Ampelkoalition: Das Aroma der Zitrusfrüchte

Volker Wissing, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Robert Habeck (von links) sind auf einem Selfie zu sehen, das Wissing am 28. September auf seinem Instagram-Account veröffentlicht hat.

Volker Wissing, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Robert Habeck (von links) sind auf einem Selfie zu sehen, das Wissing am 28. September auf seinem Instagram-Account veröffentlicht hat.

Berlin. Die SPD war noch im Rausch, die Union im Schock – da trafen sich diskret zwei Tage nach der Bundestagswahl FDP-Chef Christian Lindner, sein damaliger Generalsekretär Volker Wissing sowie die Vorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck. Das Selfie der abendlichen Zusammenkunft posteten die vier Beteiligten zeitgleich anderntags in den sozialen Netzwerken und ließen es dort millionenfach teilen. Die Reaktionen: Überraschung, Begeisterung, Kritik.

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Das Netz badete in Metaphern über die Zitruskoalition aus Limettengrün und Zitronengelb. „Saures für die SPD“, „wird uns noch sauer aufstoßen“, „Saftladen“, „Grüne handeln mit Zitronen“. Die Protagonisten jedenfalls hatten sich viel Mühe gegeben, Harmonie und Verschworenheit auszustrahlen. Sie waren auf dem Bild zusammengerückt, blickten entspannt in die Kamera, der FDP-Generalsekretär trug gar eine Lederjacke Modell „Grünen-Parteitag“.

Die Botschaft kam an: Hier stehen vier Leute bereit, miteinander vertraulich ins Geschäft zu kommen – auch wenn zwei von ihnen vom Südpol und zwei vom Nordpol kommen. Taktisch war dieses Treffen samt Foto ein gelungener Coup.

Inklusive Selfie bei Instagram: Grüne und FDP haben vorsondiert
HANDOUT - 28.09.2021, Berlin: Volker Wissing (l-r), FDP-Generalsekret��r, Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von B��ndnis 90/Die Gr��nen, Christian Lindner, FDP-Vorsitzender und Robert Habeck, Co-Bundesvorsitzender von B��ndnis 90/Die Gr��nen sind auf einem Selfie zu sehen, das FDP-Generalsekret��r Wissing am 28.09.2021 auf seinem Instagram-Account ver��ffentlicht hat. Die Spitzen von Gr��nen und FDP haben ��berraschend schon am Dienstag erste Vorgespr��che ��ber eine gemeinsame Regierungsbeteiligung gef��hrt. Foto: Volker Wissing/FDP/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung ��ber das Treffen und nur mit vollst��ndiger Nennung des vorstehenden Credits, Achtung bestm��gliche Qualit��t +++ dpa-Bildfunk +++

Sie sind zwei Zünglein an der Waage: Auf Grüne und FDP kommt es nach der Bundestagswahl an.

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Gemeinsam verfügen Grüne und FDP über mehr Stimmen im Bundestag als die SPD. Bei der mühsamen Suche nach Gemeinsamkeiten kam man überein, dass beide Parteien freiheitsorientiert sind. Wobei der Freiheitsbegriff dann doch ein sehr unterschiedlicher ist. Plakatives Beispiel: Freiheit bedeutet für die FDP kein Tempolimit auf den Autobahnen. Die Grünen sehen Freiheit auf Autobahnen, wenn diese frei von Raserei und am besten auch frei von Emissionen sind.

Wenn man ehrlich ist, eint Grüne und FDP auch, dass sie beide Wohlstandsparteien sind. Beide Parteien haben eine Wählerschaft mit einem überdurchschnittlichen Einkommen.

Der Honeymoon der Zitruskoalition ist vorbei

Das Foto führte auch den überraschten Sozialdemokraten vor Augen, dass die von Kanzler Gerhard Schröder geprägte Rollenaufteilung in der Regierung von Koch und Kellner nicht mehr funktionieren wird.

Der Honeymoon der Zitruskoalition ist vorbei. Der Schnappschuss aber gehört zum Fundament der Ampel. Die vertrauliche Begegnung der Spitzen von Grünen und Liberalen war der Start neuer Umgangsformen miteinander, denen sich auch die Sozialdemokraten anschlossen.

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Während in den 2017 gescheiterten Jamaika-Sondierungen alle hinter dem Rücken der anderen übereinander lästerten, drang bei diesen Verhandlungen nur wenig an die Öffentlichkeit. Was zu hören war, wurde stets mit diplomatischem oder gar therapeutischem Vokabular eingeleitet. Alle lobten einander – die jeweils andere Seite könne zuhören, und man müsse sich eben auch in die Welt des anderen versetzen.

Kurzum: Inzwischen sind SPD und Grüne der Meinung, dass Liberale nicht nur geldgierige Egoisten sind. Die Liberalen wiederum räumen ein, dass die Grünen nicht nur aus Ökospinnern bestehen und die SPD politisch noch mehr erreichen will, als mit Staatsknete um sich zu werfen. Dennoch wäre es keine Übertreibung, den jeweiligen Beziehungsstatus zwischen SPD, Grünen und FDP mit „Es ist kompliziert“ zu umschreiben.

Das Verhältnis zwischen Scholz und Lindner ist recht gut

Das Zitrusaroma, das noch über den Sondierungsgesprächen lag, verflüchtigte sich in den Koalitionsverhandlungen rasch. Die Grünen mussten ernüchtert feststellen, dass sie es gleich mit zwei strukturkonservativen Parteien zu tun haben, die bei der Energie- und Verkehrswende für den Klimaschutz keinen besonderen Ehrgeiz an den Tag legen.

Ohnehin ist das Verhältnis von SPD-Kanzler Olaf Scholz und FDP-Chef Lindner recht gut. Schon zu Zeiten der großen Koalition hat sich der damalige Finanzminister Scholz gelegentlich beim damaligen Oppositionspolitiker Lindner gemeldet und einiges abgestimmt. So liegt Scholz eine Zusage der Liberalen vor, dass diese Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für eine zweite Amtszeit unterstützen werden.

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Nach dem Viererselfie galten vor allem Habeck und Lindner als die neue Machtachse einer Ampelkoalition. Sehr tragfähig ist diese Achse aber nicht geworden. Was waren diese beiden rhetorisch starken Männer im Wahlkampf und auch schon davor übereinander hergefallen. Gleich zum Auftakt der sonst wenig öffentlich geführten Koalitionsverhandlungen fochten sie ihren Streit um das Finanzministerium in dicken Schlagzeilen aus. Nun ist Habeck Klimaminister und Vizekanzler, und Lindner als Finanzminister der heimliche Vizekanzler. Der Zweikampf wird sicherlich immer wieder aufflackern.

Nach allem, was dann doch von hinter den Kulissen der Koalitionsverhandlungen berichtet wurde, nutzte Scholz die Chance, die ihm durch das Viererselfie zunächst verbaut schien. Er schaltete sich als Vermittler ein, ruhig, sachlich, zielorientiert. Er war geschickt genug, nicht zu sehr den Ampelchef raushängen zu lassen, sondern Konflikte aufzulösen. Dass er diese Rolle als Kanzler ausbauen und mit noch mehr Autorität ausfüllen wird, zeichnete sich schon rund um seine Wahl zum Kanzler ab.

Am Ende trotzen Grüne und FDP dem neuen Kanzler aber eine Regelung ab. Es ist eine Absicherung für die beiden kleineren Partner, dass sich Scholz immer wieder im Ampelbündnis wird erklären müssen: Der Koalitionsausschuss aus Partei-, Fraktions- und Regierungsspitzen soll künftig einmal pro Monat zusammenkommen. Während der großen Koalition trat dieses Gremium meistens erst zusammen, wenn sich die Parteien schon komplett verkantet hatten.

Nun soll alle vier Wochen über die „Leitlinien“ der gemeinsamen Politik gesprochen werden. Vor dem Hintergrund, dass die Verfassung dem Kanzler die Richtlinienkompetenz zuschreibt, ist das eine besonders hübsche Formulierung. Was ist wichtiger: Leitlinien oder Richtlinien und wo liegt eigentlich der Unterschied? Man wird es ausfechten müssen – nicht ausgeschlossen, dass es dann doch noch Saures gibt für Scholz von der Zitruskoalition.

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