Schlanke Linie, dürre Beine: Designer setzen Möbel auf Diät
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EBCMXYORV63AWG4KRRSMYYKVNQ.jpg)
Schlanke Linie, dünne Beine: Der Stuhl „A. I.“ von Kartell passt perfekt zum neuen Minimalismustrend – und ist das erste durch künstliche Intelligenz konzipierte Designobjekt.
© Quelle: Simona Pesarini/Kartell/dpa
Hannover. Es klingt ein wenig wie eine Klage, als Philippe Starck auf der weltweit wichtigsten Messe der Möbelbranche am Stand von Kartell spricht. „Ich bin ein Arbeiter, ich bin ehrlich, das wisst ihr“, so der Stardesigner kürzlich auf dem Salone del Mobile in Mailand.
„Wenn ich mir nach all den Jahren meine Sachen ansehe und auch das, was andere machen, dann habe ich das seltsame Gefühl, es ist immer das Gleiche“, sagt Starck. „Mal machen wir schwarze Stühle, mal machen wir rote Stühle.“ Wo bleibe denn da das Wunder?
Philippe Starck spricht damit einen Eindruck aus, den man zuletzt nicht nur beim Besuch von Möbelmessen, sondern auch beim Betreten eines Einrichtungsgeschäfts bekommen konnte: Wo ist das wirklich Neue? Schließlich sehen momentan die meisten neuen Stühle aus wie Stühle in ihrer einfachsten Form – keine sichtbaren Extras, kein Chichi. Und noch mehr: So weit wie möglich wird das Material an vielen Möbeln reduziert.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/DIMJOVNN475KRKUBTNNSYOE6DU.jpg)
Verzicht auf Armlehnen: Für Moroso hat Stardesignerin Patricia Urquiola mit Steinen gespielt - herausgekommen ist das Sofa Gogan, das an eine Steinskulptur erinnert.
© Quelle: Alessandro Paderni/Moroso/dpa
Sofas, Sessel und Betten stehen auf dünnen, sogar dürren Beinen. Regale setzen sich aus hauchdünnen Platten zusammen. Und sogar, wenn Sofas noch Rundungen gegönnt werden, fehlen schon mal die Armlehnen, auf denen sich der Kopf ablegen ließe.
Der Designer Naoto Fukasawa beispielsweise schmälert die Taille des eleganten Longchairs Land für Plank so weit, dass man sich unweigerlich fragt: Fehlt da nicht etwas? Und so geht es bei vielen Produkten: Ist das bequem? Ist das stabil? Für die Hersteller beginnt gerade da das Neue: Sie setzen ihre Möbel bewusst auf Radikaldiät, bieten dabei aber großen Komfort und Praktikabilität.
Der Reiz daran: Das Minimalistische sieht stilvoll und chic aus. Und es macht neugierig, was die Umsetzung des Designs angeht. Denn dahinter steckt nicht einfach nur der Bau eines Tisches in seiner simpelsten Form – also aus einer Platte und vier Beinen. Die Kreativ- und Fertigungsprozesse sind aufwendig. In manchen Möbeln steckt weit mehr als ersichtlich.
Weit mehr Produktionsaufwand als ersichtlich
Zum Beispiel im hauchdünnen Tisch Fila von Konstantin Grcic für Plank, der auf geradezu dürren Beinen stehen kann, ist es ein Rahmen mit vier massiven Aluminiumwinkeln. Sie verbinden die Beine und Traversen miteinander und sorgen so für Stabilität. Damit das nicht auffällt und die Elemente scheinbar keine Nähte haben, sind die Winkelverbinder akkurat gefräst statt gegossen.
Das Designduo Formstelle hat beim Bett Friday Night für Zeitraum zu einem anderen Kniff gegriffen: Die Rückenlehne geht auf halbem Weg in eine Biegung über und wird unten zugleich zu den schlanken Hinterfüßen des Bettes. Außerdem sind die vorderen Füße etwas nach hinten versetzt, wodurch das Bett wirkt, als würde es schweben.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/XB6YP5ZU76GMTUHLKDGVTZCG5M.jpg)
Auf das Wesentliche reduziert: Der Tisch Fila von Konstantin Grcic für Plank besteht aus wenig Material. Das gelingt, da es einen Rahmen mit vier massiven Aluminium-Winkeln an den Ecken gibt, die für Stabilität sorgen.
© Quelle: Plank/dpa
Auch hinter Philippe Starcks Auftritt am Stand des italienischen Möbelproduzenten Kartell in Mailand steht so eine verschlankte Produktentwicklung. Dafür hat er sogar kurz seine Rolle als Designer abgegeben.
Auf seine Anregung hin erhielt eine künstliche Intelligenz den Auftrag, einen Stuhl zu formen, der mit so wenig Material wie möglich auskommt. Dabei soll er aber komfortabel, stabil und solide sein sowie ästhetische Grundvoraussetzungen erfüllen.
„A. I.“ ist das Ergebnis – ein Stuhl, der nur zwei übliche gerade Beine vorne hat. Hinten gehen die schrägen Beine bis hoch zur Lehne. Kartell spricht davon, dass dies „das erste durch künstliche Intelligenz konzipierte Designobjekt“ sei. Vor allem aber ist es sehr schlank.
Von Simone Andrea Mayer