30 Jahre Einheit: Studie zeigt, wo Ost und West heute gleich sind - und wo nicht
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Eine neue Studie des Berlin-Instituts beleuchtet die Vielfalt des Einheitsprozesses in den letzten 30 Jahren.
© Quelle: imago images/imagebroker
Berlin. Dass Ost- und Westdeutschland auch Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung noch vieles trennt, galt lange als Mangel: Warum bloß wächst nicht zusammen, was doch zusammengehören soll? Diese Sicht weicht zunehmend einem neuen “Bewusstsein, das um die Unterschiede weiß, sie aber nicht ausschließlich als Mangel wahrnimmt”, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede zum 30. Jahrestages des Mauerfalls ausdrückte.
Diese Perspektive nimmt zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung eine Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung ein: Die Untersuchung mit dem Titel “Vielfalt der Einheit” zeigt anhand von 30 Themenfeldern, was das einst geteilte Deutschland noch trennt - und wo Ost und West inzwischen gleich ticken.
Die Bilanz: Trotz fortschreitender Angleichung bestehen noch immer Trennlinien, diese verlieren aber im Vergleich zu deutschlandweiten Unterschieden zwischen Stadt und Land oder zwischen strukturschwachen und prosperierenden Regionen an Gewicht.
Bei Kinderzahlen, Lebenserwartung oder auch Umzugsentscheidungen würden sich Ost und West kaum noch unterscheiden. Nach dem massiven Einbruch der Geburten in den 1990er-Jahren in den damals neuen Ländern habe sich die Kinderzahl je Frau inzwischen auf bundesweit 1,54 angeglichen. Auch die Abwanderung von Ost nach West sei seit 2014 gestoppt.
“Obwohl sich die demografischen Vorzeichen inzwischen angeglichen haben, hallt das Echo der demografischen Entwicklungen der Nachwendejahre nach”, erklärt Manuel Slupina, ein Autor der Studie. Während die West-Länder seit der Vereinigung um 5,4 Millionen Bewohner gewachsen seien, habe der Osten 2,2 Millionen verloren. Diese Entwicklung dürfte sich laut der Studie fortsetzen.
Ost-West-Unterschiede immer mehr überlagert
Zunehmend verlaufe die Trennlinie zwischen Wachsen und Schrumpfen aber nicht mehr nach Ost und West, sondern zwischen attraktiven Großstädten mit ihrem Umland und ländlichen Gebieten. “Trotz aller Erfolge im Einheitsprozess wirkt sich die ehemalige Teilung bis heute auf das Leben in Ost und West aus”, sagt Susanne Dähner, eine weitere Autorin der Studie. Bei Einkommen und Vermögen zeigten sich noch deutliche Unterschiede. So verfügen die Ostdeutschen im Schnitt über 14 Prozent weniger Einkommen.
Haushalte im Osten hätten bis heute gerade einmal die Hälfte des West-Durchschnitts angespart und investiert. Allerdings bestehe das eigentliche Einkommensgefälle heute zwischen wirtschaftlich erfolgreichen Regionen und jenen, die in einem harten Strukturwandel stecken: Noch zur Jahrtausendwende hätten die einkommensschwächsten Kreise ausschließlich in den neuen Ländern gelegen, inzwischen würden die Bewohner der Ruhrgebietsstädte Gelsenkirchen und Duisburg das niedrigste jährliche Einkommen erzielen.
“Wie weit die Einheit vorangeschritten ist, macht sich aber nicht allein an demografischen und ökonomischen Kennzahlen fest”, so Dähner weiter. “Daher beleuchten wir in der Studie insgesamt 30 Themen von Bildung, Gleichstellung, Mediennutzung über Konsumverhalten, sportliche und kulturelle Vorlieben bis hin zu Mobilität, Wohnen und Religion.”
Eine interessante Erkenntnis dabei: In manchen Bereichen ist auch der Westen dem Osten gefolgt - etwa bei der Erwerbsbeteiligung der Frauen oder der Abkehr von den beiden christlichen Kirchen.
Manche Entwicklungsschritte hätten Ost und West in den letzten 30 Jahren auch gemeinsam bestritten. So würden heute im Schnitt ein Drittel aller Schüler ein Abitur ablegen, Anfang der 90er-Jahre waren es im Osten nicht einmal ein Fünftel und im Westen ein Viertel. Letztlich hätten aber auch Vorlieben bis heute Bestand, die die Menschen noch zur Zeit der Teilung des Landes geprägt haben: Während in den ostdeutschen Sportvereinen bis heute häufiger Volleyball gespielt wird, ist unter Westdeutschen Tennis beliebter.
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Gefühlte Einheit noch nicht überall erreicht
Die Wahrnehmung der Unterschiede als Mangel gibt es freilich trotzdem: Weiterhin hätten vier von zehn Ostdeutschen das Gefühl, die Menschen im Osten seien Bürger zweiter Klasse. “So lange diese gefühlte Trennung und faktische Unterschiede noch existieren, müssen wir weiter über das Zusammenwachsen der beiden ehemaligen deutschen Staaten sprechen”, so Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts.