Waldbrände in Sibirien werden zum globalen Klimakiller: Rauchwolken erreichen bereits den Nordpol
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Rauch liegt nach einem Waldbrand über einer Kleinstadt in der russischen Republik Sacha (Jakutien).
© Quelle: Nikolay Petrov/AP/dpa
Moskau. Es ist nur allzu verständlich, dass die Menschen in Jakutien ein sehr enges Verhältnis zur Natur pflegen. Denn in der Republik im nordöstlichen Teil Sibiriens kommen bei einer Größe von mehr als drei Millionen Quadratkilometern und einer Einwohnerzahl von nur knapp einer Million ungewöhnlich viel Flora und Fauna auf jeden einzelnen Jakuten.
Umso mehr Sorge empfinden die Menschen, wenn die Natur, die sie für eine Art heiligen Geist halten, der in Harmonie mit der Menschheit lebt, zur Bedrohung wird. Und zur Gefahr ist die Natur in Sacha, wie die Republik in der heimischen Turksprache genannt wird, inzwischen in nie gekannter Weise geworden: Wie Aufzeichnungen eines Nasa-Satelliten von Ende vergangener Woche belegen, erreichten die Rauchschwaden der seit zwei Jahren in jedem Sommer in Jakutien besonders stark wütenden Waldbrände den Nordpol.
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„Wenn der Nordpol erreicht wird, ist das von kontinentaler Größenordnung”
Das bedeutet: Die Fläche, die von dem sepiaorangen Giftsmog betroffen ist, reicht 3200 Kilometer von Westen nach Osten und 4000 Kilometer von Süden nach Norden: „Wenn der Nordpol erreicht wird“, sagte der Atmosphärenforscher Santiago Gassó von der University of Maryland der Nachrichtenagentur Reuters, „dann ist das per Definition von kontinentaler Größenordnung.“
Dem Rauch in dieser gigantischen Dimension liegen Waldbrände in ebenfalls ungeheurem Ausmaß zugrunde: 4,2 Millionen Hektar Wald würden in Jakutien brennen, meldete die Nachrichtenagentur Reuters, und die Waldbrandsaison sei noch lange nicht vorbei.
Blinis und fermentierte Milch, um die Natur milde zu stimmen
Die Taiga, wie der nördliche Nadelwald genannt wird, ist ein zentrales Element im Leben der Jakuten: Sie versorgt sie mit Beeren, Pilzen und Fleisch sowie Bau- und Brennholz. Wenn die Taiga brennt, taut der darunter liegende Permafrostboden schneller auf und verwandelt üppige Wälder in undurchdringliche Sümpfe.
Durch die seit Jahrhunderten andauernde Koexistenz von Mensch und Wald hat sich in Jakutien ein Aberglaube herausgebildet, der sich bis heute hält: Frisch gebackene Blinis (russische Pfannkuchen) und fermentierte Milch werden dem Boden als Opfergaben übergeben, in der Hoffnung, dies würde die Natur milde stimmen und die Feuer fernhalten.
„Jakutien als Frühwarnsystem des globalen Klimawandels“
Es ist eine Haltung, vor der Aleksandr Fjedorow vom Melnikow-Permafrost-Institut in Sachas Hauptstadt Jakutsk als falscher Hoffnung warnt: „Was uns die Natur gezeigt hat – vergangenes Jahr, dieses Jahr – ist eine Mahnung“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), „dass wir unsere Hoffnungen nicht in die Natur setzen sollten.“
Stattdessen sei es dringend notwendig, vorzusorgen: „Man kann Jakutien als Frühwarnsystem des globalen Klimawandels betrachten“, sagt Fjedorow. Denn in der Region habe sich die jährliche Durchschnittstemperatur seit Beginn des 20. Jahrhunderts um drei Grad Celsius erhöht – zwei Grad mehr als im weltweiten Durchschnitt. In diesem Sommer habe es in der Republik, in der das Thermometer im Winter regelmäßig auf Werte von unter minus 35 Grad Celsius fällt, mehrere Tage mit Rekordtemperaturen von 39 Grad gegeben.
„Die aktuellen Brände schlagen alle Rekorde”
Es ist zwar nicht ohne Weiteres möglich, einen kausalen Zusammenhang zwischen einzelnen Bränden und dem Klimawandel herzustellen, aber die globale Erwärmung macht Brände wahrscheinlicher, da strengere und längere Dürreperioden ganze Landstriche austrocknen und so ideale Brandbedingungen schaffen.
Und da dieser Sommer in Jakutien nach Angaben der örtlichen Behörden der trockenste seit 150 Jahren war, wurde die Region zu einem Pulverfass: „Die aktuellen Brände schlagen alle Rekorde“, sagte Aleksandr Isajew, ein Experte für Waldbrände an der Russischen Akademie der Wissenschaften in Jakutsk, der Nachrichtenagentur AFP.
Grigorij Kuksin, Chef des Brandbekämpfungsteams bei Greenpeace Russland, weist auf die weitreichenden Folgen hin, die die Kombination aus Klimawandel, hohen Temperaturen und ausgetrockneten Böden mit sich bringt: „Für Waldschädlinge ergeben sich daraus ideale Bedingungen“, sagte Kuksin der unabhängigen Tageszeitung „Nowaja Gaseta”, „die sibirische Seidenraupe ist zur Plage geworden, sie verwandelte Bäume, vor allem Lärchen, in Totholz, und das brennt wie Zunder“.
Kritik an Brandbekämpfung der russischen Regierung
Der Klimawandel und seine Folgen erklären aus Sicht von Kritikern aber nicht das gesamte Ausmaß von den derzeit insgesamt 178 Waldbränden in Jakutien. Verantwortlich sei auch die russische Regierung wegen der unzureichenden Vergabe von Mitteln für Brandbekämpfung und Waldschutz in Jakutien.
Nikita Andrejew, Verwalter des Bezirks Gornij, in dem in dieser Saison einige der größten Brände in Jakutien ausgebrochen sind, hält die sechs Rubel (sieben Euro-Cent), die er für die Brandbekämpfung pro Hektar aus dem Bundeshaushalt erhält, für vollkommen unzureichend: „Das bedeutet, dass Dutzende von Bränden unkontrolliert weiterbrennen“, sagte er der Nachrichtenagentur AFP, „wobei der Schutz von Siedlungen Vorrang hat, anstatt dass die Brände generell gelöscht werden“.
Nachdem am vergangenen Sonntag die jakutischen Behörden schließlich den Ausnahmezustand ausgerufen hatten, da das Feuer menschliche Siedlungen bedrohte und Massenevakuierungen vorgenommen werden mussten, reagierte der Kreml zwei Tage später und kündigte zusätzliche Mittel zur Brandbekämpfung in Jakutien an: „Der Minister für Zivilschutz, Notfälle und die Beseitigung der Folgen von Naturkatastrophen, Jewgenij Zinitschew, ist angewiesen worden, die Zahl der Einsatzkräfte für die Brandbekämpfung zu erhöhen und den Einsatz von Löschflugzeugen zu intensivieren“, hieß es in der Erklärung von Präsident Wladimir Putin.
Brandbekämpfung mit Schaufeln statt mit modernen Technologien
Die Zahl der 4200 Brandbekämpfer, die derzeit mit 655 Fahr- und Flugzeugen laut einer Meldung der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass in Jakutien im Einsatz sind, klingt zwar stolz, aus ihr geht aber nicht hervor, dass es sich dabei um viele Freiwillige handelt, die schlecht ausgebildet und häufig mit unzureichendem Material ausgestattet sind, um die Brände auf einer Fläche von der knapp fünffachen Größe Frankreichs zu bekämpfen.
Der Duma-Abgeordnete Fedot Tumusow, der aus Jakutien stammt, forderte deswegen in einem Beitrag auf Facebook den Rausschmiss von Umweltminister Aleksandr Kozlow, weil dieser es versäumt habe, für moderne Brandbekämpfungstechnologien in der Republik zu sorgen: „Wir löschen Brände auf einer Million Hektar mit Schaufeln“, schrieb Tumusow. „Es gibt spezielle Sprengstoffprojektile, die dort eingesetzt werden, wo man den Boden nicht erreichen kann und wo Wasser wirkungslos ist, sowie viele andere Möglichkeiten zur Brandbekämpfung. Aber wir haben Schaufeln.“
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Brände in Jakutien sorgen auch im Ausland für Beunruhigung
Die Brände in Jakutien führen allerdings nicht nur innerhalb Russlands zu Unruhe und Konflikten, sondern sie sorgen auch im Ausland für Beunruhigung: Seit Juni seien durch das Feuer 505 Megatonnen Kohlendioxid emittiert worden, sagte Mark Parrington vom Kopernikus-Atmosphärenüberwachungsdienst der EU der Nachrichtenagentur Reuters: „Das ist jetzt schon mehr als der Rekordwert von 450 Megatonnen, der während der gesamten Waldbrandsaison in Jakutien im vergangenen Jahr ausgestoßen wurde.“ Um die Tragweite der Zahlen zu verdeutlichen, zieht der Experte einen Vergleich: Die 450 Megatonnen freigesetztes Kohlendioxid entsprächen den Emissionen, die der gesamte Benzinverbrauch in Mexiko im Jahr 2018 verursacht habe.
Aleksander Fjedorow aus Jakutsk weist darauf hin, dass durch die Brände nicht nur große Mengen an Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen und Materie zerstört wird, die dieses absorbieren kann, sondern auch ein massives Schmelzen des bereits auftauenden Permafrosts in Jakutien ausgelöst werden könnte: „Und da der Permafrost doppelt so viele Treibhausgase enthält wie die Atmosphäre“, verdeutlicht er, „könnte dies den Klimawandel in katastrophaler Weise verschärfen. Das wäre für die ganze Welt ungesund – für jeden“, warnt der Permafrostforscher.
RND