“Sowas in zehn Jahren nie erlebt”: Sexarbeiterin Salomé Balthus im Interview über Corona-Auswirkungen

Hetäre Salomé Balthus im Hotel de Rome in Berlin.

Hetäre Salomé Balthus im Hotel de Rome in Berlin.

Viele Dienstleistungsbranchen, die vom Kundenkontakt leben, sind vom Coronavirus betroffen – darunter auch die Sexarbeit. Weil Bordelle schließen und Sexagenturen ihre Arbeit einstellen, verlieren Sexarbeiterinnen ihren Lebensunterhalt und manche sogar ihr Zuhause. Die Gründerin einer Sexagentur, Salomé Balthus, spricht im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) über die Konsequenzen für ihre Branche.

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Frau Balthus, Sie haben auf Twitter von den Auswirkungen des Coronavirus berichtet, als die Krise in Deutschland noch am Anfang stand. Wie genau sahen diese Auswirkungen in Ihrer Branche aus?

Es hat damit angefangen, dass die großen Messen wegbrachen, zum Beispiel die ITB in Berlin. Der März ist der arbeitsreichste Monat im ganzen Jahr – wegen dem Business in der Stadt. Man kann natürlich auch schlecht sagen, was wegfällt, weil man nicht weiß, wer spontan gebucht hätte. Das ist meistens kurzfristig. Man kann so auch keinen Verdienstausfall geltend machen, weil man nicht weiß was man eigentlich verloren hat. Ich hatte sonst im März in den letzten zehn Jahren ungefähr fünf oder sechs Dates – diesmal keins. Das eine, was ich noch gehabt hätte, wäre gestern gewesen, aber unter dem Druck unter dem wir alle stehen, hat mich ein mulmiges Gefühl beschlichen, bei der Vorstellung, einen völlig wildfremden Menschen zu treffen und zu küssen. Ich habe abgesagt, weil die Leichtigkeit, die Unbeschwertheit nun weg ist. Ich fühle ich mich nicht nur gegenüber dem Kunden schuldig, sondern auch gegenüber meinen Angehörigen. Um meine eigene Gesundheit mache ich mir am wenigsten Sorgen, aber meine Mutter gehört wegen ihres Alters auch zur Risikogruppe und die will mich in den nächsten 14 Tagen vielleicht sehen. Ich möchte nicht als Virenschleuder rumlaufen. Außerdem kann man auch selber erkranken und eventuell sterben.

In den letzten Tagen wurde die Gesellschaft um das sogenannte Social Distancing gebeten. Inwiefern ist das für Ihre Branche möglich?

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Im Privatleben machen wir das sehr viel. In unserem Job sind wir nicht im Großraumbüro. Wenn die meisten von uns zur Arbeit fahren, fahren sie mit dem Taxi. Wir gehen zu antizyklischen Zeiten einkaufen oder ins Fitnessstudio. Die meisten Escorts sind Einzelgängerinnen, extrem hygienisch und leben diese Maßnahmen, die es zurzeit vermehrt gibt, sowieso, das gehört zu diesem Beruf. Wir sind wahrscheinlich viel sauberer als viele andere Leute. Nur wir wissen nicht, wie unsere Kunden sind. Wir wissen nicht, wie die leben. Das ist das Problem.

Corona oder Grippe? Wie erkenne ich, ob ich betroffen sein könnte?

Die Angst vor dem Coronavirus steigt vielen zu Kopf. Fake News, Irreführende Gerüchte und viel Panikmache helfen da nicht.

Wie haben Sie dann die Sicherheitsmaßnahmen der letzten Wochen umgesetzt?

Unsere Art von Arbeit ist schwierig ohne Restaurants, die abends geöffnet sind, weil wir uns normalerweise im öffentlichen Bereich verabreden: Im Restaurant oder in einer Bar, um zu gucken, ob die Chemie stimmt und ob wir mit dem Kunden überhaupt ins Geschäft treten wollen. Aber die meisten Dates wurden eh abgesagt. Ich weiß natürlich nicht, ob einige Kolleginnen privat ihre Stammkunden treffen und was sie mit denen machen. Da können sie auch direkt nach Hause gehen oder in ein Hotelzimmer – ohne Bar und Restaurant. Das kann man auch gar nicht kontrollieren, solange es nicht Ausgangssperren gibt, wo Polizei und Militär auf der Straße sind. Außerdem ist es egal für das Virus, ob jemand bezahlt wird oder ob man sich so mit seinem Geliebten oder seiner Geliebten trifft. Jeder Mensch, der Sex hat, sich küsst und mit seinem Partner in einem Bett schläft oder sein Besteck benutzt, ist genauso gefährdet, wie eine Prostituierte.

Die langfristigen wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus sind nicht abzusehen. Wie schätzen Sie als langjährige Hetäre die Folgen für Ihre Branche ein?

Ich habe sowas in den zehn Jahren, die ich in der Branche arbeite, noch nie erlebt und kann das nicht einschätzen. Ich habe meine Agentur selbst etabliert, als ich in einer Krise war. Ich hatte kein Geld, als ich die Seite gebaut hab. Ich weiß, dass meine Website bestehen bleibt. Ich werde die weiter online halten – das kostet nicht viel. Dieses Business ist eh ein Krisenunternehmen und ans Überleben gewohnt. Ich weiß nicht, wie es meinen Frauen geht, aber ich werde sie jetzt online halten. Es wird uns weiterhin geben und wir werden zur Verfügung stehen, sobald wir wieder dürfen. Das bisschen Geld, was auf meinem Firmenkonto ist, werde ich drauf lassen, damit ich keine Insolvenz anmelden muss. Ich kann die Kosten soweit reduzieren. Die Frage ist nur, ob ich meine Mietwohnung behalten kann und wovon ich überhaupt leben werde und was ich esse. Ich werde auf mein Umfeld und mein Netzwerk zurückgreifen müssen und alle Fördermaßnahmen mitnehmen, die es geben wird. Das weiß ich alles im Moment noch nicht. Ich weiß nur: Die Profession ausrotten kann man nicht.

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Um Ihre Agentur zu retten, haben Sie auch schon ein Spendenkonto für sich und Ihre Kolleginnen eingerichtet.

Ja, das habe ich gemacht. Einige Fans haben mich gefragt, ob sie irgendwo Spenden können. Die Menschen sind unglaublich empathisch und es gibt sehr viele, die auch große Sympathien für uns haben. Es ist noch nicht sehr viel zusammengekommen, aber es ist noch nicht lange her, dass ich das Spendenkonto eingerichtet habe. Gleichzeitig kann man auch Gutscheine kaufen.

Dann erfahren Sie also schon Unterstützung von Ihren Kunden?

Durchaus. Es gibt Stammkunden, die sagen Dates im Moment ab, aber bezahlen mir das Geld und kriegen den Gutschein für die Zeit nach der Krise. Wenn alles vorbei ist, wenn man sich wieder unbeschwert und ohne Gefahr begegnen kann.

Die Solidarität ist also da.

Auf einer Seite ja, auf der anderen Seite nein. In vielen Bereichen ist sie natürlich gar nicht da. Meine Fans und meine Freunde sind solidarisch mit mir. Die Politik ist mindestens gleichgültig, wenn nicht sogar hämisch, wie in dem Fall der SPD-Abgeordneten Leni Breymaier. Sie hat getwittert: “Stuttgart verbietet #Prostitution wegen #Corona. Geht doch. Man(n) kann ja schon mal üben.” Frauen, die Prostitution verbieten wollen, wollen am liebsten alles für immer geschlossen halten – immer mit dem Etikett der Prävention. Davor habe ich natürlich große Angst. Nicht nur was Bordelle und Prostitution angeht. Ich mache mir Sorgen, dass wir die Bürgerrechte, die gerade in unglaublicher Rasanz kassiert werden, nicht wieder zurückkriegen. Es ist auch alles gut begründet und sehr verständlich. Das Problem dabei ist, dass es ein gefährliches Werkzeug ist. Wir spielen gerade ein sehr gefährliches Spiel.

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Sorgen Sie sich um Ihren Berufstand?

Ja, ich habe Angst, dass Prostitution und andere Sachen bei der Gelegenheit abgeschafft werden. Nicht nur Partys, abends Alkohol in Bars trinken und Sex außerhalb von Beziehungen, sondern auch Demonstrationen und Versammlungsfreiheit.

Wie sieht Ihr Plan B aus, falls finanzielle Rettungsmaßnahmen nicht greifen werden oder Ihr Berufsstand sogar ganz abgeschafft wird?

Ich bin Autorin, mein Roman wird im Herbst erscheinen. Insofern habe ich einen Plan B. Nur es sollte nicht das Kriterium sein, ob ich als privilegierte studierte Frau einen Plan B habe. Es gibt viele Frauen, für die ist Prostitution schon der Plan B. Es gibt keinen Grund, dass man ihnen auf Dauer dieses Recht entzieht und, dass man ihnen jetzt nicht hilft. Künstlerinnen, Freelancerinnen, alleinerziehende Mütter – die machen andere Jobs tagsüber. Ich denke, dass viele in der Branche für ein bedingungsloses Grundeinkommen sind, weil es die Elendsprostitution verhindern würde. Es würde verhindern, dass Frauen sich prostituieren, nur um ihre Miete zahlen zu können.

Und nochmal fernab von der Corona-Krise: Sie nennen sich auch lieber eine Hetäre als eine Escort-Dame. Warum?

“Escort” klingt im Prinzip so, als würde man jemanden begleiten, eben wie eine Eskorte, aber eigentlich ist das falsch. Eigentlich begleiten wir den Mann nur in sein Hotelzimmer und ins Restaurant. Insofern ist der Begriff Escort-Dame ein Euphemismus. Hetäre ist eine treffendere Bezeichnung. Von daher habe ich gedacht, man könnte den Begriff wiederaufleben lassen. Aber ich fühle mich auch angesprochen, wenn jemand Escort sagt. Escort ist nun mal die gängige Bezeichnung.

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Sie haben an der Humboldt-Universität zu Berlin Philosophie studiert. Aus welchem Grund haben Sie sich dann dafür entschieden, in die Sexarbeit zu gehen?

Um mein Studium zu finanzieren, welches ich auch abgeschlossen habe.

Es war also Mittel zum Zweck.

Naja, dann habe ich gemerkt, dass es ziemlich schön und interessant ist, und abgesehen davon half es mir, meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Es hat mir so viel Freiheit gegeben, weil ich auch eher schreiben wollte, als akademisch tätig zu sein. Gleichzeitig wollte ich beim Schreiben nicht abhängig sein von Stipendien, dem Geschmack von Agenten und dem Literaturbetrieb – deswegen bin ich dabeigeblieben. Hetäre zu sein lieferte interessante Erfahrungen – es macht riesen Spaß. Es zeigt Einblicke in Lebensbereiche, die ich sonst nie hätte und sowas braucht man als Autor: Erfahrungen.

Sie haben auch eine Agentur für Sexarbeit gegründet. Das ist bestimmt kein typischer “9 to 5”-Job. Wie sieht ihr Alltag aus?

Also “9 to 5” höchstens, wenn man es von “9 PM to 5 AM” betrachtet. Es ist natürlich kein Job, bei dem man jeden Tag regelmäßig zur Arbeit geht und Geld verdient. Ich habe mir schon immer gedacht: Jede Frau hat das Recht, mit ihrem Körper Geld zu verdienen, weil es ihr Körper ist – aber eben nur sie alleine. Ich fand diese Idee, dass man den Frauen bis zu 40 Prozent Provision nimmt, schon immer problematisch. Deswegen habe ich mir gedacht, ich mache es mit meinen Kolleginnen. Ich baue die Website, und statt sie nur für mich allein zu bauen, nehme ich die Kolleginnen mit auf. Ich nehme ihnen kein Geld dafür ab, das ist eine Art Non-Profit-Unternehmen. Eine linke High-Class-Agentur. Die französische Zeitung “Libération” nannte mich mal “Putain rouge”.

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RND

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