Abschluss der Sondierungen: Die Ampel kann (wohl) kommen
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Verkündeten die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen: Robert Habeck (Grüne, v.l.), Annalena Baerbock (Grüne), Olaf Scholz (SPD), Christian Lindner (FDP), Norbert Walter-Borjans (SPD) und Saskia Esken (SPD)
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Berlin. Es war an Winfried Kretschmann, sich einer kleinen Indiskretion schuldig zu machen. Nein, eigentlich könne er zu dem Ergebnis der Sondierungen nichts sagen, erklärte Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident am Freitag beim Verlassen des Tagungsortes auf dem Berliner Messegelände.
Dann aber hielt der 73-Jährige einen Moment inne und fügte hinzu: „Lob, Preis und Ehre für meine Vorsitzenden. Sie haben gut verhandelt.“ Damit war schon vor Beginn der Pressekonferenz endgültig klar, dass die Gespräche über die Bildung einer Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP in reguläre Koalitionsverhandlungen überführt werden sollen.
Am Donnerstag voriger Woche sowie am vergangenen Montag, Dienstag und am Freitag hatten die Teams der drei Parteien stundenlang Gespräche geführt – zuletzt, wie man hörte, bis tief in die Nacht. Am Freitag stellten der vermutlich neunte Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, der Sozialdemokrat Olaf Scholz, sowie die Parteivorsitzenden von SPD, Grünen und FDP die Resultate eines insgesamt zwölfseitigen Sondierungspapiers vor. Dabei war von Erfolgen wie von Misserfolgen die Rede.
Ampelbündnis: Parteispitzen von SPD, Grünen und FDP wollen Koalitionsverhandlungen
Bevor tatsächlich über die erste Ampel-Koalition auf Bundesebene verhandelt wird, muss noch eine letzte Hürde genommen werden.
© Quelle: dpa
Grüne lassen Federn
Zunächst sprach Scholz. Er pries ein aus seiner Sicht „sehr gutes Ergebnis“ der Beratungen, rühmte die anstehende Modernisierung des Landes und mit dem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien das größte industrielle Sanierungsprojekt der letzten 100 Jahre. Der größte sichtbare Erfolg der SPD ist fraglos die vorgesehene Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde, die vor allem die FDP nie wollte. Wörtlich sagte der Regierungschef in spe: „Hier ist ein Aufbruch möglich.“
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock hob hervor, dass die drei Parteien gewillt seien, für klimagerechten Wohlstand zu sorgen, sagte jedoch auch, da sei eine Koalition im Entstehen, in der „jeder auch mal was gibt“. Ihr Co-Parteichef Robert Habeck nahm das Wort „Zumutungen“ in den Mund. Als solche gilt bei den Grünen der Verzicht auf ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen. Dafür soll der Ausstieg aus der Kohleverstromung „idealerweise schon bis 2030″ gelingen.
Apropos Zumutungen: SPD-Chef Norbert Walter-Borjans unterstrich, man sei nicht zuletzt „verantwortlich für die, die uns nicht gewählt haben“.
Keiner der Beteiligten an den sechs Mikrofonen, die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken eingeschlossen, sah indes wirklich zufrieden aus – mit Ausnahme des Partei- und Fraktionsvorsitzenden der FDP, Christian Lindner, also des Chefs jener Partei, die 2017 die Sondierungen für eine Jamaika-Koalition noch abrupt abgebrochen hatte und vier Jahre darauf bereit ist, in ein Bündnis einzutreten, das nicht vom Wunschpartner Union, sondern von der SPD geführt wird.
Keine Steuererhöhungen, keine Aufweichung der Schuldenbremse
Lindner lobte den neuen – sprich: vertraulichen – Stil der Gespräche und sah darin „eine Zäsur in der politischen Kultur Deutschlands“. Tatsächlich hatten alle Beteiligten ja acht Tage lang vollkommen dichtgehalten. Er vergaß zudem nicht, deutlich zu machen, dass es „klare finanzielle Leitplanken“ geben werde. So schließt das Sondierungspapier Steuererhöhungen aus und sieht Investitionen lediglich „im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse“ vor.
Abgesehen davon, dass der Ober-Liberale fröhlich schien, verbat er sich freilich Triumphgebärden und sagte vielmehr wie seine Mitrednerinnen und Mitredner, Koalitionen seien stets „ein Geben und Nehmen“, und „der große Gewinner“ werde „nicht eine Partei, sondern unser Land sein“. Detail am Rande: Lindner sah einen politischen „Möglichkeitsraum“, den man erweitern könne. Das ist ein Wort, das Habeck schon vor Längerem prägte.
Als der FDP-Vorsitzende in seine Limousine stieg, zeigte er sich optimistisch, dass der Rest auch noch klappt. „Ist was Neues“, sagte Lindner. „Mir hat‘s gefallen.“
Es ist nun an den Spitzengremien der drei Parteien – und im Fall der Grünen an einem Kleinen Parteitag –, das Ergebnis der Gespräche zu bewerten und den Weg für echte Verhandlungen zu ebnen. Das soll bis Montag geschehen. Mit einer neuen Regierung wird in Berlin bis Weihnachten gerechnet.