„Luftbrücke Kabul“: Grünen-Politiker Marquardt erhebt Vorwürfe gegen Bundesregierung
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Der Europa-Grünenpolitiker Erik Marquardt.
© Quelle: picture alliance/dpa
Berlin. „Wir haben einen Charterflieger für die Evakuierung!” Mit diesem Satz und einem dazugehörigen Video hatte der Grünen-Politiker Erik Marquardt Anfang vergangener Woche auf Twitter viel Aufsehen erregt. In dem Video sagte der Europaabgeordnete, dass gemeinsam mit anderen Organisationen sowie in Absprache mit der Bundesregierung ein privater Charterflieger organisiert worden sei, um gefährdete Menschen aus Afghanistan evakuieren zu können. Da es keine leicht zu organisierende und obendrein keine billige Operation sei, warb Marquardt zudem um Spenden für weitere Flieger. Die Initiative wurde als „Luftbrücke Kabul” bekannt.
Seither blieben die Details des Projekts allerdings weitgehend ein Geheimnis. Der Grünen-Politiker schrieb lediglich am Mittwoch auf Twitter: „Es gibt sehr viele Anfragen zu kabulluftbruecke.de. Aus Kapazitätsgründen und um nicht die Operation oder Menschen zu gefährden, veröffentlicht die Kabulluftbrücke momentan keine Informationen.”
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Am Sonntagmorgen meldete er sich dann erstmals wieder dazu zu Wort. Die Nachrichtensperre sei aufgehoben, schrieb er. „Es gibt viel zu erzählen. Manches, das ich mir vor einigen Tagen selbst noch nicht geglaubt hätte”, teilte er in einem weiteren Tweet mit.
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Weitere Schutzbedürftige aus Afghanistan gerettet
Am Nachmittag wurde dann bekannt, dass nach dem Ende der Bundeswehrflüge vor vier Tagen noch mehr als 300 weitere Schutzbedürftige aus Kabul ausgeflogen werden konnten. Darunter waren laut Bundesregierung etwa 140 Deutsche sowie Ortskräfte und Mitarbeiter eines Auftragsunternehmens des beendeten Nato-Einsatzes.
„Zeit” und „Spiegel” berichteten zudem, dass 189 Schutzbedürftige organisiert von der Rettungsinitiative Luftbrücke Kabul zum Flughafen gebracht und ausgeflogen wurden, darunter auch Mitarbeiter deutscher Medien. Fast zwei Tage lang hatten sie mit zunehmender Verzweiflung in Bussen ausgeharrt, bis sie schließlich in der Nacht von Samstag auf Sonntag doch noch von den Taliban auf den Airport gelassen wurden, berichtet ein Reporter der „Zeit”.
Erik Marquardt bestätigt die Rettung von zahlreichen Menschen gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Geretteten seien nach Doha in Katar gebracht worden, von wo aus sie nun wahrscheinlich nach Deutschland ausgeflogen werden sollen, erzählt er am Sonntagnachmittag, während er im Flugzeug sitzt. Einige der Personen würden für deutsche Medien arbeiten. Die Luftbrücke Kabul sei dabei dem Aufruf großer deutscher Medienhäuser gefolgt, ihre Mitarbeiter nicht im Stich zu lassen.
„Ich bin sehr glücklich, dass wir Menschen retten konnten. Und dass es trotz massiver Widerstände geklappt hat”, sagt er.
Marquardt zur Afghanistan-Politik: „massives Kopfschütteln”
Zugleich habe das Erlebte in den vergangenen Tagen bei ihm vor allem massives Kopfschütteln bewirkt. Er wirft der Bundesregierung vor, sie habe öffentlich den Eindruck erweckt, sie wolle so viele gefährdete Personen wie möglich evakuieren. Doch das Evakuieren habe nicht im Vordergrund gestanden. „Es wurden gar nicht die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen”, kritisiert der Politiker. „Viele wurden in dem falschen Glauben gelassen, sie könnten leicht evakuiert werden.” Dabei hätten die Krisenlisten des Auswärtigen Amtes mit den Namen schutzbedürftiger Menschen teilweise gar nicht am Gate vorgelegen. Auch seien die Listen nicht an die US-Einsatzkräfte vor Ort weitergegeben worden.
Taliban am Kabuler Flughafen: Stehen bereit um Gelände von den USA zu übernehmen
Die Taliban-Kämpfer haben ihre Präsenz um den Kabuler Flughafen erhöht. Im Prinzip stehen die radikalen Islamisten bereit, das Gelände von den USA zu übernehmen
© Quelle: Reuters
Auch die Initiative hatte der Bundesregierung zuvor fehlende Unterstützung und massive Widerstände gegen eine vorbereitete Evakuierung von Schutzbedürftigen vorgeworfen. „Mit immensem Aufwand konnten wir 18 gefährdete Ortskräfte aus Kabul in Sicherheit bringen. 18 Menschenleben, dabei hätten es Hunderte mehr sein können, wenn unsere Rettungsaktion nicht aktiv vom Auswärtigen Amt blockiert worden wäre”, teilte die Initiative am Sonntag in einer Erklärung mit.
Und weiter: „Für Hunderte Menschen hatten wir eine sichere Unterkunft, haben sie offiziell auf Listen des Auswärtigen Amtes registrieren und absegnen lassen, organisierten einen Bustransport über die katarische Botschaft und hätten Menschen innerhalb weniger Stunden an den Flughafen und auf unser Flugzeug bringen können.” Doch die Bundesregierung habe sich geweigert, eine E-Mail zu schreiben, um den Transport freizugeben.
Luftbrücke Kabul unterstellt Bundesregierung Eigennutz
Die Luftbrücke-Initiatoren erklärten zudem, das Erlebte mache sprachlos und wütend und zeige eine „bürokratische und politische Verhinderungstaktik”. Auch die versprochene Rückendeckung habe es nicht gegeben: „Öffentlich wurde behauptet, dass das Flugzeug erwünscht sei, doch nach der Landung vor Ort war klar: Unser Flugzeug sollte keine Menschen evakuieren. Als Portugal unser Evakuierungsangebot für ihre afghanischen Ortskräfte dankend annahm, versuchten deutsche Diplomaten offenbar zu erzwingen, dass das Flugzeug niemanden evakuiert.”
Die Initiative unterstellt der Bundesregierung, Eigennutz über Menschenleben gestellt zu haben. „Wir sollten nicht erfolgreicher sein als die Bundesregierung. Wir sollten scheitern, damit das Kartenhaus der Evakuierungsaktion der Bundesregierung nicht in sich zusammenfällt.” Sie schreiben zudem: „Nie hätten wir uns vorstellen können, dass Menschenleben nicht im Vordergrund stehen. Nie hätten wir gedacht, dass es den Zuständigen wichtiger ist, dass wir nicht erfolgreich sind, als Menschenleben zu evakuieren.”
Bundesregierung weist Vorwürfe zurück
Die Bundesregierung hatte die Vorwürfe am Sonntag zurückgewiesen und auf Chaos und Gefahren in Kabul sowie Blockaden an Kontrollstellen der Taliban verwiesen. Dadurch sei in den vergangenen Tagen der Zugang zum Flughafen erschwert worden. Freie Sitzplatzkapazitäten seien überdies nie der Engpass der Evakuierung gewesen, wohl aber der sichere Transport von Schutzbedürftigen zum Flughafen, hieß es mit Blick auf das Charterflugzeug gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Marquardt hält diese Argumentation für unterkomplex. Das Chaos am Flughafen sei vor allem dadurch entstanden, „dass viele den Eindruck hatten, sie stünden auf Listen” und deshalb zu den Gates geströmt seien, sagt er am Montag dem RND. Doch gerade wegen der bekannten Anschlagsgefahr „hätte man alles daran setzen müssen, dass die Leute da nicht hingehen”, beklagt der Politiker.
Abseits davon habe es andere Möglichkeiten gegeben, Busse der Initiative mit den zu evakuierenden Personen abzufertigen, sagt er. Katar habe darüber mit den Taliban verhandelt. „Das Auswärtige Amt hat aber verhindert, dass die Busse losfahren können. Es ist eine hochgradige Peinlichkeit, dass es immer noch behauptet, es habe nicht an Flugzeugen gemangelt. Die zu Evakuierenden haben keine Chance auf Zugang zu den Gates, wenn sie keinem konkreten Flugzeug zugeordnet werden”, sagt er.
Marquardt beklagt fehlenden Ansprechpartner beim Auswärtigen Amt
Auch er sagt, mit Katar sei bereits alles geklärt gewesen. Deren Botschaft habe lediglich erwartet, die mit ihnen abgesprochene Liste von zu evakuierenden Personen noch einmal vom Auswärtigen Amt per E-Mail zugeschickt, also bestätigt, zu bekommen. Doch vom Auswärtigen Amt sei nichts gekommen.
Es habe schlicht ein Ansprechpartner bei der Behörde gefehlt, sagt Marquardt. Und das mache ihn wütend. Es könne nicht sein, dass man bei zehn verschiedenen Stellen anrufe und am Ende keine zuständige Person genannt bekomme. „Es ist klar, dass bei den Amerikanern dann am Flughafen nicht Tag der offenen Tür ist.” Mit Blick auf das Auswärtige Amt sagt er: „Letztlich haben sie damit wahrscheinlich den Transport von 200 Personen verhindert.”
Auswärtiges Amt weist die Vorwürfe zurück
Das Auswärtige Amt reagierte am Montag noch einmal auf die massive Kritik. Es habe einen Ansprechpartner gegeben. Marquardt sage die „Unwahrheit”, erklärte ein Sprecher gegenüber dem RND. „Ein führender Mitarbeiter unseres Krisenreaktionszentrums war über den ganzen Zeitraum in ständigem Kontakt mit Herrn Marquardt.” Der Mitarbeiter soll auch autorisiert gewesen sein, alle notwendigen Entscheidungen zu treffen.
Die Darstellung, die Bundesregierung habe die Operation behindert, sei unbegründet, sagte zudem ein Sprecher des Außenamts bei einer Pressekonferenz in Berlin. „Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben die Initiative von Anfang an aktiv unterstützt”, betonte er.
Der Außenamtssprecher erklärte, Außenminister Heiko Maas (SPD) persönlich habe die private Initiative unterstützt. Die von der Aktion ausgewählten Menschen waren auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amts nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan höchst gefährdet. Daher habe das Haus die Rettungsaktion unterstützt.
Nach Darstellung des Sprechers hat Maas in einem Schreiben unter anderen an den katarischen Außenminister persönlich die Aufnahme der Schutzbedürftigen in Deutschland zugesagt. Zudem habe ein Ansprechpartner im Außenamt die Aktion begleitet. Als schließlich das Flugzeug in Kabul angekommen war, habe man zudem aus dem dort verbliebenen Kernteam der deutschen Botschaft, das die militärische Evakuierungsoperation begleitete, Personal abgezogen, um die private Initiative auf deren Bitte hin zu unterstützen.
Der Sprecher führte zudem aus, man habe die Initiative vor dem Flug nach Kabul davor gewarnt, dass es eventuell nicht gelingen könnte, die ausgewählten Personen zeitgerecht an den Flughafen zu bringen. Die Initiative sei dennoch nach Kabul geflogen. Ausgeflogen habe sie letztlich 18 Ortskräfte aus Portugal.
Nachdem Marquardt die Reaktion des Auswärtigen Amts sah, erneuerte er auf Instagram am Montagabend seine Vorwürfe. Gegenüber dem RND sagte er am Dienstag zudem zum Streit um einen Ansprechpartner, ihm sei es darum gegangen, dass es - um weniger Kommunikation zu haben - nicht eine feste Kontaktperson gegeben habe. Eine, bei der alle Informationen zu den unterschiedlichen Fragestellungen und Prozessen zusammenlaufen.
Klar ist, das Projekt dürfte alle Beteiligten viel Kraft gekostet haben. „Es war eine sehr anstrengende Aktion”, resümierte Marquardt zuvor. Man habe Tag und Nacht gearbeitet. „Es war ein langer, langer Weg.” Er äußere sich nun öffentlich, weil die Operation beendet und die beteiligten Menschen außer Gefahr seien.
Chartern des Fliegers kostete mehr als 250.000 Euro
Die Idee sei am 17. August entstanden – einen Tag nachdem die Bundeswehr mit ihrer Luftbrücke begann. Finanziert worden ist die Initiative vom Verein CivilFleet-Support e. V., der als juristische Person hinter den vielen verschiedenen Organisationen steht, die an dem Projekt beteiligt sind. Anders als in anderen Berichten kolportiert habe das Chartern des Fliegers mehr als 250.000 Euro gekostet, sagt Marquardt.
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Neben ihm spielten zudem die Filmemacherin Theresa Breuer und verschiedene Mitglieder der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch eine wichtige Rolle. Laut „Spiegel” gehören ferner IT-Experten, Journalisten, ein Luftfahrtspezialist und ein Angehöriger einer britischen Armee-Spezialeinheit der Gruppe an.
mit dpa/epd