Waldbrände in Sibirien werden zum globalen Klimakiller: Rauchwolken erreichen bereits den Nordpol

Rauch liegt nach einem Waldbrand über einer Kleinstadt in der russischen Republik Sacha (Jakutien).

Rauch liegt nach einem Waldbrand über einer Kleinstadt in der russischen Republik Sacha (Jakutien).

Moskau. Es ist nur allzu verständlich, dass die Menschen in Jakutien ein sehr enges Verhältnis zur Natur pflegen. Denn in der Republik im nord­östlichen Teil Sibiriens kommen bei einer Größe von mehr als drei Millionen Quadratkilometern und einer Einwohnerzahl von nur knapp einer Million ungewöhnlich viel Flora und Fauna auf jeden einzelnen Jakuten.

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Umso mehr Sorge empfinden die Menschen, wenn die Natur, die sie für eine Art heiligen Geist halten, der in Harmonie mit der Menschheit lebt, zur Bedrohung wird. Und zur Gefahr ist die Natur in Sacha, wie die Republik in der heimischen Turk­sprache genannt wird, inzwischen in nie gekannter Weise geworden: Wie Aufzeich­nungen eines Nasa-Satelliten von Ende vergangener Woche belegen, erreichten die Rauch­schwaden der seit zwei Jahren in jedem Sommer in Jakutien besonders stark wütenden Waldbrände den Nordpol.

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„Wenn der Nordpol erreicht wird, ist das von kontinentaler Größen­ordnung”

Das bedeutet: Die Fläche, die von dem sepiaorangen Giftsmog betroffen ist, reicht 3200 Kilometer von Westen nach Osten und 4000 Kilometer von Süden nach Norden: „Wenn der Nordpol erreicht wird“, sagte der Atmosphärenforscher Santiago Gassó von der University of Maryland der Nachrichten­agentur Reuters, „dann ist das per Definition von kontinentaler Größenordnung.“

Dem Rauch in dieser gigantischen Dimension liegen Waldbrände in ebenfalls ungeheurem Ausmaß zugrunde: 4,2 Millionen Hektar Wald würden in Jakutien brennen, meldete die Nachrichten­agentur Reuters, und die Wald­brand­saison sei noch lange nicht vorbei.

Blinis und fermentierte Milch, um die Natur milde zu stimmen

Die Taiga, wie der nördliche Nadelwald genannt wird, ist ein zentrales Element im Leben der Jakuten: Sie versorgt sie mit Beeren, Pilzen und Fleisch sowie Bau- und Brennholz. Wenn die Taiga brennt, taut der darunter liegende Perma­frost­boden schneller auf und verwandelt üppige Wälder in undurch­dringliche Sümpfe.

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Durch die seit Jahr­hunderten andauernde Koexistenz von Mensch und Wald hat sich in Jakutien ein Aberglaube herausgebildet, der sich bis heute hält: Frisch gebackene Blinis (russische Pfannkuchen) und fermentierte Milch werden dem Boden als Opfergaben übergeben, in der Hoffnung, dies würde die Natur milde stimmen und die Feuer fernhalten.

„Jakutien als Früh­warn­system des globalen Klimawandels“

Es ist eine Haltung, vor der Aleksandr Fjedorow vom Melnikow-Permafrost-Institut in Sachas Hauptstadt Jakutsk als falscher Hoffnung warnt: „Was uns die Natur gezeigt hat – vergangenes Jahr, dieses Jahr – ist eine Mahnung“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), „dass wir unsere Hoffnungen nicht in die Natur setzen sollten.“

Stattdessen sei es dringend notwendig, vorzusorgen: „Man kann Jakutien als Frühwarnsystem des globalen Klimawandels betrachten“, sagt Fjedorow. Denn in der Region habe sich die jährliche Durch­schnitts­temperatur seit Beginn des 20. Jahrhunderts um drei Grad Celsius erhöht – zwei Grad mehr als im weltweiten Durchschnitt. In diesem Sommer habe es in der Republik, in der das Thermometer im Winter regelmäßig auf Werte von unter minus 35 Grad Celsius fällt, mehrere Tage mit Rekord­temperaturen von 39 Grad gegeben.

„Die aktuellen Brände schlagen alle Rekorde”

Es ist zwar nicht ohne Weiteres möglich, einen kausalen Zusammen­hang zwischen einzelnen Bränden und dem Klima­wandel herzustellen, aber die globale Erwärmung macht Brände wahrscheinlicher, da strengere und längere Dürre­perioden ganze Landstriche austrocknen und so ideale Brand­bedingungen schaffen.

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Und da dieser Sommer in Jakutien nach Angaben der örtlichen Behörden der trockenste seit 150 Jahren war, wurde die Region zu einem Pulverfass: „Die aktuellen Brände schlagen alle Rekorde“, sagte Aleksandr Isajew, ein Experte für Wald­brände an der Russischen Akademie der Wissenschaften in Jakutsk, der Nachrichten­agentur AFP.

Grigorij Kuksin, Chef des Brand­bekämpfungs­teams bei Greenpeace Russland, weist auf die weitreichenden Folgen hin, die die Kombination aus Klimawandel, hohen Temperaturen und ausgetrockneten Böden mit sich bringt: „Für Waldschädlinge ergeben sich daraus ideale Bedingungen“, sagte Kuksin der unabhängigen Tageszeitung „Nowaja Gaseta”, „die sibirische Seidenraupe ist zur Plage geworden, sie verwandelte Bäume, vor allem Lärchen, in Totholz, und das brennt wie Zunder“.

Kritik an Brandbekämpfung der russischen Regierung

Der Klimawandel und seine Folgen erklären aus Sicht von Kritikern aber nicht das gesamte Ausmaß von den derzeit insgesamt 178 Waldbränden in Jakutien. Verantwortlich sei auch die russische Regierung wegen der unzureichenden Vergabe von Mitteln für Brand­bekämpfung und Waldschutz in Jakutien.

Nikita Andrejew, Verwalter des Bezirks Gornij, in dem in dieser Saison einige der größten Brände in Jakutien ausgebrochen sind, hält die sechs Rubel (sieben Euro-Cent), die er für die Brand­bekämpfung pro Hektar aus dem Bundes­haushalt erhält, für vollkommen unzureichend: „Das bedeutet, dass Dutzende von Bränden unkontrolliert weiterbrennen“, sagte er der Nachrichten­agentur AFP, „wobei der Schutz von Siedlungen Vorrang hat, anstatt dass die Brände generell gelöscht werden“.

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Nachdem am vergangenen Sonntag die jakutischen Behörden schließlich den Ausnahme­zustand ausgerufen hatten, da das Feuer menschliche Siedlungen bedrohte und Massen­evakuierungen vorgenommen werden mussten, reagierte der Kreml zwei Tage später und kündigte zusätzliche Mittel zur Brand­bekämpfung in Jakutien an: „Der Minister für Zivilschutz, Notfälle und die Beseitigung der Folgen von Natur­katastrophen, Jewgenij Zinitschew, ist angewiesen worden, die Zahl der Einsatzkräfte für die Brand­bekämpfung zu erhöhen und den Einsatz von Lösch­flug­zeugen zu intensivieren“, hieß es in der Erklärung von Präsident Wladimir Putin.

Brand­bekämpfung mit Schaufeln statt mit modernen Technologien

Die Zahl der 4200 Brandbekämpfer, die derzeit mit 655 Fahr- und Flugzeugen laut einer Meldung der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass in Jakutien im Einsatz sind, klingt zwar stolz, aus ihr geht aber nicht hervor, dass es sich dabei um viele Freiwillige handelt, die schlecht ausgebildet und häufig mit unzu­reichendem Material ausgestattet sind, um die Brände auf einer Fläche von der knapp fünffachen Größe Frankreichs zu bekämpfen.

Der Duma-Abgeordnete Fedot Tumusow, der aus Jakutien stammt, forderte deswegen in einem Beitrag auf Facebook den Rausschmiss von Umwelt­minister Aleksandr Kozlow, weil dieser es versäumt habe, für moderne Brand­bekämpfungs­technologien in der Republik zu sorgen: „Wir löschen Brände auf einer Million Hektar mit Schaufeln“, schrieb Tumusow. „Es gibt spezielle Spreng­stoff­projektile, die dort eingesetzt werden, wo man den Boden nicht erreichen kann und wo Wasser wirkungslos ist, sowie viele andere Möglichkeiten zur Brand­bekämpfung. Aber wir haben Schaufeln.“

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Brände in Jakutien sorgen auch im Aus­land für Beun­ruhigung

Die Brände in Jakutien führen allerdings nicht nur innerhalb Russlands zu Unruhe und Konflikten, sondern sie sorgen auch im Ausland für Beunruhigung: Seit Juni seien durch das Feuer 505 Mega­tonnen Kohlen­dioxid emittiert worden, sagte Mark Parrington vom Kopernikus-Atmosphären­überwachungs­dienst der EU der Nachrichten­agentur Reuters: „Das ist jetzt schon mehr als der Rekordwert von 450 Megatonnen, der während der gesamten Wald­brand­saison in Jakutien im vergangenen Jahr ausgestoßen wurde.“ Um die Tragweite der Zahlen zu verdeutlichen, zieht der Experte einen Vergleich: Die 450 Megatonnen freigesetztes Kohlendioxid entsprächen den Emissionen, die der gesamte Benzin­verbrauch in Mexiko im Jahr 2018 verursacht habe.

Aleksander Fjedorow aus Jakutsk weist darauf hin, dass durch die Brände nicht nur große Mengen an Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen und Materie zerstört wird, die dieses absorbieren kann, sondern auch ein massives Schmelzen des bereits auftauenden Permafrosts in Jakutien ausgelöst werden könnte: „Und da der Permafrost doppelt so viele Treibhausgase enthält wie die Atmosphäre“, verdeutlicht er, „könnte dies den Klimawandel in katastrophaler Weise verschärfen. Das wäre für die ganze Welt ungesund – für jeden“, warnt der Permafrost­forscher.

RND

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