Afghanische Schulkinder geben nicht auf: „Mit jedem Wort, das wir lernen, besiegen wir die Taliban“

Das Bild zeigt ein afghanisches Mädchen vor einer Schultafel in der Provinz Kandahar 2017.

Das Bild zeigt ein afghanisches Mädchen vor einer Schultafel in der Provinz Kandahar 2017.

Kabul/Hannover. Mit der faktischen Machtübernahme der Taliban in Afghanistan geht vor allem bei jungen Mädchen die Angst um, dass sie bald nicht mehr zu Schule gehen dürfen. Viele Frauen befürchten die Beschneidung ihrer Rechte durch die radikalislamischen Kämpfer. Diese beteuern zwar wiederholt, Rechte von Frauen und Mädchen wahren zu wollen, solange sie sich mit der Scharia in Einklang bringen lassen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Man kann den Taliban nicht trauen“, sagt allerdings Marga Flader, Vorsitzende des Vereins zur Unterstützung von Schulen in Afghanistan: „Die Befürchtung ist da, dass Mädchen bald nur noch bis zu sechsten Klasse unterrichtet werden dürfen oder Eltern sie aus Angst oder Gehorsam vor den Taliban gar nicht mehr in die Schule schicken.“

Evakuierte aus Kabul nach Landung: „Jeden Tag wurde es schlimmer“
18.08.2021, Gro��britannien, Brize Norton: Britische Staatsangeh��rige und afghanische Evakuierte verlassen einen Flug aus Afghanistan in RAF Brize Norton. Foto: Christopher Furlong/PA Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Die ersten Ausgeflogenen sind in Frankfurt angekommen, sie berichten von dramatischen Szenen am Flughafen.

Flader ist seit 2003 Vorsitzende des Vereins, der vor allem im Norden Afghanistans Schulen unterstützt. Seit 1998 reist sie regelmäßig in das Land, zuletzt war sie im April 2019 dort. „Die schnelle Veränderung hat uns überrollt“, sagt sie zur Machtübernahme der Taliban binnen weniger Tage. „Gestern haben wir in einer Videokonferenz gesprochen. Die Leiterin der Frauenprojekte berichtete von einem Treffen, in dem alle Frauen geweint hätten. Sie haben die Hoffnung in die afghanische Regierung aufgegeben und wissen jetzt, dass sie sich den neuen Regeln anpassen müssen. Im Moment sind alle traurig, viele wollen weg.”

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Der Unterricht darf fortgeführt werden“

Die Schulen des Vereins haben die Taliban bislang verschont. „Alle unsere Schulen stehen noch und sind in Ordnung“, sagt Fladler. Seit Jahren kümmert sie sich um die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern, um die Unterrichtsqualität in Afghanistan zu verbessern. Bislang auch mit Unterstützung der afghanischen Regierung. Die gibt es so jetzt nicht mehr, Taliban haben wichtige Stellen in allen Provinzen und Großstädten mit ihren Leuten neu besetzt. „Unser Direktor hat mit den Taliban verhandelt. Der Unterricht darf fortgeführt werden“, sagt Flader.

Nun sei es daran, sich vor dem Ende der Sommerferien darum zu kümmern, dass zu Schulbeginn alle Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Angestellte der Projektpartner vom Verein zur Unterstützung von Schulen in Afghanistan in Sicherheit arbeiten könnten – unter neuen Voraussetzungen.

„Vorbereitende Treffen finden jetzt getrennt zwischen Männern und Frauen statt. Früher hat die Zusammenarbeit aller immer sehr gut funktioniert. Das ist jetzt leider erst einmal vorbei“, sagt die Vereinsvorsitzende: „In Mazar-i-Sharif sind die Taliban seit Samstag. Dort gibt es bereits einen neuen Schulrat. Es gibt bereits konkrete Anweisungen an Schulleiterinnen und Schulleiter, die Schülerinnen und Schüler geschlechtergetrennt zu unterrichten. Das gilt ab der vierten Klasse auch für die Lehrkräfte. Gerade in Großstädten gibt es dafür zu wenig Lehrer.“ Außerdem habe der neue Schulrat, der durch die Taliban berufen wurde, bereits einen neuen Lehrplan nach islamischen Vorschriften angekündigt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Viele unserer Schüler waren so glücklich zu lernen“

Auch die Afghaninnen und Afghanen, die den Schulverein von Flader unterstützen, hoffen auf eine Möglichkeit zur Ausreise nach Deutschland. Viele hätten Angst, wüssten nicht, was ihnen drohe, wenn die Taliban sie finden und zuordnen könnten. Allerdings: Bisher gibt es noch keine Regelung, „ob auch Hilfskräfte von uns nach Deutschland gebracht werden können. Wir sind aber in Gesprächen.“

Ja, es sei ein Drama, wenn all die Hilfskräfte das Land nun verlassen würden und die Kinder zurückblieben, sagt Flader, doch Befürchtungen, dass ihre humanitäre Arbeit in Afghanistan enden könnte, hat sie nicht. „Wenn die Leute evakuiert werden, dann werden wir neue Mitarbeiter rekrutieren müssen. Wir haben in den letzten Jahren viele Menschen vor Ort ausgebildet, denen wir vertrauen, die wir kennen.“

Es soll weitergehen. Es sei nicht der erste Rückschlag für den Schulverein, der 1984 gegründet wurde und seitdem in Afghanistan aktiv ist, sagt Flader: „Viele unserer Schüler waren so glücklich zu lernen“ und das soll ihnen auch weiter ermöglicht werden. „Für die Schülerinnen und Schüler unseres Ausbildungszentrums wurde Unterrichtsmaterial kopiert und verteilt. Alle haben durch Whatsapp Kontakt zu den Lehrerinnen und Lehrern.“ Erst vor wenigen Tagen sagte ein junges Mädchen in Afghanistan zu Flader: „Mit jedem Wort, das wir lernen, besiegen wir die Taliban.“

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Top Themen

Deutschland
 
Sonstiges

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken