Ischgl-Prozess: Sohn von Opfer fordert „Gerechtigkeit“ – Kanzler Kurz muss nicht vor Gericht

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

Wien. „Ich fordere Gerechtigkeit und eine Entschuldigung“, erklärt der 48-jährige Sohn des verstorbenen österreichischen Journalisten. „Mein Vater wäre nicht nach Ischgl gefahren, wenn er gewusst hätte, dass das Virus dort schon allgegenwärtig ist.“ Eineinhalb Jahre nach dem Corona-Ausbruch im Tiroler Skiort Ischgl hat in Wien der erste Prozess um Schadensersatz begonnen.

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Kläger sind die Hinterbliebenen eines Österreichers, der sich im Skiurlaub im März 2020 mit dem Virus infiziert hatte und später verstarb. Die Witwe und der Sohn fordern in einer sogenannten Amtshaftungsklage nun von der Republik Österreich 100.000 Euro Schadensersatz. Um die geforderte Summe ginge es den Klägern im Kern nicht, betont Anwalt Alexander Klauser. „Falls es einen Schadensersatz gibt, werden wir das Geld natürlich spenden“, sagt der Sohn des Verstorbenen und verweist auf karitative Organisationen.

Der unter regem Medieninteresse aus dem In- und Ausland eröffnete Prozess am Landesgericht für Zivilsachen ist nur der Auftakt einer Reihe von Verhandlungen. Ein Vergleich wurde vonseiten Österreichs abgelehnt. Dreieinhalb Stunden wurde verhandelt, bis feststand, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz vorerst nicht vor Gericht aussagen muss. Die zuständige Richterin im Wiener Justizpalast hat entschieden, dass sie genug schriftliche Beweise vorliegen hat, um ein Urteil fällen zu können.

Ischgl-Prozess um Covid-Toten: „Ich möchte Gerechtigkeit“

Die Beweisaufnahme im sogenannten ersten Ischgl-Prozess ist beendet, mit einem Urteil ist erst in Tagen zu rechnen.

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Worum geht es im Ischgl-Prozess?

Konkret geht es um die Frage, ob der Staat Österreich für Erkrankungen und Todesfälle, die aufgrund von Fehlern in der Pandemiebekämpfung entstanden sind, haftet. Bis das Urteil letztendlich vorliegt, kann es bis Ende des Jahres dauern. Da dies das erstinstanzliche Urteil sein wird, wird letztendlich wohl der Oberste Gerichtshof in Wien eine Entscheidung treffen müssen.

In dem für seine Partyszene bekannten Wintersportort Ischgl, der auch als „Ibiza“ der Alpen bezeichnet wird, war es im März 2020 mitten in der Skisaison zu einem Corona-Ausbruch gekommen. Hunderte Österreicher und Tausende ausländische Urlauber, darunter auch viele Deutsche, infizierten sich vermutlich unter anderem in überfüllten Après-Ski-Bars. Die in ihre Heimatländer zurückgekehrten Wintersportler verbreiteten daraufhin das Virus in ganz Europa. Der Ort mit seinen rund 11.000 Gästebetten gilt seitdem als einer der Hotspots für die Verbreitung des Virus.

Chaotische Zustände bei Abreise

„Diese Gebiete werden ab sofort isoliert.“ Dieser kurze Satz von Kanzler Kurz im März 2020 genügte, um bei vielen Menschen in Ischgl eine Panikreaktion und Massenflucht auszulösen. „Fast 10.000 Menschen versuchten, schnellstmöglich den nächstgelegenen Bahnhof zu erreichen. Statt normalerweise 45 Minuten verbrachten sie so bis zu drei Stunden in vollen Bussen“, sagt Peter Kolba. Er ist Obmann des Verbraucherschutzvereins (VSV), der die Betroffenen bei ihren Klagen unterstützt.

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Laut Kolba sei Bundeskanzler Kurz überhaupt nicht befugt gewesen, eine solche Entscheidung zu treffen. Zumal die Behörden vor Ort davon völlig überrascht wurden und keine Maßnahmen getroffen hatten. „Die Chance, für eine geordnete Abreise über das gesamte Wochenende zu sorgen, wurde so nicht genutzt“, so Kolba. Da keine Protokolle und Informationen über die Entscheidungsfindung vorliegen, sei eine Aussage von Bundeskanzler Kurz und weiteren Beteiligten entscheidend.

Warum wurde die Skisaison trotz vieler Fälle noch fortgesetzt?

Ein Beweisaufnahmeverfahren könnte viele weitere bisher noch nicht beantwortete Fragen klären. Warum haben die zuständigen Behörden noch am 5. März 2020 behauptet, dass sich eine isländische Reisegruppe nicht in Ischgl, sondern erst auf der Rückreise im Flugzeug angesteckt hat? Warum wurde die Skisaison trotz vieler Fälle noch bis Mitte März 2020 fortgesetzt? Und welchen Einfluss hatte die durchaus mächtige Tourismusindustrie in der Region auf diese Entscheidungen?

Dörte Sittig aus der Nähe von Köln war am Freitag ebenfalls beim Prozessauftakt. Ihr Lebensgefährte war am 13. März 2020 ebenfalls in Ischgl. Auch er hat sich bei der Abreise mit Corona infiziert und das Virus nicht überlebt. „Mir geht es darum, dass der Staat Österreich Verantwortung übernimmt und der Gerechtigkeit Genüge getan wird.“

Der Alpenrepublik drohen weitere Klagen

Der Alpenrepublik drohen zudem weitere Klagen. Der VSV steht bereits mit weiteren Betroffenen in Kontakt und sucht aktuell einen Prozessfinanzierer, um eine Sammelklage nach österreichischem Recht auf den Weg zu bringen. „Dieser könnten sich bis zu 3000 weitere Betroffene anschließen“, so Kolba. Die Finanzprokuratur, die den Staat vor Gericht vertritt, sieht hingegen kein schuldhaftes Handeln und weist die Vorwürfe zurück.

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mit Reuters und dpa

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