Afghanistan-Desaster: wachsender Zorn in der Truppe
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Bundeswehrsoldaten bei der Evakuierungsmission für Deutsche und einheimische Ortskräfte am Flughafen von Taschkent in Usbekistan.
© Quelle: Marc Tessensohn/Bundeswehr/dpa
Berlin. Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Einsatzveteranen sprach zuletzt eine Warnung aus. „Die Stimmung unter den Veteranen ist grottenschlecht“, sagte Bernhard Drescher dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit Blick auf die verspätete Rettung von afghanischen Ortskräften der Bundeswehr und den folgenden Evakuierungseinsatz am Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul. Wenn das so weitergehe, dann drohe eine weitere Radikalisierung eines Teils der Soldaten – und zwar nach rechts außen.
Drescher ist mit seinem Unmut nicht allein. Das Ende des Afghanistan-Einsatzes und dessen konkrete Umstände machen in der Truppe manches kaputt.
Da ist der Abzug als solcher. Anders als viele Bürger halten ihn manche Soldaten für falsch und den 20-jährigen Einsatz auch im Nachhinein für keineswegs sinnlos. Für Kritik sorgte ferner, dass weder ein Regierungsvertreter noch irgendein Bundestagsabgeordneter auf dem Rollfeld stand, als Ende Juni die damals letzten Soldatinnen und Soldaten der Parlamentsarmee im niedersächsischen Wunstorf landeten.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) rechtfertigte dies damit, dass die Betroffenen so schnell wie möglich zu ihren Familien gewollt hätten. Überzeugt hat das damals nur wenige. Erst nach längerem Hin und Her fiel später die Entscheidung, die Soldaten mit einem Großen Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude zu ehren.
Der Umgang mit den Ortskräften und die Rettung von Menschen unter lebensgefährlichen Umständen löst zusätzliche Verbitterung aus. Die Afghanistan-Veteranin Dunja Neukam beklagte in den „Tagesthemen“ der ARD, dass jetzt erneut Soldaten nach Afghanistan entsandt worden seien, „um dort die Suppe auszulöffeln“. Sie fügte hinzu: „Ich bin wütend.“
Der ehemalige Soldat Wolfgang Bender sagte mit Blick auf die Ortskräfte: „Wenn man diese Menschen im Stich lässt, dann haben wir das Blut an den Händen.“ Es fiel das Wort Verrat.
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, berichtete von „viel Unverständnis“ und sah „das Band des Vertrauens“ zwischen den Streitkräften und der Politik „beschädigt“. Das alles ähnelt der Einschätzung des Veteranen-Verbandschefs Drescher, der betont hatte, die Vorgänge würden „hochemotional aufgenommen“, und erklärte: „Man verliert emotional eine Gruppe von Menschen, die für den Staat wichtig ist.“
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johann Wadephul, sieht das anders. „Die zuletzt in Kabul eingesetzten Soldaten sind einer immensen psychischen Belastung ausgesetzt“, sagte er dem RND. „Wenn man schutzsuchende Menschen dort abweisen muss, dann ist das schon hart.“
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© Quelle: AFP
Allerdings habe die Truppe zuletzt dreimal kurz hintereinander ihre Einsatzfähigkeit bewiesen: zuerst bei der Corona-Pandemie, dann bei der Flutkatastrophe und schließlich in Kabul. „Uns wird bewusst, was wir an der Bundeswehr haben“, so Wadephul. „Sie hat ihre existenzielle Bedeutung unter Beweis gestellt. Das ist gut für die Gesellschaft und die Soldaten. Denn es zeigt, dass ihr Dienst Sinn macht.“