Null Promille: Alkoholfreies Bier boomt
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Insgesamt wurden im vergangenen Jahr in Deutschland mehr als sechs Millionen Hektoliter alkoholfreies Bier getrunken – eine Steigerung um mehr als 100 Prozent innerhalb von zehn Jahren.
© Quelle: stockphoto-graf/Adobe
Hannover. Autofahrer hatten es früher nicht leicht. Wen bei einer Party das Los des Lenkrads ereilte, dem schwappte eine Welle des Mitleids entgegen – von den Gästen, die sich derweil selbst in einer Welle des Alkohols vergnügten.
Während der harte Kern in der Küche lautstark über die Ungerechtigkeit der Welt und die Party vom Vortag philosophierte, zwängten sich Autofahrer vorbei bis hin zum Kühlschrank und griffen nach einer Flasche Bier – alkoholfreies Bier. Denn das Los des Lenkrads bedeutete: Spaß bei 0,0 Prozent. „Nicht immer, aber immer öfter“, wie damals das alkoholfreie Clausthaler warb.
Die Kernaussage in dieser Werbung könnte man auf eine simple These reduzieren: Wirklich coole Leute brauchen keinen Alkohol. Blöd nur, dass alkoholfreies Bier trotzdem lange Zeit geradezu als Inbegriff des Uncoolen galt.
Alkoholfreies Bier ist zum Trendgetränk geworden
Doch Dinge ändern sich: Alkoholfreies Bier ist zum Trendgetränk geworden. „Die Nachfrage im vergangenen Jahr hat selbst unsere optimistischen Prognosen übertroffen“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes (DBB), Holger Eichele.
Im Video: So gelingt ein alkoholfreier Pina Colada
2018 sei dieses Segment um fast 13 Prozent gestiegen, alkoholfreie Radler und vergleichbare Biermischgetränke sogar um gut 19 Prozent. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr in Deutschland mehr als sechs Millionen Hektoliter alkoholfreies Bier getrunken – eine Steigerung um mehr als 100 Prozent innerhalb von zehn Jahren.
Große Konzerne haben ihr Portfolio längst um alkoholfreie Varianten ergänzt. Heineken, Jever, Krombacher, Flensburger – viele von ihnen bieten mindestens eine alkoholfreie Variante an. Die Frankfurter Binding-Brauerei stellte ihr Clausthaler zum 40-jährigen Bestehen sogar gerade in mehreren neuen Sorten vor.
Im Video: die Geschichte des alkoholfreien Biers
„Mittlerweile ist jeder 15. Liter Bier, der in Deutschland hergestellt wird, alkoholfrei“, verdeutlicht es DBB-Hauptgeschäftsführer Eichele. Damit seien die hiesigen Hersteller weltweit führend in diesem Bereich. Die 1500 deutschen Brauereien haben heute insgesamt 400 bis 500 alkoholfreie Sorten im Programm.
Der Hype aber dürfte vor allem daran liegen, dass auch immer mehr kleine Brauereien nachziehen, mit immer neuen Sorten. Etliche Craft-Beer-Start-ups sind auf den Zug aufgesprungen und bieten unter anderem India Pale Ales, Sour-Biere, Lager und vieles mehr ohne Alkohol an.
Die Rügener Insel-Brauerei etwa hat gleich vier Sorten im Sortiment, darunter ein IPA mit Meersalz. Maisel and Friends aus Bayreuth kommt mit einem alkoholfreien Pale Ale. Kehrwieder aus Hamburg nennt sein IPA ohne Alkohol „überNormalNull“.
Das „Aubi“ gibt es weiterhin
Streng genommen haben die meisten dieser Biere bis zu 0,5 Prozent Alkohol – doch dies gilt noch als alkoholfrei. Selbst Fruchtsäfte können durch Gärung einen solch hohen Anteil aufweisen. Eichele sieht alkoholfreies Bier als „idealen Durstlöscher“ an. „Sie enthalten im Vergleich zu alkoholhaltigen und verschiedenen alkoholfreien Getränken wie Säften und Limonaden weniger Kalorien.“
Im Video: Ist alkoholfreies Bier ein gutes Sportgetränk?
Ulrich Wappler entwickelte das erste alkoholfreie Bier Deutschlands in der VEB Engelhardt-Brauerei in Berlin-Stralau. Er stellte sein „Aubi“ (Autofahrerbier) 1972 auf der Leipziger Messe vor – es sollte im 0,0-Promille-Staat vor allem ein Devisenbringer an Autobahnraststätten werden. Die Brauerei wurde 1990 geschlossen, doch Aubi gibt es noch immer: Dingslebener aus Thüringen produziert es inzwischen.
Michael Pohl/RND