München gegen die „Klimakleber“: Juraprofessor sieht kein Verbot
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Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ am Karlsplatz in München: Die Demonstrationen am vorigen Montag (5. Dezember) waren wohl ausschlaggebend für die 300 Orte in München betreffende Allgemeinverfügung für die Stadt. Die kein wirkliches Versammlungsverbot darstellt, den Methoden der „Letzten Generation“ aber zuwiderläuft.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Es war ein schwarzer Freitag für die „Letzte Generation“ in Bayern. Die Stadt München hatte die „Klimakleber“, so schien es, mit einer Allgemeinverfügung quasi in die Nichtwahrnehmbarkeit verbannt. Von einem „Verbot“ war zu hören und zu lesen. Geht das mit dem Verbieten von Versammlungen so einfach in der bundesdeutschen Demokratie? Der Juraprofessor Christian Pestalozza von der Freien Universität Berlin winkt ab. Die Verfügung sei gar kein wirkliches Verbot.
Sagen die Behörden „nicht festkleben“, kleben Aktivisten sich fest
Ausschlaggebend für die Reaktion der Stadt München war eine „Letzte Generation“-Demonstration mit Straßenblockade am Münchner Altstadtring am vorigen Montag gewesen. Das Festkleben hatte den Ärger der Bayerischen Staatsregierung erregt, die Klebeproteste als strafbare Handlung gewertet wissen will. Das Münchner Kreisverwaltungsreferat hatte die Aktion zuvor gestattet, jedoch unter Auflagen: Zehn Minuten Demo auf der Fahrbahn waren erlaubt, ein Festkleben nicht.
Die Protestierenden klebten sich dennoch fest, überschritten die Zeit. Ein Déjà-vu für die Münchner Polizei: Sie löste die Aktivisten vom Asphalt und beendete die Protestaktion – wie so oft in den vergangenen Wochen. „Jegliche Kommunikation mit den Behörden“ sei „ausdrücklich abgelehnt“ worden, hieß es in einer Mitteilung der Stadt.
Pestalozza: „Die Allgemeinverfügung wird vor Gericht Bestand haben“
„Die Allgemeinverfügung ist gut begründet und nachvollziehbar“, erklärt der Berliner Rechtswissenschaftler Pestalozza auf eine Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). „Sie wird vor Gericht, sollte sie angegriffen werden, Bestand haben.“
Vor dem Entschluss zu dem Papier hätte man, so die Stadt München in einem Statement, versucht, „dem hohen Gut der Versammlungs- und Meinungsfreiheit einen angemessenen Raum zu geben und dabei gleichzeitig durch entsprechende Auflagen die Erfordernisse der Gefahrenabwehr umzusetzen, wie dies stets bei allen anderen Versammlungen praktiziert wird“. Nun ginge es darum, die „Freihaltung der Hauptrouten der Einsatz- und Rettungsfahrzeuge im Stadtgebiet jederzeit zu gewährleisten und möglichen Schaden für Leib und Leben abzuwenden, der aufgrund von Verzögerungen bei Einsatzfahrten entstehen könnte“.
Ein schrecklicher Unfall in Berlin wirkt bis heute nach
Wie vor Monatsfrist in Berlin, wo eine Frau mit dem Fahrrad von einem Betonmischer überrollt worden war und ein Rettungsfahrzeug durch eine Klebeaktion nicht vorankam. Damals waren zwei Klebeaktivisten wegen des Verdachts auf unterlassene Hilfeleistung und Behinderung hilfeleistender Personen ins Visier von Ermittlern geraten.
Zwar stellte sich durch den Bericht einer medizinischen Fachkraft heraus, dass der verunglückten Frau nicht mehr zu helfen gewesen wäre, die Berliner Feuerwehr sprach in ihrem Abschlussbericht aber davon, dass die Blockade der Klimaaktivisten die Anfahrt eines Rettungswagens um acht Minuten verzögert habe, weil dieser auf der A 100 im Stau stand. Im Zweifelsfall entscheiden acht Minuten über Leben und Tod.
Die „Letzte Generation“ will ihre Aktionen in München fortführen
„München untersagt alle Klimakleberproteste“ und „Stadt München verbietet alle Klimaproteste“ war kurz nach der städtischen Maßnahme im Internet zu lesen. Zwar ist nicht die ganze Stadt von der Allgemeinverfügung betroffen, sondern nur 300 Straßen und Autobahnstücke, und zunächst gilt die Verfügung auch nur bis zum 8. Januar. Aber wenn man an den publikumswirksamen Orten einer Kommune nicht mehr auftreten kann, ist aller Aktivismus quasi unsichtbar – und eklatant weniger wirksam.
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Schon am Samstag zeigten sich die Mitglieder der „Letzten Generation“ deshalb kampflustig. Man wolle sich nicht einschüchtern lassen: „Wir werden unsere Aktionen auch in den kommenden Tagen und Wochen fortführen“, wurden die Aktivisten in einer Stellungnahme auf der Website des Bayerischen Rundfunks (BR) zitiert. Das ist nicht ohne Risiko. In Bayern ist ein vorbeugender Arrest von bis zu 30 Tagen möglich.
Pestalozza: „Eine Anzeigepflicht ist auch im Interesse der Versammlungswilligen“
Verboten wird dabei allerdings zunächst gar nichts. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Allgemeinverfügung sei, so der Jurist Pestalozza, „dass es hier gar nicht um das vorbeugende Verbot aller Klebeaktionen geht, sondern allein um die Anzeigepflicht“. Die sei legitim. Die Anzeige einer Protestaktion bei der Kommune habe die Funktion, „die verantwortlichen Stellen rechtzeitig in die Lage zu versetzen, die Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die von der angezeigten Versammlung ausgehen können, unter Kontrolle zu bringen und zu halten“. Und dies sei ja wohl, so Pestalozza, „auch im Interesse der Versammlungswilligen selbst“.
Nach Durchsicht der 24-seitigen Schrift kommt Pestalozza zu dem Schluss, dass die Allgemeinverfügung „auch gestützt auf die bisherigen einschlägigen Erfahrungen gut begründet dar(legt), dass hier ohne die rechtzeitige Anzeige Sicherheit und Ordnung mit hoher Wahrscheinlichkeit in Gefahr sind“. Wer dies in Kauf nehme „und gerade deswegen die Versammlung nicht anzeigt, der missbraucht die Versammlungsfreiheit“, so Pestalozza, „und schadet dem eigenen Anliegen“.
Die „Klimakleber“ setzen aber nun gerade auf Spontaneität und Überraschungseffekt, wollen bewusst die Ordnung stören, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. In der Tat ecken sie damit immer öfter an.
In Berlin zerrten wütende Fahrerinnen und Fahrer Festgeklebte von der Straße
Am Montagmorgen lief eine Blockadeaktion der „Letzten Generation“ an fünf Berliner Autobahnauffahrten. Motto: „Advent, Advent – fossiler Wahnsinn bringt uns um!“ Auf einem Video, das das Bündnis bei Twitter postete, waren wütende Autofahrerinnen und Autofahrer zu sehen, die die Festgeklebten wüst beschimpften („Haut ab, ihr Hunde!“) und von der Straße zerrten.
„Wir können“, so hieß es in dem Post der Aktivistinnen und Aktivisten gegenläufig ruhig, „Frust absolut nachvollziehen.“ Um den Wandel in Schwung zu bringen, das steht zwischen den Zeilen, muss es auch ein wenig wehtun.
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Geht es nach dem CDU-Fraktionschef Kai Wegner, dann macht das Münchner Modell Schule – zuerst in der Hauptstadt. „Die Berliner Innensenatorin sollte es genauso in Berlin anordnen“, sagte Wegner. Die Aktivistinnen und Aktivisten störten „auf lebensgefährdende Weise den Verkehr“ und seien „eine Gefahr für die Berliner“.