Hilfe für die Taliban? Unter Bedingungen ja
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UN-Generalsekretär António Guterres am Montag bei der Afghanistan-Geberkonferenz in Genf.
© Quelle: Salvatore Di Nolfi/KEYSTONE/dpa
Berlin. Es ist gerade mal zehn Tage her, als in Deutschland darüber gestritten wurde, ob man dem radikalislamischen Talibanregime in Afghanistan eigentlich eine Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe in Aussicht stellen dürfe, wenn es bestimmte Bedingungen erfülle: zuallererst die Achtung von Menschen- und Frauenrechten sowie den Verzicht auf den Export von Terror.
Die jüngste Afghanistan-Geberkonferenz der Vereinten Nationen in Genf, bei der rund eine Milliarde US-Dollar zusammenkamen, lässt die Debatte in einem anderen Licht erscheinen. Die Frage ist letztlich nicht, ob geholfen wird, sondern wie und zu welchem Zweck.
Gewiss kann es einen Monat nach der erneuten Machtübernahme der Taliban nicht das Ziel sein, business as usual zu machen und das Regime anzuerkennen. Entsprechend hat Außenminister Heiko Maas (SPD) die Bedingungen des Westens in Genf mit Recht noch einmal umfassender formuliert.
So gehörten dazu auch, dass Menschen Afghanistan verlassen könnten und die Taliban eine inklusive Regierung bildeten. Vollverschleierte Frauen in Universitätshörsälen sind zum Beispiel keine gute Botschaft. Eine Regierung, die allein aus männlichen Taliban besteht, ist es ebenso wenig.
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Drohender Kollaps
Überdies scheint die Macht der Taliban keineswegs schon in Stein gemeißelt. Es gibt Demonstrationen gegen sie und Machtkämpfe zwischen ihnen. Es gärt am Hindukusch; das wird noch eine Weile so bleiben.
Allerdings hat UN-Generalsekretär António Guterres soeben vor einem finanziellen Kollaps Afghanistans gewarnt, weil dem Land etwas sehr Elementares fehle: Geld – „das Blut der Wirtschaft“ (Guterres). Entwicklungshilfeorganisationen äußern sich ähnlich. Da der internationale Bankenverkehr zusammengebrochen sei, könne man derzeit aus dem Ausland kein Geld nach Afghanistan überweisen, heißt es.
Die Staatsbank habe keinen Zugang zu Devisen, weil alle Devisen des Landes in den USA geparkt seien. Ohnehin gilt das Nettovermögen Afghanistans als überschaubar. Es soll sich um rund 10 Milliarden Dollar handeln, also gerade einmal das Zehnfache der in Genf eingesammelten Summe. Das ist praktisch nicht der Rede wert.
Es geht daher nicht nur darum, die akute Not der schätzungsweise noch 38 Millionen Menschen im Land zu lindern. Es geht auch darum, dafür zu sorgen, dass es dort nicht noch schlimmer wird, als es ohnehin schon ist. Darauf kann der Westen Einfluss nehmen – und sollte es tun.
Die Alternativen zu einem mindestens moderaten Talibanregime könnten nämlich durchaus schlimmer sein: ein Bürgerkrieg, der ökonomische Zusammenbruch Afghanistans oder neue Gewaltexzesse der Radikalislamisten, wie sie in den 1990er-Jahren an der Tagesordnung waren. Diese Alternativen würden, so Diplomaten, bewirken, was die Nachbarstaaten in Zentralasien und Europa wohl neben Terrorangriffen am meisten fürchten: eine abermalige Flüchtlingswelle.
Letztlich Realpolitik
UN-Generalsekretär Guterres sagte am Montag, die Taliban hätten jüngst Zusagen gemacht, die ermutigend seien – etwa was die Sicherheit für westliche Helfer betreffe. Außerdem hätten sie ein grundsätzliches Interesse daran, sich kooperativ zu verhalten.
Was der Portugiese nicht sagte: Der Westen hat ebenfalls ein Interesse an Kooperation. Ohnehin gibt es in der internationalen Politik kein Entweder-oder, sondern nur ein Sowohl-als-auch. Die Übergänge von Nothilfe zu Entwicklungshilfe sind fließend.
Die Konsequenz liegt aus Sicht der Bundesregierung und anderer westlicher Regierungen auf der Hand: Wenn die Taliban verlässlich gemäßigt und rational agieren, dann sollte Zusammenarbeit kein Tabu sein. Das ist Realpolitik – nicht mehr und nicht weniger.