Hurrikan „Ian“ vor der US-Ostküste: Wie häufig kommen Wirbelstürme in Deutschland vor?
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Der Tornado in Kiel im September 2021 hat nach Angaben der Polizei mehrere Menschen durch die Luft gewirbelt und ins Wasser gespült.
© Quelle: Steven Hutchings/TNN/dpa
Florida rüstet sich für Hurrikan „Ian“: Während der Sturm auf Kuba schon für Überschwemmungen, Stromausfälle und Schäden sorgte und zwei Menschenleben forderte, wurden ab Dienstagabend erste Ausläufer an der US-Ostküste erwartet. Bevor er am Mittwochabend dann auf Land trifft, erwarten Meteorologen, dass der Hurrikan die Stärke vier von fünf erreicht. Das Risiko sei zwischen den Städten Fort Myers und Tampa am größten.
„Aktuell werden Windgeschwindigkeiten bis zu 220 Kilometer pro Stunde vorausgesagt“, erklärt Diplom-Meteorologe Jürgen Schmidt vom Wetterkontor gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Nachdem der Sturm auf Land getroffen ist, zieht er weiter ins Landesinnere und büßt dabei deutlich Stärke ein. Angenehm werde das Wetter in den betroffenen Regionen zunächst dennoch nicht.
Kann es Hurrikans auch in Deutschland oder Europa geben?
Da die Basis für die Entwicklung von Hurrikans eine hohe Wassertemperatur (ab etwa 26 Grad) ist, entstehen vor Europa keine Hurrikans. „Der Nordatlantik ist mit zehn bis 17 Grad, und auch etwas weiter im Süden mit 20 Grad, dafür deutlich zu kalt“, sagt Schmidt. Sobald Hurrikans auf kälteres Wasser treffen, fehle den Stürmen die Energie. Sie schwächen allmählich ab. „Wir bekommen im Herbst häufiger die Reste der Hurrikans ab, die als Tiefdruckgebiet über uns ziehen und das Wetter beeinflussen“, erklärt der Experte.
Dennoch gibt es Wirbelstürme in Europa und auch in Deutschland. Immer wieder treten Tornados in der Bundesrepublik auf. Das geht, da „Tornados gewittergebunden sind“, führt Schmidt aus.
Immer wieder auch heftige Tornados in Deutschland
Im vergangenen Jahr hat es in Deutschland mindestens zwei schwere Tornadoereignisse gegeben: Am 29. September 2021 fegte einer über Kiel hinweg und schleuderte Menschen in Küstennähe durch die Luft und ins Wasser. Sieben Personen wurden verletzt. In der Nacht zum 17. August 2021 deckte ein Wirbelsturm in Ostfriesland rund 50 Dächer ab, fünf Häuser waren danach nicht mehr bewohnbar. Verletzte gab es glücklicherweise nicht.
Ein noch heftigerer Wirbelsturm fegte am 20. Mai 2022 durch Paderborn. Bei dem Tornado hatte es nach Angaben der Stadt 13 Schwerverletzte gegeben. Insgesamt waren es 43 Verletzte. Der Sturm verursachte in einem Korridor von West nach Ost, der ungefähr 300 Meter breit war und sich über fünf Kilometer Länge mitten durch die Stadt zog, erhebliche Zerstörungen. Bäume und Ampeln wurden umgeknickt wie Streichhölzer, unzählige Dächer komplett mit den Pfannen entdacht und viele Scheiben eingeschlagen. Über 400 Einsatzkräfte rückten aus.
Experte: Tornadoanzahl schwankt von Jahr zu Jahr
Gefühlt häufen sich die Tornadoereignisse in Deutschland. Doch mehrt sich die Zahl der Wirbelstürme in Deutschland tatsächlich oder trügt das Gefühl?
Eine eindeutige Tendenz sei nicht zu erkennen, sagt Meteorologe Schmidt. „In Deutschland gibt es jährlich zwischen 20 bis 60 Tornados. Die Zahl schwankt aber von Jahr zu Jahr sehr stark“, führt Schmidt aus. Die Anzahl der Windhosen sei unter anderem davon abhängig, wie trocken oder feucht die Sommer in der Bundesrepublik seien. „Tornados sind immer an Gewitterwolken gebunden“, erklärt der Meteorologe.
Schmidt bestätigt, dass gefühlt in naher Vergangenheit immer mehr Tornados gesichtet wurden. Dafür hat der Experte aber eine einfache Erklärung: „Durch Smartphones und Webcams werden immer mehr Sichtungen dokumentiert. Das war früher eben nicht der Fall, was das Gefühl eines Anstiegs der Tornadoanzahl in Deutschland erweckt.“ Schmidt weist zudem darauf hin, dass längst nicht alle Tornados, die es in Deutschland gibt, auch dokumentiert sind. „Tornados sind sehr schwer vorauszusagen“, erklärt er. „Selbst ich als Meteorologe habe selbst noch nie einen Tornado live gesehen“, so Schmidt.
Schmidt sieht keinen Zusammenhang mit dem Klimawandel
In Deutschland treten Tornados am häufigsten in Küstennähe auf, weil dort die Windbedingungen am idealsten seien. Dennoch gibt es in der Bundesrepublik vergleichsweise wenige Windhosen. „In den USA zum Beispiel ist die Zahl der Sichtungen deutlich höher. Dort herrschen wesentlich bessere Bedingungen für Tornados“, sagt er. Dass aber auch im europäischen Inland schwere Wirbelstürme auftreten können, habe die Katastrophe in Tschechien Ende Juni 2021 gezeigt. Nahe der slowakischen Grenze wurden mehrere Dörfer von einem Tornado der Stärke F4, was für eine verheerende Zerstörungskraft steht, völlig zerstört. Er kostete sechs Menschen das Leben und verletzte rund 200.
Ob vermeintlich vermehrte Tornadosichtungen mit dem Klimawandel zusammenhängen, ist auch unter Experten umstritten. Schmidt gehört zu den Meteorologen, die keinen direkten Zusammenhang sehen. „Das lässt sich aktuell einfach nicht feststellen“, betont er. Ähnlich sieht das der Kieler Forscher Mojib Latif. „Ich würde jetzt keine Verbindung zur globalen Erwärmung herstellen“, sagte Latif der Deutschen Presse-Agentur. „Es ist ein seltenes Phänomen, das hin und wieder auftaucht, bedeutet aber keine neue Qualität.“
Was ist ein Tornado und wie entsteht er?
Ein Tornado ist eine Luftsäule mit Bodenkontakt, die um eine mehr oder weniger senkrecht orientierte Achse rotiert, erklärt der DWD auf seiner Homepage. Für den Begriff Tornado würden auch andere Bezeichnungen wie zum Beispiel Großtrombe, Windhose (Tornado über Land), Wasserhose (Tornado über Meer oder großen Binnenseen) und Twister (Tornadobezeichnung im englischen Sprachraum) existieren.
Tödliche Naturgewalt: So entstehen Tornados
Wie entstehen eigentlich Tornados? Das zeigt diese Videografik.
© Quelle: AFP
Laut DWD entsteht ein Tornado, wenn starke Temperaturgegensätze herrschen und Luft aufsteigt. Durch frei werdende Kondensationswärme und starke vertikale Windscherung (Zunahme der Windgeschwindigkeit und gegebenenfalls zusätzlich Änderung der Windrichtung mit der Höhe) werde dabei ein rotierender Aufwindschlauch erzeugt. Dieser könne einen Durchmesser bis zu mehr als einen Kilometer erreichen, wobei Windgeschwindigkeiten von mehreren Hundert Kilometern pro Stunde auftreten können.
mit dpa