Antisemitismusbeauftragter fordert bundesweites Meldesystem
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Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, beantwortet während einer Pressekonferenz zum Thema "Entschlossenes Handeln gegen den neuen Antisemitismus in Deutschland", Fragen von Journalisten.
© Quelle: Wolfgang Kumm/dpa
Berlin. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, fordert ein dezentrales bundesweites Meldesystem für antisemitische Vorfälle. "Wir haben es heute mit einem neuen, neu erstarkten Antisemitismus zu tun", sagte er am Mittwoch in Berlin. Daher müssten überall in Deutschland Strukturen geschaffen werden, um Judenfeindlichkeit zu dokumentieren und Betroffenen zu helfen. Als Vorbild nannte Klein die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin). Hass auf Juden könne besser bekämpft werden, wenn er durch zusätzliche Daten erst mal sichtbarer gemacht werde.
Darüber hinaus setzt sich Klein nach eigenen Worten dafür ein, dass im Strafgesetzbuch der Paragraf 46 um antisemitische Motivationen erweitert wird. Der Paragraf gebe Richtern die Möglichkeit, Straftaten besonders scharf zu ahnden, wenn diese aus politischem Hass begangen würden. Bisher werden in den "Grundsätzen der Strafzumessung" lediglich "rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende" Beweggründe explizit genannt. Klein betonte, eine solche Gesetzesänderung wäre ein wichtiges Signal an die jüdische Gemeinschaft und auch eine Handlungsanleitung für Richter und Staatsanwälte. Er habe zu diesem Vorschlag von einigen Abgeordneten Zustimmung gehört - es gebe aber auch viel Widerstand.
Es bedürfe in Deutschland einer Kultur der staatlichen und gesellschaftlichen Sanktionierung von Antisemitismus, fügte der Beauftragte für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus hinzu, der seit Mai 2018 im Amt ist. Er verwies auf den Anschlag Anfang Oktober in Halle. Diese Tat sei ein "Einschnitt", nach dem die antisemitische Bedrohung von niemandem mehr ignoriert werden könne. Zwei Menschen seien getötet worden und die jüdische Gemeinschaft nur haarscharf einem Massaker entgangen.
Antisemitische Kontinuitäten
Die Tat stehe zugleich in einer "erschreckende Kontinuität", sagte Klein. Er erinnerte daran, dass bekannte und für die deutsche Kultur prägende Persönlichkeiten den Antisemitismus offen propagiert hätten. So habe Martin Luther mit Gewaltaufrufen gegen Juden gehetzt, Immanuel Kant die Euthanasie des Judentums gefordert und Martin Heidegger von einer "Verjudung" der Kultur und der Universitäten gesprochen.
Heute tue ein Bundesvorsitzender einer demokratisch gewählten Partei in einer öffentlichen Rede die Nazi-Terrorherrschaft als "Vogelschiss" der Geschichte ab, sagte Klein. Juden würden wieder auf offener Straße beschimpft, bespuckt und bedroht, in sozialen Medien werde völlig enthemmt gegen sie agitiert. Antisemitismus habe wieder einen beunruhigenden Höhepunkt erreicht.
Zentralrat der Juden sieht Fortschritte im Dialog mit Muslimen
Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat ebenfalls am Mittwoch eine positive Zwischenbilanz des jüdisch-muslimischen Dialogprojekts "Schalom Aleikum" gezogen. Seit gut sechs Monaten würden dazu Gesprächsrunden zwischen jüdischen und muslimischen Vertretern der Zivilgesellschaft veranstaltet, die gemeinsam über konkret bestehende Vorurteile diskutieren, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster in Berlin. Es handle sich um das erste bundesweite Projekt dieser Art.
Veranstaltungen mit bislang insgesamt fast 150 Teilnehmern gab es in Berlin, Würzburg, Leipzig und Osnabrück. Dabei trafen sich jüdische und muslimische Firmengründer, Eltern und ihre Kinder, Frauen und Senioren, um über Gemeinsamkeiten und Trennendes ins Gespräch zu kommen. Bis Ende des Jahres ist ein weiteres Treffen in Köln mit jüdischen und muslimischen Lehrkräften geplant. Zudem wollen sich Blogger in Berlin treffen, um über Online-Veröffentlichungen das Dialogprojekt bekannter zu machen.
"Es gibt Vorurteile - definitiv - und zwar auf beiden Seiten", sagte Schuster am Mittwoch. "Nicht nur, dass Muslime Vorurteile gegen Juden haben", fügte der Zentralratspräsident hinzu. Er wolle in keiner Weise negieren, "dass es auch Vorurteile auf jüdischer Seite gibt." Eine Gemeinsamkeit von vielen Juden und Muslimen in Deutschland sei, dass beide Gruppen "häufig ähnliche Erfahrungen von Ausgrenzung und Diskriminierung" machten.
Ins Leben gerufen worden war "Schalom Aleikum" von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Staatsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU).
RND/epd