović Burić erklärte, beide Länder sollten Verantwortung übernehmen und Zurückhaltung üben. Die Kampfhandlungen sollten unverzüglich eingestellt werden. “Beim Beitritt zum Europarat haben sich beide Länder verpflichtet, den Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen, und diese Verpflichtung ist strikt einzuhalten.” Pejčinović Burić rief beide Seiten dazu auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Menschenleben zu schützen. “Es sollten keine Anstrengungen gescheut werden, um die Eskalation zu stoppen.”
Bundesaußenminister Heiko Maas schloss sich den Forderungen an. Er sei alarmiert über die erneuten, massiven Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern und Berichte über zivile Opfer auf beiden Seiten. “Ich rufe beide Konfliktparteien dazu auf, sämtliche Kampfhandlungen und insbesondere den Beschuss von Dörfern und Städten umgehend einzustellen”, betonte der SPD-Politiker am Sonntag nach Angaben seines Ministeriums in Berlin.
Auch Frankreich zeigte sich zutiefst besorgt über die anhaltenden Zusammenstöße in Bergkarabach und die Berichte über Opfer in der Zivilbevölkerung. “Frankreich fordert ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen und eine Wiederaufnahme des Dialogs”, erklärte das französische Außenministerium in Paris.
RND/dpa/AP