30.000 neue Spuren im Fall Bergisch Gladbach - wie das Kinderporno-Milieu funktioniert

Im Missbrauchs-Milieu gibt es ein Onlinegeflecht aus Sympathisanten, Unterstützern, Gehilfen und Mittätern - die sich in entsprechenden Foren vernetzen.

Im Missbrauchs-Milieu gibt es ein Onlinegeflecht aus Sympathisanten, Unterstützern, Gehilfen und Mittätern - die sich in entsprechenden Foren vernetzen.

Wenn der Missbrauch eines Kindes kein Einzelfall ist, wenn er nicht nur analog stattgefunden hat sondern aufgenommen und digital verbreitet wurde und wenn so auch weitere Menschen am Missbrauch beteiligt sind, dann ist gerne die Rede von einem Ring, einem “Kinderschänder-Ring”, der “ausgehoben” wurde. Neuerdings sprechen Beteiligte immer häufiger von einem “Netzwerk”, das “aufgedeckt” wurde, und das ist im Grunde die präzisere Umschreibung für die Art von Abgrund, der sich sowohl im Missbrauchsfall Münster als auch im Fall Bergisch Gladbach auftut.

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Ein Ring hat keinen Anfang und kein Ende, er ist ein geschlossener Kreis, von dem nichts nach außen tritt, aber in den auch niemand hineinkommt. Doch bei dieser Art von überschaubarem, logisch zusammenhängenden Täterkreis bleibt es in den jüngsten Kindesmissbrauchsfällen vor allem deshalb nicht (mehr), weil sie sich zum allergrößten Teil ins Internet verlagert haben. Dort vereinen sich Gleichgesinnte - ganz egal ob Produzent oder Konsument - zu einem Kinderpornogafie-Netzwerk, das immer weiter wächst.

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Ihre Anfänge sind schwer nachvollziehbar und werden meist an einzelnen Missbrauchstaten festgemacht, die durch Hinweise oder Zufälle entdeckt werden, mal von aufmerksamen Eltern, mal von engagierten Ermittlern. Wie weit diese Taten in digitaler Form reichen, wie groß die Zielgruppe im Darknet und in Messengergruppen ist, die diese Fotos und Videos erreichen, das kann kaum jemand absehen.

30.000 Spuren zu Tatverdächtigen als Zwischenstand

“Wir müssen erkennen, dass Kindesmissbrauch im Netz weiter verbreitet ist, als wir bisher angenommen haben”, erklärte NRW-Justizminister Peter Biesenbach am Montag in einer Pressekonferenz, von der vor allem eine Zahl hängen blieb: 30.000 - so viele Spuren zu neuen Tatverdächtigen gebe es aktuell im Missbrauchsfall Bergisch Gladbach. Und das sei nur der Zwischenstand. 30.000 ist eine Zahl, die in diesem Zusammenhang jede Vorstellungskraft sprengt. Wie viele Tatverdächtige sich aus den neuen Spuren ergeben, sei noch nicht absehbar – oft seien Nutzer mit mehreren Pseudonymen in entsprechenden Foren und Chats unterwegs. Klarnamen und Identitäten zu ermitteln, das sei jetzt Aufgabe der Ermittler.

Die Lage ist nach wie vor dynamisch. Und da überrascht es grundsätzlich nicht, dass die Zahl mutmaßlicher Täter in diesem Missbrauchskomplex weiter steigt, das hatten die Ermittler der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) “Berg” der Kölner Polizei immer wieder vorausgesagt. Noch stünden sie “ganz am Anfang”, hieß es am Montag.

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Eine BAO wird bei besonders komplexen polizeilichen Lagen eingesetzt, etwa nach einem Terroranschlag oder in einem Entführungsfall - und sie arbeitet eigentlich in einem zeitlich begrenztem Rahmen. Ein Ende ist bei den Ermittlungen im Fall Bergisch Gladbach aber auch nach neun Monaten nicht in Sicht. Begonnen hatte der Fall im Herbst 2019 mit der Festnahme eines 43-Jährigen in Bergisch Gladbach. Der Mann soll seine Tochter bereits im Säuglingsalter missbraucht haben und Aufnahmen davon mit etlichen Chatpartnern geteilt haben. Über diesen Fall spürte die Polizei Köln ein Netzwerk von mutmaßlichen Sexualstraftätern auf, das bis nach Österreich und in die Schweiz reicht.

Namentlich identifiziert sind bisher 72 Tatverdächtige in ganz Deutschland. Die Nachricht über 30.000 Spuren zu neuen Tatverdächtigen mag aber auch deshalb merkwürdig klingen, weil einige Beteiligte bereits vor Gericht standen: Im Mai war ein erster Täter - ein 27 Jahre alter Soldat - bereits zu zehn Jahren Haft verurteilt und auf unbestimmte Zeit in der Psychiatrie untergebracht worden. Mehrere Hauptverhandlungen gegen weitere Männer laufen noch derzeit. Die Auswertung der Daten aber wird auch diese Prozesse überdauern - schlicht weil die Menge der sichergestellten Datenträger so enorm ist und auch technisch mitunter hochgesichert.

Onlinegeflecht aus Sympathisanten, Unterstützern, Gehilfen und Mittätern

Gesichtet werden müssen Sticks, Handys oder Festplatten, jedes einzelne Video, jedes einzelne Bild. Alleine auf einem Handy können sich mitunter 130.000 Bilder und 1300 Videos befinden. Eine Person bräuchte 100 Tage zur Überprüfung, wenn sie Tag und Nacht nichts anderes machen würde. Aber wie kommen diese Mengen an kinderpornografischem Material überhaupt zusammen?

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NRW-Justizminister Biesenbach spricht von einer “ganz neuen Dimension des Tatgeschehens”. Die Taten würden nicht nur von Einzeltätern begangen, sondern in einem vernetzten Onlinegeflecht aus Sympathisanten, Unterstützern, Gehilfen und Mittätern. “Die Täter nutzen alle Möglichkeiten, die das Netz ihnen bietet.” Im Fall Bergisch Gladbach waren es mehr als 1800 Mitglieder in einer Chatgruppe, die Videos und Fotos austauschten. Chatgruppen mit mehreren hundert, teils mehreren tausend Nutzern entstehen nicht von heute auf morgen.

Spricht man mit Ermittler, berichten sie von einem Kinderpornografie-System, das im Prinzip auf Geben und Nehmen beruht. Geld fließt demnach so gut wie nie. Wichtiger ist die “Ware” selbst. Teilhaben können in Foren und Chatgruppen nur diejenigen, die der Gruppe auch einen Mehrwert bieten, in diesem Fall “frisches” Material. Das ist nicht zwingend selbst hergestelltes Material, denn, auch das betonen die Ermittler immer wieder, nicht jeder Konsument solcher Inhalte hat auch selbst Missbrauch begangen. Aber natürlich fördere jeder Konsument von Kinderpornografie diesen Markt.

Aus Zauderern im Netz werden mitunter Täter

Auch ein gegenseitiges Anheizen findet laut Ermittlern in solchen Foren unweigerlich statt. So würden aus Zaudernden durch die Tipps Gleichgesinnter mitunter eben auch Täter. Grundsätzlich sei erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit sich Vertreter der Szene zum Teil auch in offen zugänglichen Bereichen des Internets über ihre Taten austauschten, sagte Biesenbach am Montag. Der Kölner Oberstaatsanwalt Markus Hartmann erklärte, es gebe einen “intensiven Resonanzraum”, in dem Teilnehmer andere Personen ausdrücklich dazu aufforderten, Kinder zu missbrauchen, oder ihnen Tipps gäben, wie Jungen und Mädchen mit Beruhigungsmitteln gefügig gemacht werden könnten. Dadurch würden die Hemmschwellen, sich an Kindern zu vergehen, deutlich gesenkt.

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Gerade um die, die bereits Täter sind, geht es nun den Ermittlern der neu geschaffenen Task Force zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch, die Oberstaatsanwalt Hartmann leitet. Die Strafverfolgungsmaßnahmen fänden unter höchstem Zeitdruck statt. Denn in den gesicherten Beweismitteln können sich stets Hinweise auf noch andauernden Kindesmissbrauch verbergen. Diese Hinweise zu erkennen, sie zu sichern und unmittelbar einzuschreiten, sei oberste Maxime.





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