Neue #MeToo-Bewegung: „Größte Revolte von Frauen, die Australien je erlebt hat“

Protestler gehen am 15. März in der australischen Stadt Brisbane auf die Straße.

Protestler gehen am 15. März in der australischen Stadt Brisbane auf die Straße.

Canberra. Die meisten kamen schwarz gekleidet. Mehrere Zehntausend Menschen, vor allem Frauen, sind in sämtlichen großen Städten Australiens auf die Straße gegangen, um gegen Gewalt gegenüber Frauen und für Gleichberechtigung zu kämpfen. Die March4Justice-Bewegung – Australiens neue #MeToo-Kampagne – hat sich über Wochen formiert, nachdem die australische Regierung mehrere Missbrauchsvorwürfe in der Politik nicht ernst genug nahm. Laut Organisatorinnen ist es die „größte Revolte von Frauen, die Australien je erlebt hat“.

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Angefangen hat die Welle der Unzufriedenheit mit einer jungen Frau, die einst in den Büros des australischen Parlaments in Canberra arbeitete. Brittany Higgins behauptete, sie sei 2019 von einem männlichen Kollegen im Büro einer Ministerin vergewaltigt worden. Als sie den Vorfall meldete, habe sie keine angemessene Unterstützung erhalten.

Australiens Justizminister Christian Porter äußert sich bei einer Pressekonferenz am 3. März zu den Vergewaltigungsvorwürfen.

Australiens Justizminister Christian Porter äußert sich bei einer Pressekonferenz am 3. März zu den Vergewaltigungsvorwürfen.

Der Ärger formierte sich aber erst in einer Bewegung, als ein weiterer, in diesem Fall historischer Missbrauchsvorwurf ans Tageslicht kam. So wurde der australische Justizminister Christian Porter in einem anonymen Brief an den australischen Premier einer Vergewaltigung bezichtigt, als er noch ein Teenager war. Die Anschuldigung stammte von Freunden des vermeintlichen Opfers. Dieses hatte den Vorfall, der sich 1988 während eines Debattierwettbewerbs an einer Universität ereignet haben soll, im vergangenen Jahr der Polizei gemeldet, sich später aber das Leben genommen. Porter selbst dementierte die Vorwürfe in einer teilweise emotionalen Pressekonferenz.

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Premier als „passiver Zuschauer“

In beiden Fällen verhielt sich der australische Regierungschef Scott Morrison zurückhaltend. Im Falle von Porter sagte er, dies sei Sache der Polizei. Diese stellte die Ermittlungen jedoch mangels Beweisen, und weil das Opfer nicht mehr lebt, ein. Eine unabhängige Untersuchung lehnte Morrison bisher ab. Den Fall von Brittany Higgins besprach Morrison erst mit seiner Frau Jenny, die ihm den Rat erteilte, die Angelegenheit doch als „Vater“ zu betrachten. Grace Tame, eine Aktivistin, die selbst eine Überlebende sexueller Übergriffe ist, und wegen ihres Engagements zur „Australierin des Jahres“ ernannt wurde, kritisierte Morrison vor allem wegen dieser Bemerkung. Es solle doch nicht nötig sein, dass man Kinder habe, „um ein Gewissen zu haben“, sagte sie vor Journalisten.

Australiens Premierminister Scott Morrison reagiert bislang zurückhaltend.

Australiens Premierminister Scott Morrison reagiert bislang zurückhaltend.

Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der unterschiedlichen Anschuldigungen hat die Reaktion Morrisons und anderer Regierungsmitglieder die Stimmung im Land aufgewühlt. „Es ist sehr gefährlich für einen Premierminister, sich in sehr ernsten Fällen wie diesen als eine Art passiver Zuschauer darzustellen“, sagte die politische Redakteurin des Guardian Australia, Katharine Murphy, im Interview mit der BBC. „Denn die Botschaft, die an die Frauen in Australien gesendet wird, lautet: ‚Ich höre nicht zu – ich nehme das nicht ernst.‘“ Auch am Protesttag selbst ließ sich der liberalkonservative Politiker nicht sehen. Er bot den Organisatorinnen des Protests aber ein separates Treffen hinter geschlossenen Türen an, das diese ablehnten.

„Vergiftete“ Atmosphäre

Wie „vergiftet“ die Atmosphäre für Frauen im australischen Parlament ist, ging bereits 2012 um die Welt, als die damalige Premierministerin Julia Gillard eine leidenschaftliche Rede gegen Sexismus und Frauenfeindlichkeit hielt und dabei schwere Vorwürfe gegen den damaligen Oppositionsführer Tony Abbott erhob. Gillard war dabei bei Weitem nicht das einzige „Opfer“. Ein liberaler Politiker beschimpfte im August 2012 eine Journalistin, die es wagte, eine kritische Frage zu stellen, als „Kuh“. Die damalige Finanzministerin Penny Wong musste sich 2011 Katzengeräusche von einem männlichen Oppositionspolitiker während einer Rede gefallen lassen und ein westaustralischer Politiker der Liberalen geriet in die Schlagzeilen, nachdem er am Stuhl einer Kollegin geschnüffelt hatte und als „Partytrick“ den BH einer Frau aufschnippte.

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Doch Frauen sind in Australien nicht nur im politischen Umfeld Sexismus und sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Das Problem ist tief in der Gesellschaft verwurzelt. Dies zeigt auch eine aktuelle Petition junger Frauen, die inzwischen über 35.000 Unterstützer hat und eine bessere Aufklärung junger Männer fordert. Sie brachte Tausende Geschichten junger Frauen ans Tageslicht, die sexuelle Übergriffe auf sie beschrieben. Die mutmaßlichen Täter sollen vor allem Schüler teurer Privatschulen für Jungen sein. Auch die Statistik zeichnet ein beunruhigendes Bild: So soll eine von fünf Frauen in Australien bereits mit sexuellem Missbrauch konfrontiert worden sein.

Tausende Australierinnen marschieren auf den Straßen der Metropole Sydney.

Tausende Australierinnen marschieren auf den Straßen der Metropole Sydney.

„Zeit der Abrechnung“

Wie viele Australierinnen von dieser frauenfeindlichen Kultur inzwischen genug haben, wurde am Sonntag und Montag deutlich, als Tausende auf die Straße gingen, um zu demonstrieren – darunter auch etliche Überlebende sexuellen Missbrauchs. Es sei an der Zeit, „auf Veränderung zu drängen“, sagte beispielsweise Carol Shipard, die selbst ein Missbrauchsopfer ist, dem „Guardian“. Starke Worte fand auch Aoife McGreal, die ebenfalls demonstrierte: „Ich habe das Gefühl, dass jede Frau eine Geschichte hat“, sagte sie. „Egal, ob es sich um Belästigung am Arbeitsplatz oder Missbrauch zu Hause oder auf der Straße handelt.“ Es sei an der Zeit für Frauen, das anzusprechen. „Ich denke, es ist eine Zeit der Abrechnung für Australien.“

Auch Kate Jenkins, die australische Gleichbehandlungskommissarin, die inzwischen von Morrison beauftragt wurde, um zumindest die Arbeitsplatzkultur im Parlament zu überprüfen, sagte im Interview mit dem staatlichen Sender ABC, dass sie in den letzten 30 Jahren noch nie einen solchen Moment erlebt habe. „Ich denke, unsere Community verändert sich – wir befinden uns an einem Wendepunkt.“

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