Nutzer feiern virtuelle Sexpartys bei Zoom: Anbieter reagiert
Hannover. Unter den Einschränkungen während der Corona-Pandemie leiden nicht nur die sozialen Kontakte, sondern auch die sexuellen. Aber das Internet wäre ja nicht das Internet, würde es in Zeiten ausfallender Tinder-Dates nicht kreativ werden. Der neueste Schrei: Virtuelle Gruppensexorgien beim Videokonferezanbieter Zoom.
Das “Rolling Stone”-Magazin hat das Phänomen näher unter die Lupe genommen und festgestellt: Die Szene hat sich seit dem Corona-Lockdown enorm professionalisiert. So ist in dem Bericht etwa von einem Privatclub aus den USA die Rede, der “Sex und cannabispositive Erfahrungen” per Videochat anbietet.
Ein Londoner Sexclub streamt derweil lesbische Orgien. Die Chefin des Clubs beschreibt das Event gegenüber der “New York Post" als “virtuelle Hausparty”. Kosten: 25 Dollar die Nacht – bei einem echten Event in dem Sexclub wären es 312 Dollar gewesen.
Zoom wird zur Sexchat-App
Und auch der Veranstalter einer queeren Underground-Party aus dem New Yorker Stadtbezirk Brooklyn kommt in dem Artikel zu Wort. Er musste wegen Covid-19 sein Geschäftsmodell ändern: Über die Videokonferenz-App Zoom organisiert er seither nächtliche Masturbationspartys, vor allem für schwule Männer. Das Ziel: Ein Zoom-Raum, in dem sich alle in der Corona-Krise “frei fühlen können”.
Der Mann aus Brooklyn, der in dem Artikel anonym bleiben möchte, hält das in Zeiten der Corona-Pandemie für essenziell. Die Corona-Krise sei eine Zeit voller Ängste – etwa, weil man krank werden oder seinen Job verlieren könnte. Hinzu kämen die Kontaktbeschränkungen. Er selbst leide unter Depressionen. “Viele verbringen den ganzen Tag im Bett und gucken Fernsehen.” Die Masturbationspartys bei Zoom seien hingegen “ein guter Weg mit der Community in Kontakt zu treten und sicher zu gehen, dass alle sich gut fühlen.”
Gerade die Plattform Zoom erfreut sich seit den Corona-Einschränkungen ohnehin enormer Beliebtheit. Hatte die Videokonferenz-App zuvor noch zehn Millionen tägliche Nutzer, so sind es jetzt über 200 Millionen. Wurde sie vorher vor allem von Unternehmen für Videokonferenzen genutzt, so ist Zoom heute ein virtueller Treffpunkt für Freunde, die sich wegen der Corona-Einschränkungen nicht mehr treffen können. Oder für Unterrichtsstunden, Yogastunden und Geburtstagsfeiern. Also warum nicht auch für Sex?
Nackheit ist auf Zoom verboten
Problematisch ist die Sache, weil Sexchats – egal ob organisiert oder privat – bei Zoom eigentlich gar nicht erlaubt sind. Das “Rolling Stone”-Magazin hat beim Videokonferenzanbieter angefragt und eine eindeutige Antwort erhalten: “Die Benutzerrichtlinien von Zoom verbieten ausdrücklich, obszöne, unanständige, illegale oder gewalttätige Aktivitäten oder Inhalte auf der Plattform zu verbreiten”, wird ein Sprecher zitiert.
Auch kündigt Zoom eine “Reihe von Maßnahmen” gegen Nutzer an, die die App für “Aktivitäten verwendet, die schädlich, obszön oder unanständig sind.” Dazu zählten auch “Nacktheit, Gewalt, Pornografie (und) sexuell explizites Material”.
Weiter heißt es: “Wir ermutigen Benutzer, mutmaßliche Verstöße gegen unsere Richtlinien zu melden und verwenden eine Mischung von Tools, einschließlich ‘Machine Learning’, um proaktiv Konten zu identifizieren, die möglicherweise gegen diese Richtlinien verstoßen.”
Guckt Zoom etwa mit?
Gerade der letzte Punkt dürfte viele Nutzer der App aufhorchen lassen: Wie genau will Zoom denn herausfinden, was gerade in einem – eigentlich doch sehr privaten – Chat passiert? Was machen die angekündigten Tools – und wie genau wollen sie feststellen, ob sich ein Nutzer gerade nackt vor der Kamera zeigt?
Auf Fragen wie diese hat das Magazin bislang keine Antworten erhalten – neu sind die Fragen aber keineswegs. In den vergangenen Wochen war der Videokonferenzanbieter immer wieder wegen Datenschutzmängeln in die Kritik geraten.
Für den sichtbarsten Ärger sorgte anfangs etwa das sogenannte Zoombombing, bei dem Fremde in Videokonferenzen eindrangen. So wurden etwa Gottesdienste und Schulstunden in den USA mit rassistischen Schimpftiraden oder dem Vorzeigen von Nazi-Symbolen unterbrochen. Bei virtuellen Treffen der Anonymen Alkoholiker wurden Fotos trinkender Menschen eingeblendet. Die “New York Times” fand in dunkleren Ecken des Netzes – aber auch bei Instagram – Gruppen, in denen solche Attacken ausgeheckt wurden.
Allerhand Probleme mit dem Datenschutz
Später warfen Experten einen tieferen Blick auf die Sicherheitsvorkehrungen von Zoom und entdeckten zum Teil haarsträubende Mängel. “Zoom ist bei der Sicherheit bestenfalls schlampig und schlimmstenfalls bösartig”, kritisierte etwa der Kryptografiefachmann Bruce Schneier. “Die Verschlüsselung bei Zoom ist schrecklich.” Forscher am Citizen Lab der Universität von Toronto stellten fest, dass Zoom eine Verschlüsselungsmethode nutzt, die als unzureichend gilt.
Weitere Probleme des Dienstes waren etwa die ungefragte Weitergabe von Daten an Facebook, das willkürliche Gruppieren von Nutzern mit demselben E-Mail-Dienst, die Umleitung mancher Konferenzen über Server in China und die Möglichkeit, Webadressen zu erraten, unter denen einige Aufzeichnungen von Zoom-Konferenzen gespeichert sind. Firmenchef Yuan kündigte an, in den nächsten drei Monaten statt der Einführung neuer Funktionen die Schwachstellen stopfen zu wollen.
Würde der Dienst nun proaktiv gegen mögliche Sexpartys vorgehen, könnte sich das zu einem weiteren Skandal ausweiten. Vor allem dann, wenn die Kontrolle der Chats nicht transparent stattfindet.
Anbieter glaubt nicht an ein schnelles Ende
Der Erfinder der Zoom-Sexpartys aus Brooklyn glaubt jedenfalls nicht, dass der Videokonferenzanbieter die Orgien so schnell verbieten wird. Menschen hätten Zoom schließlich schon lange vor der Pandemie für Sexchats genutzt, es habe nur niemanden interessiert. “Ich denke, das ist einfach nur ein weiteres Unternehmen, das klarmachen möchte, dass es solche Dinge nicht auf seiner Plattform gibt. Aber klar gibt es sie", sagt er.
Der Veranstalter selbst habe seine Sexpartys ohnehin bereits der aktuellen Diskussion angepasst. Eine seiner letzten Partys wurde als “Business Meeting” verkauft, mit dem Dresscode “Anzug” – also ganz Zoom-konform. Zumindest bis zu dem Punkt, als alle Teilnehmer aufgefordert wurden, ihre Hose herunterzulassen.
Mit Material von dpa