Die Spiele der Technik

Vollautomatisch: Miraitowa, das Maskottchen der Olympischen Spiele in Tokio.

Vollautomatisch: Miraitowa, das Maskottchen der Olympischen Spiele in Tokio.

Zuerst wippt er im Beat der Musik, aber als ich näher komme, hebt er die Hand zum Gruß. Er nimmt sie nicht wieder runter. „High five!“, scheint er zu fordern. Und als ich einschlage, beginnen seine Augen zu leuchten, sein überdimensionierter Kopf kindlich zu nicken. Miraitowa heißt das ungefähr 30 Zentimeter hohe, weißblaue Männchen mit kurzen Beinen und Hasenohren, das dank eingebauter Kameras im Kopf die Passanten schon von Weitem erkennt.

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Beim Händeschütteln mit ihm wäre dieser Tage Vorsicht geboten, die Pandemie grassiert bekanntlich auch in Tokio, der größten Metropole der Welt. Deswegen sind viele Gäste und Offizielle, die Miraitowa – oder sein rosa-weißer Zwilling Someity – begrüßt, eher verhalten. Ansonsten bewegen sich die zwei kleinen Grüßonkel mit guter Orientierung und viel Geschicklichkeit. Sie haben 20 Gelenke und diverse Gesichtsausdrücke, mit denen sie auf ihr Gegenüber reagieren können.

Anders als sonst für Olympische Spiele typisch handelt es sich bei den Maskottchen von „Tokyo 2020“ nicht bloß um in quietschbunte Kostüme verpackte Menschen. Miraitowa und Someity sind Roboter. Sie sollen dafür stehen, dass die Spiele von Tokio, die am 23. Juli begonnen haben, die „innovativsten Spiele jemals“ werden – so behaupten es die japanischen Veranstalter und das Internationale Olympische Komitee (IOC). Miraitowa lässt sich in etwa übersetzen mit „Was bedeutet Zukunft?“

Hightechland Japan: Ein Lieferroboter, der autonom Essen verteilt.

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Mit Robotern zum Erfolg?

Die autonomen Maskottchen sind nur ein Hinweis auf das, was sich die Organisatoren und deren Sponsoren unter der Antwort vorstellen. „Bei ‚Tokyo 2020‘ wollen wir die Imaginationskraft der Menschen erobern, indem wir ihnen Roboter zur Verfügung stellen, die aus den Spielen einen Erfolg machen.“ Das sagte Nobuhiko Koga, Leiter des Frontier Research Center des IOC-Sponsors Toyota, noch vor der Pandemie. Er dürfte sich nicht ausgemalt haben, wie bedeutend solche Entwicklungen diesen Sommer noch werden könnten. Und wohl auch kaum, dass sein Unternehmen kurz vor Start der Spiele entschieden hat, in Japan lieber keine Fernsehwerbung mit Bezug zu den Olympischen Spielen zu zeigen. Man hatte wohl einen Imageschaden befürchtet.

Bei Tokyo 2020 wollen wir die Imaginationskraft der Menschen erobern, indem wir ihnen Roboter zur Verfügung stellen, die aus den Spielen einen Erfolg machen.

Nobuhiko Koga, Leiter des Frontier Research Center des IOC-Sponsors Toyota

Nun, da die olympischen Spielstätten von Tokio inmitten der Pandemie größtenteils leer bleiben müssen, wird das Zuschauen aus der Ferne wichtiger. Für solche Situationen, aber ohne von einer Pandemie etwas zu ahnen, hat Toyota den T-TR1 entwickelt, einen sich auf Rollen bewegenden Roboter mit einem menschengroßen Bildschirm. Auf den ersten Blick handelt es sich um nicht mehr als ein Medium wie ein Flatscreen. Allerdings kann der T-TR1 auch als Kommunikator zwischen Zuschauern in der Ferne und Personen vor Ort in der Spielstätte dienen.

So sollen Publikumsfragen ins Stadion hinein ermöglicht werden. Die vertikale Struktur des Bildschirms soll dazu beitragen, dass Menschen am Wettbewerbsort darauf in Lebensgröße abgebildet werden. Etwas Ähnliches kann ein weiterer von Toyota für die Spiele entwickelter Roboter namens T-HR3, der anders als T-TR1 ein Humanoide ist mit Kopf, Armen und Beinen. Der Telepräsenzroboter kann per Kamera die Bewegungen eines Zuschauers draußen spiegeln, damit im Stadion die Athleten abklatschen und theoretisch auch umarmen. Dinge, die in Zeiten von Social Distancing selten geworden sind und nun zumindest mittelbar möglich werden.

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Wie ein intelligenter Rasenmäher bei Olympia

Langfristig könnten diese Innovationen tatsächlich eine Art Stadionerlebnis von außen ermöglichen. Man wäre wohl auf eine Weise das, was der Sportsender DSF in den Neunzigerjahren mit einem Werbespruch versprach, ohne es einzulösen: „Mittendrin statt nur dabei.“ Allerdings werden wohl auch die Roboter T-TR1 und T-HR3 ihre Versprechen nicht einlösen können. Da angesichts der Pandemie auch Public-Viewing-Events abgesagt worden sind, dürften die Roboter keine Chance haben, außerhalb der Stadien mit großen Menschenmengen zu interagieren.

Eine Neuerung, die sich ausschließlich in den Stadien bemerkbar macht, ist der FSR – Abkürzung für „Field Robot Support“. Der Assistenzroboter in Form einer fahrenden Box funktioniert in etwa wie ein intelligenter Rasenmäher: Im Olympiastadion sammelt er während der Wettkämpfe zum Beispiel geworfene Stäbe beim Weitwurf wieder ein. Er soll die kürzesten und sichersten Routen durch das Stadion finden, sodass parallel stattfindende Wettkämpfe nicht gestört werden.

Es ist eine clevere Art, menschliche Arbeitskräfte zu ersetzen, die zwischen geworfenen Speeren immer latent in Gefahr schweben. Der Erfolg des FSR wird wohl davon abhängen, wie gut er tatsächlich programmiert ist. Denn anders als intelligente Rasenmäher, die sich meist nur bedingt klug verhalten, da viele von ihnen schwach auf sich bewegende Personen reagieren, müsste der FSR dies sehr wohl beherrschen – und zwar mit hoher Reaktionsgeschwindigkeit. Athleten sind schließlich schnell. Jeder kleinste Fehler, der die Wettkämpfe stört, wäre wohl ein großer Skandal.

Nicht ganz so heikel sieht es mit dem „Human Support Robot“ (HSR) aus und mit dem wesensverwandten „Delivery Support Robot“ (DSR). Auch sie fahren auf Rollen, orientieren sich per Kamera und finden die kürzesten Wege zum Ziel. Der DSR soll durch die Stadien navigieren und den Zuschauern Getränke oder Popcorn zunächst per Tabletbestellung verkaufen und dann liefern. Die Stadien in und um Tokio müssen allerdings bis auf Journalisten und VIPs des IOC leer bleiben. Doch Spielstätten, die weiter entfernt von der Hauptstadt liegen, dürfen eine Auslastung von bis zu 50 Prozent zulassen. Dort können die Roboterdiener zum Einsatz kommen.

Gehhilfe vom Roboter

Der HSR („Human Support Robot“) wird dagegen womöglich dann prominent, wenn die Olympischen Spiele vorbei sind und die Paralympics begonnen haben. Der „Human Support Robot“ dient mobilitätseingeschränkten Personen per ausgefahrenem Greifarm als Gehhilfe oder Taschenträger. Auch hier muss sich erst zeigen, wie gut er wirklich ist. Mobilitätseinschränkungen sind sehr vielfältig. Ein Roboter, der für einen Rollstuhlfahrer gut funktioniert, ist für einen anderen Menschen womöglich nicht auszuhalten. Der Erfolg während der Spiele – und damit auch die Übertragbarkeit in den Alltag – wird maßgeblich von der Anpassungsfähigkeit des HSR abhängen.

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Eine echte Hilfe, unabhängig von der Pandemie oder Sport, bietet wohl der Sutsugatarobo genannte Assistent, dessen Bezeichnung sich übersetzen lässt mit „anzugartiger Roboter“. Es handelt sich um ein mit Sensoren ausgestattetes Exoskelett, das Träger schwerer Lasten unterstützen soll. Die Technologie hierfür stammt von Panasonic und wird während der Olympischen Spiele für Schlepper von Paketen, Getränkekisten und Ähnlichem genutzt. Künftig soll sie überall Verwendung finden, zum Beispiel in der Pflege.

Dass die Tokioer Spiele so sehr auf Robotik setzen, überrascht nicht. Im ostasiatischen Land dominiert seit Jahrzehnten die Ansicht, dass automatisierte, menschenähnliche Gestalten weniger eine potenzielle Bedrohung sind denn ein nützlicher, liebenswerter Assistent. Wohl auch deshalb ist Japan in der Assistenzrobotik – ob in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Kindergärten und Schulen – weltweit führend. Multilinguale Roboter werden als Behelfslehrer in Grundschulen eingesetzt, Roboterhaustiere mit weichem Fell für senile Senioren.

Automatische Supermarktkassen in Japan

Auch der öffentliche Alltag ist in Japan schon weitgehend automatisiert. Betritt man eine öffentliche Toilette, informiert einen nicht selten eine elektronische Stimme: „Dies ist eine männliche Toilette. Die weibliche ist vorne links.“ Rolltreppen mahnen einen, bitte an der Seite zu stehen und Platz für Passanten zu machen. Automatische Supermarktkassen bitten die Kundschaft, den Bezahlmodus auszuwählen, die Quittung zu ziehen und das Wechselgeld aus dem Auswurf zu nehmen. Fahrstühle und Getränkeautomaten suchen manchmal ebenso das Gespräch – auch wenn es dann einseitig bleibt.

Wann immer es sich um bewegliche Automatik handelt, sind die Roboter häufiger humanoider Gestalt, also in menschenähnlicher Form. Dies betrifft einerseits Spielzeuge für Kinder. Aber auch Concierges in Kaufhäusern erinnern mit ihren wirbelnden Armen und nickenden Köpfen schnell an Menschen.

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Die Inspiration für neue Roboter kommt dabei oft aus der Popkultur, auch in der Spitzenforschung. Hiroshi Ishiguro leitet an der Universität Osaka ein Labor zu „Human-Robot-Interaction“ und baut menschengleiche Maschinen. Sein Ziel ist, Roboter zu Freunden zu machen, wie es in Film, Literatur und Comic längst geschehen ist. Da wäre etwa die berühmte Mangaserie „Astroboy“, die in den Nachkriegsjahrzehnten die Herzen der japanischen Jugend eroberte. Auch Doraemon, der in vielen Ländern als Animefigur berühmt wurde, ist ein Roboter.

Das Humanoide reicht aber auch in die therapeutische Welt. Yoshiyuki Sankai, ein Mitstreiter Ishiguros, entwickelt im Innovationscluster von Tsukuba, nördlich von Tokio, Exoskelette zur Rehabilitation. Versehrte legen sich diese Geräte an, trainieren so ihre Muskelreize und lernen nach Verletzungen möglichst wieder zu laufen. Auch über deutsche Unfallversicherungen wird das Gestell schon eingesetzt. Sankai hat sein Unternehmen übrigens Cyberdyne genannt, so wie ein Roboterhersteller aus den „Terminator“-Filmen mit Arnold Schwarzenegger. Das Foyer der Unternehmenszentrale schmücken Figuren von alten Science-Fiction-Animationen. Sankai macht kein Geheimnis daraus, woher er seine Ideen hat.

Roboter aus dem Kaufhaus

In Tokios wuseligem Stadtteil Shinjuku bietet ein Kaufhaus seit rund zwei Jahren eine ganze Abteilung für Assistenzroboter an, die mal äußerlich und mal inhaltlich an zumindest in Japan allgegenwärtige Animationen wie Doraemon oder Astroboy erinnern. Da gibt es etwa intelligente Maschinen, die den Wäschetrockner leeren und anschließend die Kleidung nach deren Besitzern aufteilen können. Oft sind auch solche Roboter humanoid. Denn weniger als in westlichen Gesellschaften werden menschliche Eigenschaften an Maschinen in Japan als niedlich empfunden.

Wie wird die restliche Welt dies wohl empfinden, wenn sie über die TV-Bildschirme zumindest einige der neuen Entwicklungen in den Olympiastadien sieht? Diese dort zur Schau zu stellen gilt ihren Entwicklern als einmalige Gelegenheit – selbst wenn einige Roboter durch die pandemiebedingte Verschiebung auf diesen Sommer ein Jahr auf ihren ersten Einsatz warten mussten, andere sich noch immer nicht recht werden präsentieren können.

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Errungenschaft zu den Olympischen Spielen 1964: der Shinkansen-Zug.

Errungenschaft zu den Olympischen Spielen 1964: der Shinkansen-Zug.

Die größte Sportveranstaltung der Welt wird wegen ihres Milliardenpublikums am Bildschirm immer wieder als Schauplatz für neue Entwicklungen genutzt. Als Tokio 1964 zum ersten Mal die Olympischen Spiele veranstaltete, wurde parallel der Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen eingeweiht. Und die Wettbewerbe wurden erstmals weltweit per Satellit übertragen.

Im Jahr 2018 nutzte auch Südkorea Olympia für eine Art Catwalk, als in Pyeongchang die Winterspiele stattfanden. Südkoreas Techgiganten erprobten erstmals 5G-Internet und führten „immersive gaming“ vor, also Gaming mit besonderer Spieltiefe anhand von Virtual-Reality-Brillen (VR-Brillen). Durch so eine Brille taucht man in eine grafisch hochwertig programmierte virtuelle Welt ein, in der man sich etwa Objekten sichtbar nähert, wenn man voranschreitet. Mittlerweile gibt es VR-Escape Rooms, VR-Beziehungssimulationen und sogar VR-Pornos.

Branche hat sich nicht etabliert

Im Jahr nach den Spielen von Pyeongchang erprobte der Telekommunikationskonzern KT auf Basis der 5G-Technologie erstmals so etwas wie Hologrammtechnik in einem Baseballstadion: Durch die Smartphones der auf den Rängen sitzenden Besucher sichtbar flog direkt vor dem Spiel ein Drache durch das Stadion und erschlug mit seinem Schwanz die Anzeigetafel. Als die Zuschauer nicht mehr auf ihre Handys mit der ultrahohen Übertragungs­geschwindigkeit blickten, war wieder alles beim Alten.

Japan, ein Land, in dem der Kaffee in manchen Hotels schon jetzt ganz automatisch serviert wird.

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Dass sich die bei Sportgroßereignissen erprobten Technologien durchsetzen, ist aber nicht sicher. Die Branche der virtuellen Realität, von Quasihologrammen bis zu Games durch VR-Brille hat sich auch drei Jahre nach den Spielen in Pyeongchang noch nicht etabliert. Mehrere Start-ups, die damals mit neuen Ideen auf den Markt drängten, sind wieder verschwunden. Ähnlich ist es mit diversen Robotern, die japanische Betriebe immer wieder entwickelt haben. Vor sechs Jahren öffnete etwa im westjapanischen Nagasaki das Henna Hotel, das von der Rezeption über den Concierge bis zur Kantine alles Robotern überlassen sollte. Nach und nach wurden die Maschinen jedoch wieder durch Menschen ersetzt, weil die Roboter doch nicht so zuverlässig arbeiteten. Expandiert ist die Hotelkette auch nicht wie geplant. Immerhin ist der Roboter Pepper in Quarantänehotels, in denen Einreisende untergebracht sind, tätig.

Nun könnte gerade die Pandemie, die für die Olympischen Spiele von Tokio an sich ein großes Unglück ist, für die in ihrem Rahmen vorgestellten Roboter auch eine langfristige Chance sein. Abgesehen von den Maskottchen, die nur grüßen wollen, sind viele Roboter dazu da, menschliche Nähe zu ersetzen. Womöglich wird der Bedarf dafür auch nach der Pandemie noch bestehen.

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