Tod von Mahsa Amini: Was ist eigentlich ein Femizid?
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Der Tod von Mahsa Amini hat eine große Protestwelle ausgelöst.
© Quelle: IMAGO/Le Pictorium
Hannover. Nach dem Tod der 22-jährigen Iranerin Mahsa Amini debattiert die Welt über einen „Femizid“. Dahinter steckt die Überzeugung, dass die Sittenpolizei im Iran Schuld am Tod der 22-Jährigen ist (entgegen der Behauptungen der iranischen Behörden).
Was ist ein Femizid?
„Femizide sind Morde an Frauen oder Mädchen aufgrund ihres Geschlechts“, erklärt Elke Ferner, Vorsitzende der Frauenrechtsorganisation UN Women Deutschland. Doch der Begriff geht auch noch darüber hinaus. Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) definiert Femizide als „eine von privaten und öffentlichen Akteuren begangene oder tolerierte Tötung von Frauen und Mädchen wegen ihres Geschlechts“.
Eine Rolle spielt demzufolge auch, aus welcher Motivation ein Mann eine Frau oder ein Mädchen tötet: Dazu zählen etwa der Mord an einer Frau durch ihren (Ex-)Partner, Mord aus Frauenfeindlichkeit oder auch „Ehrenmorde“. Letzteres definiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International als die Gewalt, die in der Regel Frauen und Mädchen angetan wird, um die „Ehre“ der Familie oder Gemeinschaft wiederherzustellen, nachdem sie die vermeintlich verletzt haben.
Laut Elke Ferner sind all diese Formen des Femizides das Ergebnis einer Gesellschaft, in der patriarchalische Verhaltensmuster und Denkweisen nach wie vor verwurzelt sind: „Gewalt gegen Frauen ist Ausdruck eines Machtungleichgewichtes zwischen den Geschlechtern und des fehlenden Respekts.“
Ist der Tod von Amini ein Femizid?
Ob der Begriff Femizid für den Tod von Mahsa Amini angemessen ist, hängt davon ab, ob man den iranischen Behörden oder ihren Gegnern Glauben schenkt. Die Behörden behaupten weiterhin, dass die Sittenpolizei nicht für Aminis Tod verantwortlich ist. „Die medizinischen Untersuchungen und jene der Gerichtsmedizin zeigen, dass es weder Schläge (seitens der Polizei) noch einen Schädelbruch gegeben hat“, sagte Minister Ahmad Wahidi laut der Nachrichtenagentur Irna am Samstag. Die voreiligen Schlüsse in diesem Fall und die darauf folgenden Proteste seien daher auf der Basis von falschen Interpretationen entstanden, so der Minister.
Irans Präsident Raisi wirft demonstrierenden Frauen „Akte des Chaos“ vor
Der Fall der verstorbenen Mahsa Amini werde untersucht, sagte Staatspräsident Raisi in New York.
© Quelle: Reuters
Die Polizei behauptet, Amini sei wegen eines Herzfehlers ins Koma gefallen und gestorben. Kritiker aber sagen, sie sei von der Sittenpolizei geschlagen worden und an einer Hirnblutung gestorben. Diese Version wird von der Polizei vehement bestritten, führte jedoch landesweit zu heftigen Protesten, die sich gegen das gesamte islamische System und dessen Vorschriften richten.
Aminis Vater kritisierte den Bericht der Gerichtsmedizin vehement. Seine Tochter habe keinerlei Herzprobleme gehabt und könne daher auch nicht an Herzversagen gestorben sein.
Aus Sicht der Gegner der iranischen Behörden, beispielsweise aus Sicht von Aminis Vater, ist Aminis Tod ein „Ehrenmord“, bei dem es sich laut der Definition von Amnesty International um Gewalt handelt, die in der Regel Frauen und Mädchen angetan wird, um die „Ehre“ der Familie oder Gemeinschaft wiederherzustellen, nachdem sie die vermeintlich verletzt haben.
Diese Perspektive nimmt offenbar auch der Deutsche Juristinnenbund e.V. ein. In einer Pressemitteilung schreibt er, er verurteile den „staatlichen Femizid an der 22-jährigen Mahsa Amini“ und stehe solidarisch an der Seite der Demonstrierenden in Iran.
„Der Mut der Demonstrierenden, die trotz des brutalen Vorgehens des Regimes seit Tagen für Freiheit und Menschenrechte auf die Straße gehen und ihr Leben riskieren, beeindruckt mich zutiefst. Jetzt braucht es politischen Druck aus Deutschland und Europa. Wir appellieren insbesondere an die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, ihrer Ankündigung, das gewaltsame Vorgehen gegen die Demonstrierenden vor den UN-Menschenrechtsrat zu bringen, umgehend Taten folgen zu lassen und sich jetzt mit klarer Kritik an das iranische Regime zu wenden. Das ist das Gebot einer feministischen Außenpolitik, zu der sich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag selbst verpflichtet hat.“, so Prof. Dr. Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbunds.
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Wie steht es um Femizide in Deutschland?
Bereits vor mehr als einem Jahr wurde in Deutschland, Österreich und anderen Ländern aufgrund damaliger Ereignsise vermehrt über Femizide diskutiert - und die Reichweite von Femiziden deutlich gemacht.
Laut einer Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) aus dem Jahr 2019 versucht in Deutschland jeden Tag ein Mann, seine Frau oder (Ex-)Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag gelingt es. Im Vergleich zu den Vorjahren ist die Zahl ermordeter Frauen zwar leicht gesunken. Doch aktuellere Statistiken – vor allem seit Beginn der globalen Pandemie im Jahr 2020 – liegen noch nicht vor. Elke Ferner, Vorsitzende der Frauenrechtsorganisation UN Women Deutschland, bezeichnet die Zahlen der BKA-Statistik als „immer noch schockierend“. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagt sie: „Diese Zahlen besorgen uns sehr, gerade vor dem Hintergrund der globalen Pandemie.“
„Statistisch gesehen wird alle 45 Minuten eine Frau von ihrem Partner angegriffen oder verletzt.“
Elke Ferner,
Vorsitzende UN Women Deutschland
Ein Grund dafür ist, dass häusliche Gewalt hierzulande während der Corona-Krise zunahm. Die Opfer sind in den allermeisten Fällen weiblich. Das berichten Frauenhäuser, Beratungsstellen und Hilfetelefone. Statistisch gesehen wird alle 45 Minuten eine Frau von ihrem Partner angegriffen oder verletzt, sagt Elke Ferner. Die Dunkelziffer liege noch deutlich höher als die Zahl der registrierten Fälle.
Ein Femizid ist bislang nicht als eigener Strafbestand im deutschen Strafrecht vorhanden. Problematisch daran sei laut Ferner, dass „unser Strafrechtssystem aber nur zwischen Totschlag und Mord differenziert“. Häufig würden Femizide sogar strafmildernd als Totschlag und nicht als Mord eingestuft. „Das Gegenteil müsste eigentlich der Fall sein.“
Femizide sind keine Einzelfälle
Dass es sich bei Femiziden nicht um Einzelfälle handelt, belegen zahlreiche Beispiele, nicht nur in Deutschland. Um nur einige wenige zu nennen: die ermordete Sarah E. in London, eine auf offener Straße angezündete Frau in Bordeaux oder die Tatsache, dass Österreich das einzige EU-Land ist, in dem mehr Frauen als Männer ermordet werden. Die Zeitung „Der Standard“ betitelte diese Nachricht mit „Femizide in Österreich – Das Land der toten Frauen“.
2021 verhängte das Hamburger Landgericht eine lebenslange Haftstrafe für einen Familienvater wegen Mordversuchs. Im Mai vergangenen Jahres hatte der Mann seine Ex-Frau mit einem Messer attackiert, weil er die von ihr eingeforderte Trennung nicht akzeptieren wollte. Anschließend übergoss er sie mit Benzin und zündete sie an. Selbes tat er dem gemeinsamen Sohn an, als dieser der Mutter Hilfe leisten wollte. Auch die zwölfjährige Tochter hatte er mit Brandbeschleuniger übergossen, doch ihr gelang die Flucht, bevor der Vater sie in Brand stecken konnte. Ihr rief er hinterher: „Alles nur wegen deiner Mutter.“
Keine besonders schwere Schuld – ein Schlag ins Gesicht für die Opfer
Mutter und Sohn mussten monatelang aufgrund lebensgefährlicher Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden. Beide tragen bleibende schwere Schäden davon. Aus diesem Grund hatte die Staatsanwaltschaft eine besonders schwere Schuld für den Familienvater gefordert. Eine lebenslange Haft kann frühestens nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Wahrscheinlichkeit einer frühen Entlassung sinkt aber, wenn das Gericht zudem eine besondere Schwere der Schuld feststellt. Die liegt vor, wenn eine Tat besonders verwerflich war oder die Opfer große Qualen erleiden mussten.
In diesem Fall stellte das Gericht keine besonders schwere Schuld fest. Die Begründung des Richters: Auch der Angeklagte sei von der Tat gezeichnet, entstellt und leide täglich an Schmerzen. Für die Opfer dürfte sich dieses Urteil wie ein weiteres Brandmal anfühlen. Denn im Gegensatz zu Mutter und Kind traf der Täter (unabhängig von seiner Zurechnungsfähigkeit zum Zeitpunkt des Verbrechens) eigenwillig die Entscheidung, sich selbst vorsätzlich zu quälen und zu töten.
Ein anderes Beispiel ereignete sich im März 2021 in London: Dabei wurde die 33 Jahre alte Sarah E. von einem Mann verschleppt und ermordet. Diese Tat sorgte für einen internationalen medialen als auch zivilen Aufschrei, der die Debatte um Gewalt gegen Frauen bis hin zu Femiziden verstärkt in die Öffentlichkeit rückte.
In der Nähe von Bordeaux wurde ebenfalls 2021 eine Frau Anfang 30 mutmaßlich von ihrem Ex-Partner angeschossen und anschließend mit einer Flüssigkeit bespritzt und angezündet. Auch sie starb an ihren Verletzungen. Nur einen Tag später erschoss ein Mann im österreichischen Wals-Siezenheim bei Salzburg zwei Frauen. Bei den Opfern handelt es sich um eine Frau und ihre Tochter, mutmaßlich vom ehemaligen Partner im eigenen Haus ermordet. Darüber hatte zuvor „Der Standard“ berichtet.
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Frauenfeindliche Taten werden häufig gar nicht als solche erfasst
Insgesamt wurden 2019 in Deutschland 267 Frauen getötet. Das geht aus der BKA-Statistik hervor. Von den 267 Todesopfern wurden 117 Frauen durch den Partner oder Ex-Partner ermordet. Problematisch an dieser Statistik ist laut Ferner: Frauenfeindliche Taten werden oft gar nicht als solche erfasst. „Das betrifft das Thema Femizide genauso wie das sogenannte Catcalling, die verbale sexuelle Belästigung gegenüber Frauen in der Öffentlichkeit“, sagt die Vorsitzende der Frauenrechtsorganisation.
Zunächst müsse ein öffentliches Bewusstsein für Gewalt gegen Frauen geschaffen werden. Dazu zähle laut Elke Ferner auch, Catcalling in Deutschland mit Bußgeldern strafbar zu machen. Das fordert die Petition „Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein“, die von UN Women Deutschland unterstützt wird. Gewalt gegen Frauen beginne nicht erst bei körperlicher Verletzung. „Für uns beginnt die Spirale mit der alltäglichen Anmache, frauenfeindlicher Sprache, Witzen und Beschimpfungen – schlicht mit dem fehlenden Respekt.“ Auch Einschüchterung und Drohungen zählt sie dazu.
Jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt
Die Statistik des BKA belegt, dass jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen ist. Etwa jede vierte Frau war mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. In einer anderen Studie der europäischen Grundrechtagentur (FRA) aus dem Jahr 2014 gab rund jede dritte Frau in Deutschland an, mindestens einmal körperliche und/oder sexuelle Gewalt seit ihrem 16. Lebensjahr erlebt zu haben.
Gewalt gegen Frauen als Ausdruck eines Machtungleichgewichtes
Gewalt gegen Frauen bis hin zu Femiziden sind Ferner zufolge „Ausdruck eines Machtungleichgewichtes zwischen den Geschlechtern und des fehlenden Respekts.“ Es müsse ein höheres Bewusstsein für die vielfältigen Formen von Gewalt und Diskriminierung gegenüber Frauen geschaffen werden. „Die ganze Gesellschaft muss Gewalt gegen Frauen ächten.“
Im Jahr 2019 wurden insgesamt etwa 141.800 Menschen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Davon waren 81 Prozent der Opfer weiblich.
(Mit Material von dpa)