Wegen Ausgangssperre in Ecuador: Bestatter lassen Corona-Tote auf Straße liegen

Passanten stehen in Quito in Ecuador vor einem Geschäft und tragen eine Maske als Vorsichtsmaßnahme vor dem Coronavirus.

Passanten stehen in Quito in Ecuador vor einem Geschäft und tragen eine Maske als Vorsichtsmaßnahme vor dem Coronavirus.

Daniel Larrea starb nach einer Woche mit hohem Fieber und Atemnot. Danach begann für seine Familie in Ecuador ein neuer Alptraum: Niemand in ihrer Stadt war bereit, den Leichnam abzuholen. “Wir haben ihn in schwarze Plastiktüten eingewickelt”, sagte Larreas Witwe Karina am Mittwoch, zwei Tage nach dem Tod ihres 42 Jahre alten Mannes. “Er ist hier im Wohnzimmer.”

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In ihrer Heimatstadt Guayaquil an der Pazifikküste weisen Krankenhäuser Patienten ab, und Leichen bleiben tagelang auf der Straße oder in Häusern liegen. Die ansonsten geschäftige 2,6-Millionen-Metropole ist zu einem Krisenherd der Corona-Pandemie in Lateinamerika geworden.Offiziell starben in dem kleinen südamerikanischen Land bislang 120 Menschen an dem Virus. Nach Angaben der Behörden könnten es aber Dutzende weitere sein, bei denen Covid-19 nie diagnostiziert wurde – wie Larrea, der alle Symptome hatte, aber nie getestet wurde. Landesweit wurden bis Samstag nach Zählung der Johns-Hopkins-Universität mehr als 3400 Fälle bestätigt, die wahre Zahl könnte nach Einschätzung von Ärzten mindestens fünf Mal so hoch sein.

Unzählige weitere Ecuadorianer sterben unterdessen an anderen Ursachen, weil sie in den überfüllten Krankenhäusern nicht behandelt werden können. Nicht nur das Gesundheitswesen ist überlastet, das gleiche gilt für Bestattungsunternehmen, Leichenschauhäuser und Friedhöfe. In sozialen Medien tauchten in den vergangenen Tagen makabre Bilder von Familien auf, die ihre toten Angehörigen zeigten und verzweifelt um die Abholung der in Plastik oder Stoff gehüllten Leichname baten. Das Fernsehen zeigte Aufnahmen von Leichen und Särgen, die auf Gehwegen zurückgelassen worden waren.

Lungenspezialistin: “Ähnliche Situation wie in Italien”

“Der Gestank ist grauenvoll”, sagt der 61-jährige Bestattungsunternehmer Merwin Teran aus Guayaquil. Er habe allein in einer Leichenhalle 50 Tote gesehen. Nach Angaben von Ärzten stehen in Ecuador nicht genügend Tests zur Verfügung. Damit fällt es schwerer, Infizierte zu identifizieren und zu isolieren, um die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen. Auch Krankenhausbetten und Beatmungsgeräte werden knapp. “Wir erleben hier eine ähnliche Situation wie in Italien”, sagt die Lungenspezialistin Mireya Rodas, die an einer Klinik in Guayaquil arbeitet und selbst positiv getestet wurde.

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Der erste Covid-19-Fall im Land war am 29. Februar gemeldet worden. Bei der Patientin handelte es sich um eine 71-jährige Frau, die von einer Spanien-Reise zurückgekehrt war. Ecuador war damit eines der ersten Länder in Lateinamerika, in dem die Krankheit bestätigt wurde.

Gesundheitsexperten befürchten, dass die dramatische Lage in Guayaquil nur ein Vorgeschmack sein könnte auf die Zustände, die die Region in den kommenden Wochen und Monaten erwarten. "Mehr Ansteckung, mehr Sterblichkeit", sagt Enrique Acosta vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock. "Beides ist eng miteinander verknüpft."

Acosta gehört zu einer Gruppe von Experten, die an Regierungen in Lateinamerika appellieren, rasch die Corona-Tests auszuweiten. Sie weisen darauf hin, dass Länder wie Singapur und Südkorea, in denen das Virus schneller eingedämmt werden konnte, in großem Umfang Tests durchgeführt haben. Bestatter Teran berichtet schon jetzt über verheerende Verhältnisse. Er habe am Dienstag einen Friedhof besucht, auf dem normalerweise 30 Menschen täglich beigesetzt werden. An diesem Tag seien aber 149 Tote noch nicht beerdigt oder feuerbestattet gewesen.

Viele seiner Kollegen hätten geschlossen, erzählt Teran. Das führe dazu, dass die übrigen Bestattungsinstitute Arbeiter ohne den nötigen Schutz losschicken müssten, um Leichname einzusammeln. Eine Abholung vor Ausstellung des Totenscheins sei verboten. Da viele Ärzte aber mit der Behandlung von Patienten beschäftigt seien, bilde sich in Leichenschauhäusern ein Rückstand.

Die 71-jährige Carmen Suarez aus Guayaquil starb am Wochenende zu Hause, vermutlich an Nierenversagen, wie ihre Familie erzählt. Die Angehörigen hatten sich zuvor um eine Aufnahme der Erkrankten in ein Krankenhaus bemüht. Ihnen wurde aber gesagt, es seien keine Betten frei und zudem drohe in der Klinik die Gefahr einer Corona-Infektion. Nach Suarez’ Tod warteten die Hinterbliebenen drei Tage lang, bis der Leichnam schließlich von der Terrasse abgeholt wurde. “Was in Guayaquil passiert, ist katastrophal”, sagt der 36-jährige Schwiegersohn der Toten, Byron Moreira. “Das würde ich meinen ärgsten Feind nicht wünschen.”

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New York meldet mehr als 600 Tote in 24 Stunden

Im gesamten Bundesstaat New York hatte sich die Zahl der Todesopfer zuletzt innerhalb von 24 Stunden um 630 erhöht.

Gesundheitsamt äußert sich nicht zu Zahlen der Patienten

In der Provinz Guayas, in der Guayaquil liegt, wurden 70 Prozent aller Corona-Fälle des Landes registriert. Hier stehen nur etwa 175 und damit deutlich zu wenige Beatmungsgeräte zur Verfügung, wie der Gesundheitsexperte Esteban Ortiz sagt. Am Donnerstag befanden sich landesweit 225 Corona-Patienten in Krankenhäusern, 122 von ihnen in kritischem Zustand.

Das Gesundheitsministerium äußerte sich auf Nachfrage nicht zu den Zahlen. Am Mittwoch hatten die Behörden aber auf einer Pressekonferenz den Umgang Ecuadors mit der Krise verteidigt. Die Zahl der Corona-Tests könne bald auf 1400 pro Tag erweitert werden, kündigten sie an.

Nach Angaben des Regierungsbeauftragten für die Corona-Krise, Jorge Wated, wappnen sich die Behörden für viele weitere Todesfälle und bemühen sich, alle Toten angemessen zu bestatten. Wated bat alle Hinterbliebenen um Entschuldigung, die tagelang auf die Abholung ihrer Toten warten mussten. Larreas Familie plagt seit der Abtransport ihres Verstorbenen nun die nächste Sorge. “Wir haben Angst, dass wir alle infiziert sind”, sagt seine Frau Karina.

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RND/AP

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