Lockdown in Leicester: So lebt es sich in Englands Corona-Hotspot

Ein Schild an einem Geschäft in der englischen Stadt Leicester.

Ein Schild an einem Geschäft in der englischen Stadt Leicester.

Leicester. An diesem Samstag dürfen in England nach den Läden auch die Gaststätten und Kneipen wieder öffnen. Sogar Kinos, die sich entsprechend vorbereitet haben, nehmen den Betrieb wieder auf. Zwei-Meter-Abstände sind nicht mehr nötig, Freunde und Familien können sich wieder im kleineren Kreise treffen. Zeit, es sich erneut “gut gehen” zu lassen, verkündete letzte Woche Premierminister Boris Johnson der Nation.

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Für eine englische Stadt gibt es allerdings keinen “Super Saturday” (wie die britische Boulevardpresse den 4. Juli getauft hat). In Leicester, auf halbem Weg von London nach Leeds, kommt man auch weiterhin in kein Pub oder Restaurant.

Die Stadt mit ihren 330.000 Einwohnern muss stattdessen mit ansehen, wie sich ihre jüngst erst geöffneten Geschäfte schon wieder schließen. Aller Straßenverkehr soll, wo nicht “unbedingt erforderlich”, erneut unterbleiben. Wie im April und Mai sollen die Leute sich wieder daheim verschanzen. Der Unterricht in den Schulen wird, für fast alle Schüler, wieder eingestellt.

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Enorm hohe Ansteckungsrate

Schockiert sind die Bürger Leicesters gestern zu der Tatsache erwacht, dass der erste “örtliche Lockdown” im Lande ausgerechnet ihre Stadt trifft. Gesundheitsminister Matt Hancock glaubt, “keine andere Wahl” gehabt zu haben in diesem Punkt.

Im Kreis Leicester und in einigen Ortschaften der näheren Umgebung sind in den letzten zwei Wochen fast tausend neue Corona-Fälle registriert worden – was unter Berücksichtigung unaufgedeckter Fälle auf eine dreimal so hohe Zahl schließen lässt.

Allein in der letzten Woche bestritt Leicester 10 Prozent aller Neuansteckungsfälle im Lande. Damit lag die Stadt um ein Mehrfaches über der Ansteckungsrate von drei Dutzend anderen englischen Stadt- und Landkreisen, die zurzeit offenbar einen Neuanstieg an Infektionen verzeichnen.

Sind die Fleischfabriken schuld?

Warum sich das Virus ausgerechnet in Leicester so rasch ausgebreitet hat, wusste Minister Hancock zwar nicht zu sagen. Dem müsse er “erst noch auf den Grund gehen”, meinte er.

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Ortskundige verweisen darauf, dass es auch in Leicester Fleischfabriken gibt. Außerdem verfügt die Stadt über einen der höchsten Anteile an ethnischen Minderheiten im Lande. Vor allem über indische und pakistanische Familien, die oft den ärmsten Teilen der Bevölkerung zugehören und auf engem Raum zusammenleben.

Geklagt haben Ortsansässige auch darüber, dass in den Straßen Leicesters in den letzten Wochen viele junge Leute “eng zusammengestanden” hätten, zum Beispiel vor den Takeaway-Plätzen der Stadt, die zu sozialen Treffpunkten geworden sind.

“Hau den Maulwurf”-Strategie für betroffene Regionen

Dennoch hat der Labour-Bürgermeister der Stadt, Sir Peter Soulsby, seine Zweifel an den Statistiken aus London. Auch in Leicester seien Einweisungen in Kliniken und Todesfälle in letzter Zeit ja “deutlich zurückgegangen”. Nach Ansicht des Bürgermeisters “stimmt da etwas nicht”.

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Ein Pub-Besitzer in der Stadt, Ray Cooper, hat bereits die Frage aufgeworfen, ob an Leicester vielleicht “ein Exempel statuiert werden” solle. Insbesondere wird der Regierung von den Einwohnern Leicesters vorgehalten, viel zu langsam reagiert zu haben auf mögliche Anzeichen von Gefahr.

Schließlich sei man schon volle elf Tage vor dem neuen Lockdown-Entscheid über die brenzlig werdende Lage in Leicester gewarnt worden, klagt Labours Gesundheitssprecher Jonathan Ashworth. Kürzlich noch hatte Premier Johnson erklärt, die Regierung wolle künftig bei Bedarf mit lokalen Lockdowns eine “Hau den Maulwurf”-Strategie verfolgen. Für so eine Strategie sei wohl etwas mehr Tempo vonnöten, befürchtet Ashworth: Sonst werde man “keinen einzigen Maulwurf erwischen” auf diese Art.

Bewohner “vollkommen frustriert”

Tatsächlich verfügt London bisher nur über ein äußerst schwerfälliges Testsystem. Von Privatfirmen beschaffte und zentral gesammelte Daten gehen teilweise mit beträchtlicher zeitlicher Verzögerung an kommunale Stellen weiter. Früh erkennen und bekämpfen lassen sich örtliche Trends mit solchen Mitteln kaum.

Oppositionspolitiker beschuldigen Johnsons Regierung denn auch, groß von “Maulwurfs”-Bekämpfung zu reden, sich aber auf lokale Lockdowns in keiner Weise vorbereitet zu haben. Die Polizei verlangte gestern genauere Anweisungen. Niemandem ist klar, ob zum Beispiel Straßensperren errichtet werden müssen, um den erneuten Lockdown durchzusetzen und zu verhindern, dass jemand auf ein Pint Bier oder zum Haareschneiden in den Nachbarort fährt.

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Zunächst einmal soll der Extra-Lockdown für Leicester zwei Wochen lang gelten, danach kann er aber auch verlängert werden. Viele Bewohner der Stadt ergaben sich gestern notgedrungen in ihr Los. Andere zeigten sich “vollkommen frustriert”. Sie sehen nicht ein, warum sie in den eigenen vier Wänden bleiben sollen, während das übrige England vom Wochenende an ausgeht oder zum Baden an die Küsten rollt.

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