Akte Pkw-Maut: Warum Scheuer es Ende 2018 so eilig hatte

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) muss bei der Aufarbeitung des Pkw-Maut-Desasters viele unbequeme Fragen beantworten.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) muss bei der Aufarbeitung des Pkw-Maut-Desasters viele unbequeme Fragen beantworten.

Berlin. Crunchtime – Andreas Scheuer mag dieses Wort. Der Bundesverkehrsminister hat lange Basketball gespielt. Und da steht der Begriff für die letzten Minuten einer eng geführten Partie. Crunchtime ist, wenn es darauf ankommt, wenn ein versteckter Trick ein Spiel entscheiden kann. So ähnlich wie bei der Pkw-Maut.

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Ende November 2018 herrschte große Nervosität im Bundesverkehrsministerium. Der Grund: Scheuers Beamte hatten bis dahin nur ein einziges finales Angebot für die Erhebung der Infrastrukturabgabe vorliegen, wie das gescheiterte CSU-Projekt genannt wurde. Das Problem: Das ‪am 17. Oktober vom Konsortium „Paspagon“, bestehend aus den Firmen Kapsch TrafficCom AG und der Eventim AG, eingereichte Gebot belief sich auf mehr als 3 Milliarden Euro.

Ein Minister unter Zeitdruck

Tatsächlich hatte der Haushaltsausschuss des Bundestages lediglich 2,08 Milliarden Euro genehmigt. Es ergebe sich „ein fehlender Betrag von circa 1,067 Milliarden Euro, der zum Vertragsabschluss Erhebung auf Basis des vorgelegten Angebots benötigt würde“, notierten die Beamten der zuständigen Abteilung des Verkehrsministeriums.

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Der Minister geriet unter Zeitdruck. Die Verpflichtungsermächtigung, also das „Go“ des Bundestages zur Finanzierung des Maut-Betreibervertrages, wäre zum Jahresende ausgelaufen. Und jetzt diese Finanzlücke.

Scheuers Fachleute empfahlen, „auf Arbeitsebene“ schon einmal die formale Begründung vorzubereiten, um beim Haushaltsausschuss das fehlende Geld zu beantragen. Das geht aus einem vertraulichen Ministeriumsvermerk hervor, der dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt. Die Beamten des Verkehrsministeriums mahnten nicht nur zur Eile, sondern rieten auch zu einem Chefgespräch mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Dies erscheine „in Anbetracht der Höhe des Fehlbetrags und des nur kurzen zeitlichen Vorlaufs als zweckmäßig“.

Doch Scheuer lehnte ab. Er wollte die Schlagzeile, dass die Maut teurer werde als geplant, unbedingt verhindern. Die Lösung: Ein fragwürdig-komplexer Deal mit den Bietern Kapsch und Eventim, der plötzlich in den Kostenrahmen passen sollte. Der Minister war hochzufrieden.

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Scheuers „Crunchtime“-Manöver-Entscheidungen sind der Grund dafür, dass er nun unter Druck steht wie nie. Unbedingt wollte er Ende vergangenen Jahres Lösungen finden und ging über alle Warnungen hinweg, europäische Richter könnten das umstrittene Projekt noch kippen. Fahrlässig sei das gewesen, sagen inzwischen selbst Parteifreunde, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand. Im Juni 2019 stoppte der Europäische Gerichtshof die Maut schließlich.

Lesen Sie auch: Rechnungshof nimmt Maut-Krisenmanagement unter die Lupe

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Scheuer droht nun ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Jeder Zeuge wäre bei einer Befragung durch die Abgeordneten wie vor Gericht zur Wahrheit verpflichtet. Längst verhandeln Grüne, FDP und Linksfraktion über den Untersuchungsauftrag und stehen dabei kurz vor einer Einigung. Es geht nicht mehr darum, ob das Gremium eingesetzt wird, sondern nur noch darum, wie genau bei der Aufklärung des Pkw-Maut-Desasters vorgegangen wird.

Scheuers „Transparenzoffensive“

Dutzende Ordner mit vertraulichen Unterlagen hat der Verkehrsminister den Abgeordneten zur Verfügung gestellt – es war der Versuch, einen Untersuchungsausschuss in letzter Minute noch zu verhindern. „Transparenzoffensive" nennt Scheuer das. Wer sich in die Dokumente vertieft, bekommt einen Eindruck, mit welchen Kniffen gearbeitet wurde, um den Kostenrahmen zu halten:

  • So einigte sich das Verkehrsministerium mit dem Bewerberkonsortium unter anderem auf „variable Vergütungen“. Dabei geht es um Geld für die Behandlung von Ausnahmen, Härtefällen und Widersprüchen in Zusammenhang mit der Pkw-Maut. Zunächst sollten 500.000 dieser Vorgänge mit einem fixen Betrag vergütet werden. Dieser wurde schließlich auf 250.000 gesenkt.
  • Und es gab eine weitere Änderung, mit der das kalkulierte Ausgabenvolumen zumindest auf dem Papier gesenkt wurde. „Die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitsabläufe des Betreibers ermöglicht Kosteneinsparungen, insbesondere im Bereich an Abgabenpflichtige zu versendende Schreiben“, heißt es in einem Ministeriumsvermerk. Außerdem kalkulierte man eine mögliche Umsatzsteuerbefreiung anfallender Portokosten ein.
  • Der nächste Kniff: Den künftigen Pkw-Maut-Betreibern wurde zugesichert, für die Zahlung der Abgabe die Lkw-Maut-Terminals von Toll Collect nutzen zu dürfen – zu vergünstigten Konditionen. So seien erhebliche Synergieeffekte zu realisieren, freute man sich im Verkehrsministerium.

Oppositionspolitiker halten dieses Vorgehen nach Sichtung der Akten für mehr als fragwürdig. „Andreas Scheuer hat den Bundestag und die Öffentlichkeit über die wahren Kosten der Pkw-Maut gezielt belogen“, sagte Grünen-Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler dem RND. „Ohne seine Täuschungsmanöver wären die Mautverträge teurer als die vom Haushalt genehmigten 2 Milliarden Euro geworden und Scheuer hätte das Projekt beerdigen müssen.“ Und für FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic steht fest: „Minister Scheuer hätte nach meiner Einschätzung den Bundestag über die ‚wesentliche Änderung‘ des Vergabeverfahrens informieren müssen und bei den Haushältern mehr Geld anfragen müssen.“

„Es war ein Fehler ..."

In der SPD ist die Bereitschaft, sich schützend vor den Minister zu stellen, nicht besonders ausgeprägt. Schließlich hat das Ganze eine Vorgeschichte. „Es war ein Fehler, dass Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer die Mautverträge vor dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs unterschrieben hat“, sagte Sören Bartol, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, dem RND. „Ich vermute, dass auch bei der Union inzwischen einige bereuen, dass sie nicht dem SPD-Vorschlag für ein Moratorium gefolgt sind. Heute muss der Bundesverkehrsminister mit den Folgen leben und sich zu Recht unbequeme Fragen stellen lassen.“

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Unbequeme Fragen – das ist noch zurückhaltend formuliert.

Zu Scheuers Crunchtime gehörte es, dass der Milliardendeal für die Pkw-Maut noch am vorletzten Tag des Jahres bei einem siebenstündigen Notartermin besiegelt wurde. Nicht wenige vermuten, dass der heruntergerechnete Milliardendeal, der ohne eine Mitnutzung der Lkw-Maut-Terminals nicht denkbar gewesen wäre, der einzige Grund für die inzwischen erfolgte Verstaatlichung von Toll Collect gewesen sein könnte.

Als Scheuer Mitte Januar die Übernahme durch den Bund bestätigte, wirkte er noch wie ein Basketballer, der kurz vor Schluss den entscheidenden Dreier geworfen hat. Die Freude ist ihm vergangen.

Mehr lesen: Maut-Desaster: Scheuers teure Unterschrift

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