„Die Totengräber“: Wurden Senioren in französischen Heimen aus Profitgier vernachlässigt?
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Blick auf den Eingang eines Pflegeheims der Orpea-Gruppe in Paris.
© Quelle: Thibault Camus/AP/dpa
Paris. Wer einen Angehörigen oder eine Angehörige in einem Seniorenwohnheim der Orpea-Gruppe in Frankreich hat, dem läuft es kalt den Rücken hinunter bei der Lektüre des Buchs „Die Totengräber“ („Les Fossoyeurs“) des Investigativjournalisten Victor Castanet. Es ist in dieser Woche im französischen Verlag Fayard erschienen und hat einen Sturm der Entrüstung und eine Debatte über die würdige Betreuung älterer Menschen ausgelöst.
Die Orpea-Gruppe ist weltweiter Marktführer im Bereich der Pflege und Rehabilitation und betreibt insgesamt mehr als 1150 Einrichtungen in 23 Ländern. In Deutschland handelt es sich nach eigenen Worten um „einen der größten privaten Anbieter von Seniorenhäusern mit stationärer Pflege“.
In der 400 Seiten langen Untersuchung trug der Autor seine Recherchen zusammen, die er in dutzenden Orpea-Seniorenwohnheimen in ganz Frankreich gemacht hat. Innerhalb von fast drei Jahren führte er über 250 Gespräche, unter anderem mit Angehörigen von Bewohnerinnen und Bewohnern sowie ehemaligen Führungskräften, er las vertrauliche Berichte und interne Nachrichten. Sein Fazit: Aus Profitgier und einer „Obsession der Rentabilität“ heraus werde im „System Orpea“ die Vernachlässigung älterer Menschen bewusst in Kauf genommen. Man spare bei der Hygiene, der Betreuung und beim Essen. Das Personal befinde sich unter ständigem Druck. Dabei handele es sich mit einem Monatspreis zwischen 6500 und 12.000 Euro pro Person um verhältnismäßig teure Einrichtungen.
Regierung lädt Orpea-Generaldirektor vor
„Sobald ich in dieser Station angefangen hatte, merkte ich, dass etwas nicht stimmte“, wird die Pflegerin Saïda Boulahyane zitiert. „Es gab bereits am Eingang diesen furchtbaren Gestank nach Pisse.“ Die Patientinnen und Patienten seien nicht ausreichend gewechselt worden. Egal ob diese Durchfall hatten oder an Inkontinenz litten – mehr als drei Windeln am Tag gab es nicht.
Inzwischen hat sich die Regierung eingeschaltet. Die für Senioren zuständige beigeordnete Ministerin Brigitte Bourguignon hat Orpea-Generaldirektor Jean-Christophe Romersi am Dienstag vorgeladen, damit er zu den Vorwürfen Stellung nehme. Noch am Donnerstag begann eine Inspektion der Gesundheitsbehörden in einem der im Buch erwähnten Heime im Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine. Weitere könnten folgen.
Die Gruppe Orpea hat in einer Stellungnahme die Anschuldigungen als „lügnerisch, beleidigend und schädlich“ bezeichnet und zwei Kabinette damit beauftragt, eine unabhängige Untersuchung durchzuführen. Dem Journalisten Castanet zufolge hatte man ihm 15 Millionen Euro angeboten, wenn er sein Buchprojekt aufgebe. Dies anzunehmen sei ihm nicht einmal in den Sinn gekommen: „Das ist unmöglich, wenn man all diese Zeugenaussagen und all das Leid zusammengesammelt hat.“