Suchtexperten warnen vor neuen Regeln für Spielautomaten

Glücksspiel kann süchtig machen.

Glücksspiel kann süchtig machen.

Hannover. Sie hat einen bürokratischen Namen und ein großes Ziel. Seit November 2018 soll die „Technische Richtlinie 5.0“ dafür sorgen, dass die Automaten in Spielotheken und Kneipen die Spielerinnen und Spieler nicht mehr so leicht abhängig machen können. So wurde unter anderem der stündliche Höchstgewinn etwas begrenzt (von 500 auf 400 Euro), das schnelle Weiterspielen durch regelmäßig nötige Tastendrücke erschwert und eine Grenze von fünf Sekunden eingeführt, die ein Spiel mindestens dauern müsse. Alles sollte langsamer gehen, das Spiel begrenzt werden – das war die Idee des Gesetzgebers. Doch das Fazit von Experten zehn Monate nach der Einführung ist verheerend. Von „offensichtlichen Umgehungen spricht der Psychologe Professor Gerhard Meyer von der Universität Bremen, „die dringend korrigiert werden müssen“.

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Am umstrittensten ist diese neue Mindestspieldauer, die 5-Sekunden-Regel. Tatsächlich dauert es jetzt, an den neuen Automaten, fünf Sekunden, bis das eingeworfene Geld in sogenannte Bankanteile umgewandelt ist. Erst dann drehen sich die Walzen, die Gewinn oder Verlust anzeigen – in einem weit schnelleren Takt allerdings, nach ein oder zwei Sekunden ist die Runde durch. Genau dieses „Walzenspiel“ sei allerdings das, was die Spielenden als „das eigentliche Spiel an den Geräten ansehen“, betont Konrad Landgraf von der Landesstelle Glücksspielsucht Bayern. Das deckt sich mit jedem landläufigen Verständnis von dem, was ein Spiel ist – die Umwandlung von Geld in Spielpunkte dürfte eher nicht darunter fallen.

Die Spielindustrie wehrt sich vehement gegen Vorwürfe

Dennoch sieht sich die Automatenindustrie im Recht – und weist jeden Vorwurf, sie umgehe das Gesetz, vehement zurück. Tatsächlich beruhe er auf einem „gravierenden Denkfehler“, wie es in einer Stellungnahme des Dachverbandes der Deutschen Automatenwirtschaft heißt. So beginnt das Spiel laut dem Wortlaut der Spielverordnung mit dem Einwurf des Geldes. Dies sei aber erst nach erneuten fünf Sekunden möglich. „Deshalb bezieht sich die Mindestspieldauer nur auf die zeitliche Komponente ohne Aussage, was in dieser Zeit spielerisch passiert“, konstatiert, Georg Stecker, Vorstandssprecher der Deutschen Automatenwirtschaft e.V

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Den Wortlaut der Verordnung hat die Branche also erfüllt. Das sieht auch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt so, die die neuen Automaten genehmigte. Das Walzenspiel, in dem für die meisten Betroffenen der eigentliche Reiz liegt, ist demnach von der Verordnung gar nicht betroffen. „Alles, was zwischen dem Einsatz des Geldes und der Auszahlung des Gewinns beziehungsweise bis zur Einstreichung des Einsatzes passiert, das ist das Spiel. Wie die einzelnen Spielabschnitte gestaltet werden, liegt einzig und allein beim Spielentwickler und seiner Kreativität", beteuert Stecker.

Das alles klingt absurd, ist aber juristisch offenbar korrekt – wenn es auch dem Sinn des Gesetzes widerspricht. „Was mit dem Gesetz erreicht werden sollte, ist nicht erreicht worden“, stellt Martina Kuhnt von der Niedersächsischen Landesstelle für Suchtfragen fest. „Eine Zielerreichung findet in keinster Weise statt“, konstatiert auch ein Mitarbeiter des hannoverschen Ordnungamtes, der lokalen Aufsichtsbehörde. In der jetzigen Praxis gebe es sogar „einen hohen Spielanreiz und keinen Spielerschutz“.

Immer mehr illegale Automaten in Hinterzimmern

Dennoch zeigt die „Technische Richtlinie 5.0“ offenbar Wirkung – nur nicht die gewünschte. So beobachtet der Arbeitskreis gegen Spielsucht mit Sitz in Unna, dass Spieler verstärkt aus Spielotheken abwandern, weil sie den Wegfall von Automatikfunktionen im Zuge der Neuerung als „lästig“ empfinden, wie es Geschäftsführer Jürgen Trümper beschreibt. So würden in Kneipen und Hinterzimmern jetzt wieder verstärkt illegale, ungeregelte Automaten aufgestellt. Zudem liefen Spieler verstärkt zu Online-Angeboten und in die Automatensäle der Spielbanken über – wo es keine Beschränkungen gibt. Tatsächlich registrieren Online-Anbieter gerade gewaltige Zuwachsraten im zweistelligen Prozentbereich. Auch die Spielbanken freuen sich über deutliche Zuwächse, vor allem beim Automatenspiel. Die Automatenwirtschaft hingegen verzeichnet dagegen laut ihrem Verband Einbußen von 10 bis 40 Prozent.

So kommt es, dass auch Automatenindustrie die neue Spielverordnung scharf kritisiert – und ausgerechnet sie sich über mangelnde Suchtprävention beklagt: „Der Verordnungsgeber will den Verbraucher schützen, treibt ihn aber tatsächlich in die Arme unlimitierter und sogar illegaler Anbieter", beteuert Verbandssprecher Stecker.

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Auch deren Automaten haben aber offenbar nach wie vor das Potenzial, Spieler zu ruinieren. Ein Betroffener jedenfalls resümiert zehn Tage nach Inkrafttreten der „Technischen Richtlinie 5.0“ in einem Online-Forum: „Es ist bei mir eine einzige Katastrophe und ich habe mal wieder sehr viel Geld verloren. Mehrere tausend Euro.“

Thorsten Fuchs/RND

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