Pink-Floyd-Legende im Antisemitismussumpf

Roger Waters tourt durch Deutschland: Unsterbliches Werk, unmöglicher Autor

Roger Waters im März 2023 bei seinem Konzert in Barcelona: Er hat Musik für die Ewigkeit geschaffen, mit seinen politischen Positionen aber hat er sich ins Abseits der Öffentlichkeit manövriert.

Roger Waters im März 2023 bei seinem Konzert in Barcelona: Er hat Musik für die Ewigkeit geschaffen, mit seinen politischen Positionen aber hat er sich ins Abseits der Öffentlichkeit manövriert.

Eins muss man ihm lassen: Der Mann beherrscht sein Handwerk, auch noch mit fast 80 Jahren, die an ihm nicht spurlos, aber doch gnädig vorbeigegangen zu sein scheinen. Roger Waters, Held mehrerer Generationen von Musikfans, der Mann, der Pink Floyd war (David Gilmour wird an dieser Stelle womöglich aus dem Text aussteigen), ist live noch immer eine Macht. Die Shows seiner aktuellen „This Is Not a Drill“-Tour sind, wie man heute sagt, immersive Erlebnisse. Wer dabei ist, schwimmt in epischer Unterhaltung aus Farben und walzender Wucht.

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Da ist aber auch der andere Roger Waters, der politische, wobei man den einen ohne den anderen mittlerweile nicht mehr denken kann. Wer Waters will, bekommt ihn, und zwar in seiner ganzen Fülle. „Der Ex-Pink-Floyd-Musiker ließ es sich nicht nehmen, alle Hits seiner einstigen Gruppe zu präsentieren“, schrieb die Tageszeitung „Le Parisien“ über den ersten der zwei Auftritte in der französischen Hauptstadt in dieser Woche. „Aber er schüttete auch viel von seinen politischen Überzeugungen aus.“ Ab Sonntag ergießen sie sich über Deutschland, fünf Shows stehen im Kalender, Auftakt in Hamburg.

Germany, this is not a drill: Der Ernstfall ist da

84 Konzerte umfasst die verkaufswirksam als „erste Abschiedstournee“ angekündigte Tour des Briten, den US-Teil hat er bereits im Sommer und Herbst des vergangenen Jahres hinter sich gebracht, seit Mitte März ist Europa dran. Bisher ist die Sache ein großer Erfolg, die Hallen sind gut gefüllt, die Kritiken positiv, aber jetzt eben geht es nach Deutschland, und hier bekommt „This is not a drill“ noch einmal eine neue Bedeutung, nämlich seine eigentliche. Das ist keine Übung, der Ernstfall ist da, vor allem für die Städte, in denen Waters auftritt, neben Hamburg sind das Köln (9. Mai), Berlin (17./18. Mai), München (21. Mai) und Frankfurt (28. Mai).

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Waters steht, das ist einer der Hauptvorwürfe, der BDS-Bewegung nahe. BDS steht für Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen – und zwar gegen den Staat Israel, um ihn zu isolieren, unter Druck zu setzen in der Palästina-Frage. Der Kampagne wird seit jeher Antisemitismus vorgeworfen, der Bundestag kam 2019 zu der Feststellung: „Die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung sind antisemitisch.“ Eine Klage gegen den Parlamentsbeschluss zur Ächtung der Bewegung, angestrengt von BDS-Anhängern, wurde 2021 vom Berliner Verwaltungsgericht abgewiesen. Antisemitismus, also. Und Roger Waters, so das landläufige Urteil, macht munter mit.

Roger Waters und die Nazi-Symbolik

Zu zweifelhafter Berühmtheit hat es das riesige Schwein gebracht, das Waters während seiner „The Wall Live“-Tour vor einem Jahrzehnt über die Köpfe der Konzertbesucher schweben ließ, mit dem Davidstern auf der Wange, unweit davon das Dollar-Zeichen. Der Jude und das Geld – ein Klassiker des Antisemitismus. Waters ließ den Davidstern rasch wieder verschwinden, das Schwein aber fliegt bis heute, als Zeichen der Ablehnung von Dogmen und Ideologien, auch im Pariser Bezirk Bercy war es Bestandteil der Show. Genauso wie der schwarze Ledermantel mit Armbinde, prominentester Ausdruck von Waters‘ unzweideutigem Spiel mit Nazi-Symbolik. Das kommt jetzt auf Deutschlands Bühnen. Darf man das zulassen?

Man muss. Trotz allem, trotz der nicht nur in Bildsprache, sondern auch in Worten vorgetragenen Haltung des Musikers, zuletzt hatte er sich mit absurden Aussagen zum Krieg gegen die Ukraine den Stempel des Putin-Verstehers verdient. „Die Äußerungen von Roger Waters“, heißt es von der Hamburger Kulturbehörde, „sind in der Tat mindestens irritierend und widersprüchlich und legen einen Schatten auf sein unbestrittenes musikalisches Werk.“ Das Konzert finde aber „nicht in städtischer Verantwortung“ statt. Also: keine Handhabe, Bühne frei, die Barclays Arena gehört am Sonntagabend Roger Waters und seinen Fans. Was auch für Köln, Berlin, München und Frankfurt gilt, wobei gerade die Frankfurter alles unternahmen, um die Sache noch abzuwenden.

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Der Betreiber der historischen Festhalle, in der 1938 nach den Novemberpogromen Tausende Juden zusammengetrieben und in Konzentrationslager deportiert worden waren, ließ Waters nach Beschluss des Magistrats die Kündigung des Vertrags für den Auftritt zukommen. Seine Anwälte klagten erfolgreich, zurück blieb eine düpierte Stadt, der Vorgang bekam weltweit Aufmerksamkeit und mit ihm Waters selbst am meisten. Das nennt man Streisand-Effekt.

Waters wird spielen. Teile der Zivilgesellschaft halten dennoch oder gerade jetzt weiter dagegen, für mehrere Städte sind Protestaktionen und Gegenveranstaltungen geplant, in Köln wird es am Montag eine Kundgebung geben, Oberbürgermeisterin Henriette Reker wird sprechen. Abhalten werden sich die meisten derer, die ein Ticket für eines der Konzerte besitzen, dadurch aber vermutlich nicht. Auch wenn sie sich – aus dieser Pflicht sich selbst gegenüber kommt keiner raus – zu der Sache irgendwie verhalten müssen. Dahinter lauert die unvermeidliche Frage: Kann man Werk und Autor trennen?

Wer seine Weltsicht ablehnt, kann sich laut Waters „verpissen“

Roger Waters macht es den Fans seiner Musik, die zweifellos für die Ewigkeit ist, dabei nicht leicht. Er ist ein Mann in der Radikalopposition, gefühlt zu allem und jedem. Über die gigantische Bühnenleinwand seiner aktuellen Tour oszilliert in Schlagworten seine Agenda, Trans-Rechte, Rechte für Geflüchtete, Reproduktionsrechte, Freiheit für Whistleblower. Für die Schwachen, gegen das Establishment. Und gleichzeitig immer wieder diese Symbolik, die zweite Ebene, das, was Kritiker als antisemitisch bezeichnen.

Dass jene Kritiker bei ihm nicht erwünscht sind, daraus macht Roger Waters im Übrigen kein Geheimnis. Vor den Konzerten lässt er seit einiger Zeit eine Gebrauchsanweisung für seine Show über die Leinwand laufen: „Wenn du einer von diesen ‚Ich liebe Pink Floyd, aber ich kann Rogers politische Ansichten nicht ausstehen‘-Typen bist, dann solltest du dich genau jetzt lieber an die Bar verpissen.“

So viel zur Trennung von Werk und Autor bei Roger Waters.

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