Andrea Nahles und Sigmar Gabriel: Zwei wie Feuer und Wasser
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Sigmar Gabriel und Andrea Nahles beim Dresdner Parteitag nach ihrer Wahl an die SPD-Spitze: In guten Phasen rauften sie sich irgendwie zusammen, in schlechten herrschte offener Krieg.
© Quelle: dpa
Berlin. Manche Zufälle sind so verrückt, dass sie fast schon wie Schicksal anmuten. Andrea Nahles und Sigmar Gabriel sind 2005 gemeinsam in den Bundestag eingezogen, haben 2009 gemeinsam die SPD-Führung übernommen, saßen ab 2013 gemeinsam in der Bundesregierung, und sie ziehen sich mit dem 1. November gemeinsam aus der Politik zurück.
Vielleicht ist es die Tragik dieser beiden Ausnahmepolitiker, dass ihre Gemeinsamkeiten immer nur biografischer Natur waren. Nahles und Gabriel stammen aus kleinen Verhältnissen, sie die Tochter eines Maurers, er der Sohn einer alleinerziehenden Krankenschwester. Bildungsaufsteiger sind sie beide. Von der Realschule arbeiten sie sich an die Spitze des Staates. Klassische SPD-Geschichten.
Damit allerdings enden die Gemeinsamkeiten der beiden Politiker, die die SPD in den vergangenen zehn Jahren geprägt haben wie niemand sonst neben ihnen.
Schon bei der politischen Sozialisation gehen die Wege auseinander. Nahles kommt über die SPD-Nachwuchsorganisation Jusos in die große Politik, Gabriel geht den Weg über den SPD-nahen Jugendverband Falken. Die Jusos hätten ja damals vor allem Marx gelesen und das Strippenziehen geübt, spottete er später. Er fuhr mit den Falken ins Zeltlager und zum internationalen Jugendaustausch nach Südfrankreich.
Die frühe Prägung macht die spätere Verständigung schwierig. Nach der schweren Wahlniederlage 2013 beschließen der damalige Umweltminister Gabriel und die damalige stellvertretende SPD-Chefin Nahles in einer Viererrunde mit Klaus Wowereit und Olaf Scholz, die Macht untereinander aufzuteilen. Gabriel wird Parteichef und Nahles seine Generalsekretärin.
Neun Landtagswahlen gewinnen sie in Folge - dann geht es bergab
Der Mann aus dem Harz und die Frau aus der Vulkaneifel werden ein Duo wie Feuer und Wasser. Das Verhältnis ist geprägt von Tiefen und tieferen Tiefen. In guten Phasen raufen sie sich irgendwie zusammen, in schlechten herrscht offener Krieg.
Dabei hätten sie sich eigentlich gut ergänzt, der impulsive Gabriel mit seinem Gespür für Stimmungen und dem Talent, ganze Parteitagshallen in Ekstase zu reden, und die disziplinierte Nahles, die eher strategisch vorgeht und deren Vernetzung in der SPD legendär ist. Doch sie fanden keine Arbeitsebene und keinen Weg zueinander.
Ihre Zeit an der SPD-Spitze gilt in der Rückschau als krisengeschüttelt – auch wegen der ständigen Querelen. Dabei feiern sie anfangs durchaus Erfolge. Neun Landtagswahlen gewinnt die SPD unter ihrer Führung nacheinander, auch in den Umfragen geht es zunächst bergauf. Doch die Imagewerte von beiden bleiben schlecht.
Gabriel nominiert vor der Bundestagswahl 2013 Peer Steinbrück als Kanzlerkandidat – einen Intimfeind von Nahles. Sie muss als Generalsekretärin den Wahlkampf organisieren. Was schief gehen kann, läuft in der Kampagne schief.
Nach der krachenden Wahlniederlage arrangieren sich Nahles und Gabriel wieder miteinander. Gemeinsam führen sie die SPD in die bei vielen Genossen so unbeliebte große Koalition. Nahles wird dieses Kunststück viereinhalb Jahre später noch einmal gelingen – dann aber ohne Gabriels Hilfe.
Nach der Regierungsbildung wird Andrea Nahles Arbeitsministerin – und erlebt die Zeit im Ministerium als Befreiung. „Endlich konnte ich zeigen, was ich drauf hatte, ohne dass mir ständig jemand dazwischengefunkt hat“, wird sie später einmal sagen. Das geht an die Adresse von Gabriel. Er wird Vizekanzler und Superminister für Wirtschaft und Energie. Seine Beliebtheitswerte aber bleiben schlecht.
Anfang 2017 schlägt Gabriel Martin Schulz als Kanzlerkandidaten vor und übergibt ihm den Parteivorsitz. Es ist der Anfang vom Ende seiner Karriere – trotz des folgenden kurzzeitigen Höhenflugs im Auswärtigen Amt.
Erst ganz am Schluss gibt es versöhnliche Worte - vermutlich zu spät
Weil Schulz nach der abermaligen Bildung der großen Koalition Anfang 2018 selbst Außenminister werden will, schiebt er den früheren Freund beiseite. Das Manöver misslingt zwar, doch Nahles und Olaf Scholz halten an der Entscheidung fest, Gabriel aus dem Kabinett zu befördern.
Der rächt sich danach mit regelmäßiger und laut vernehmbarer Kritik an der Parteiführung. An der dauernden Unruhe, die am Ende zum Sturz von Nahles geführt hat, hatte auch der Niedersachse seinen Anteil.
Erst zu seinem 60. Geburtstag kürzlich schägt Gabriel versöhnliche Töne an. „Ich fand es bitter, mit ansehen zu müssen, wie ein Engagement dieser Größe so enden konnte“, sagt er nun mit Blick auf Nahles. Er hätte diesen Satz genauso gut über sich selbst sagen können.
Beide haben es weit gebracht. Und trotzdem sind sie am Ende irgendwie unvollendet geblieben.