Durchmarsch des radikalen Lagers

Beginnt in der AfD jetzt die Ära Chrupalla – oder die Ära Höcke?

So sieht er sich gern: AfD-Parteichef Tino Chrupalla zwischen seinen Mitstreiterinnen Mariana Harder-Kühnel, neue Parteivize (links), und Alice Weidel, neue Co-Bundesvorsitzende.

So sieht er sich gern: AfD-Parteichef Tino Chrupalla zwischen seinen Mitstreiterinnen Mariana Harder-Kühnel, neue Parteivize (links), und Alice Weidel, neue Co-Bundesvorsitzende.

Riesa. Am Schluss des dreitägigen Parteitagsmarathons war jeglicher Neuanfang bereits wieder zerstört. Im Streit wurde der Parteitag vorzeitig abgebrochen. Die AfD hatte von sich selbst genug. Der wiedergewählte Parteichef Tino Chrupalla appellierte noch, die Delegierten mögen „trotz der inhaltlichen Unterschiede“ ein Aufbruchssignal nach außen tragen. Die Partei hatte sich aber wieder einmal zerlegt.

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Anlass war eine Resolution zu Europa und Russland, eingebracht vom Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland und dem Thüringer Landeschef Björn Höcke. Die neue AfD-Chefin Alice Weidel forderte eine sprachliche und inhaltliche Überarbeitung des Papiers. Es seien sehr „unspezifische Sätze“ dabei, „die auch sehr wulstig klingen“, sagte sie. Der Bundestagsabgeordnete Thomas Seitz kritisierte, dass in dem Text „nicht ein Mal“ das Wort Krieg vorkomme und „völlig verharmlosend“ von einem Ukraine-Konflikt gesprochen werde. Solche Papiere brächten die Partei im Westen richtig in die Bredouille, sagte er.

Zwei Tage lang konnte die Partei so tun, als sei sie jetzt auf einem einheitlichen Kurs - stramm nach rechts, aber geordnet. Am Sonntag war alles wieder beim Alten.

24 Stunden vorher hatte alles noch trefflich ausgesehen für den 47-jährigen Sachsen Chrupalla. Er hatte einen Plan in die Tat umgesetzt Und der Plan sah den Durchmarsch seines Lagers in der AfD vor.

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AfD wählt Chrupalla und Weidel als Parteispitze

Die AfD-Fraktionschefs Tino Chrupalla und Alice Weidel sind zu gleichberechtigten Vorsitzenden der Partei gewählt worden.

Chrupalla spricht von „Aufbruch“

„Wir sind die Partei, die den Bürgern auf der Straße eine Stimme gibt“, sagte Chrupalla in seiner Bewerbungsrede. Er übte den erneuten Schulterschluss mit den Corona-Protestierenden des Winters – zusammen habe man „im Bundestag die Impfpflicht verhindert“. Er sei der „Bundessprecher der Basis“, sagte Chrupalla: „Wenn ich angegriffen werde, dann nur, weil die Basis zum Schweigen gebracht werden soll.“

Dennoch stimmten nur 53 Prozent für Chrupalla als Parteichef, 36 Prozent für seinen Gegenkandidaten Norbert Kleinwächter. 10 Prozent wollten keinen von beiden. „Gewählt ist gewählt“, sagte Chrupalla erleichtert.

Alice Weidel, die sich erst kurzfristig für eine Kandidatur für den gleichberechtigten zweiten Vorsitzendenposten bereit erklärt hatte, siegte eindeutiger: Sie setzte sich mit 67,3 Prozent gegen den Europa­abgeordneten Nicolaus Fest durch.

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Danach forderten beide einen Neuanfang für ihre Partei. Chrupalla sprach von einem „Aufbruch“. Ziel sei es, die Vergangenheit und den Streit hinter sich zu lassen, sagte er nach seiner Bestätigung im Amt und der Wahl Weidels sowie ihrer drei Stellvertreter. Alle drei, Stephan Brandner aus Thüringen, Peter Boehringer aus Bayern und Mariana Harder-Kühnel, stehen dem radikalen Lager nahe.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer linken Demonstration versammeln sich vor der Sachsen-Arena in Riesa. Etwa 300 protestierten gegen den dort stattfindenden Bundesparteitag der AfD.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer linken Demonstration versammeln sich vor der Sachsen-Arena in Riesa. Etwa 300 protestierten gegen den dort stattfindenden Bundesparteitag der AfD.

Im Vorfeld hatte der alte und neue Parteichef viel von „Hierarchie“ und „Führung“ gesprochen. Die AfD müsse mit einer Stimme sprechen, um wahrnehmbar zu sein. Auch Weidel forderte das und wurde auf dem Parteitag dafür bejubelt. Wie erfolgreich sie diese Forderungen in der notorisch unerzogenen AfD durchsetzen können, wird sich zeigen.

Seit 2019 ist Chrupalla Vorsitzender, seit dem Austritt von Jörg Meuthen im Januar leitete er die Partei allein. Auf das bundesweite Radar kam er 2017, weil er überraschend Michael Kretschmer in Görlitz das Direktmandat für den Bundestag abnahm. Parteigründer Alexander Gauland und Weidel förderten ihn. Doch erst jetzt könnte er zum unangefochtenen Parteichef werden, dem sprachliche Patzer und Hemdsärmeligkeit nachgesehen werden, weil er imstande ist, Netzwerke zu knüpfen und Mehrheiten zu schaffen.

Chrupallas Verbündeter und gleichzeitig größte Gefahr stand abseits und lächelte still. Der Thüringer Landeschef Björn Höcke beantragte erst erfolgreich eine Satzungsänderung, um eine Einzelspitze für die AfD zu beschließen, dann argumentierte er für eine doppelte Führung, da zurzeit niemand reif sei, die Partei allein zu leiten. So konnte Höcke die neuen Chefs Weidel und Chrupalla gleichzeitig stützen und beschädigen.

Der Parteitag in Riesa folgte einem Anführer – und es war nicht Chrupalla. Höckes enge Vertraute Christina Baum, eine Zahnärztin mit einer Rhetorik wie Wurzelbehandlungen, schaffte es in den erweiterten Vorstand. Und zum Verdruss der neuen Chefs wurde auch die rechtsextrem vernetzte Splittergewerkschaft „Zentrum Automobil“ von der Unvereinbarkeitsliste der AfD gestrichen. Und Höcke vertrat auch die Resolution, die einen „Ausgleich mit Russland“ forderte und die EU als „abgehobenes und dysfunktionales Gebilde“ bezeichnete. An diesem Text – und damit auch an der Person Höcke – zerschellte der Aufbruch der AfD.

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