Alaaf trotz Putin

Karneval und Krieg: Sollte man in diesen Zeiten sorglos feiern?

Die Welt im Fleischwolf: Mit Motiven wie diesem wollen die Kölner Karnevalisten den russischen Präsidenten Wladimir Putin kritisieren. Trotz des Krieges in der Ukraine geht der Karneval im Rheinland ohne weitere Einschränkungen in voller Pracht über die Bühne.

Die Welt im Fleischwolf: Mit Motiven wie diesem wollen die Kölner Karnevalisten den russischen Präsidenten Wladimir Putin kritisieren. Trotz des Krieges in der Ukraine geht der Karneval im Rheinland ohne weitere Einschränkungen in voller Pracht über die Bühne.

Aus einer dunklen Wolke aus Pappmaschee erhebt sich das Haupt des russischen Präsidenten: Wladimir Putin bläst einen eiskalten Hauch in Richtung EU. Auf weiteren karnevalistischen Motivwagen ist Putin beim sozialistischen Bruderkuss mit dem Teufel zu sehen oder dreht – als Cartoon-Witzfigur mit dämonischem Nosferatu-Gesicht gestaltet – die Welt durch einen Fleischwolf. Auf einem vierten Wagen schließlich verreckt ein russischer Panzer auf einem ukrainischen Kornfeld, gestoppt von einer grinsenden Sonnenblume.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Karneval, als wäre nichts gewesen

Am Montag werden auch diese vier Motivwagen durch die rheinischen Metropolen Köln und Mainz rollen. Und gewiss wird man sie vor Ort als „frech“ und „bissig“ feiern, als kecke Satire auf die Weltläufe, derweil ringsum die Kamelle fliegen. Das Rheinland – und andere Hochburgen – feiern Karneval, als wäre nichts gewesen: Man singt, man trinkt, man hakt sich unter. Und dass einer der Jecken in Köln sich dieser Tage ungerührt als Soldat in Flecktarn-Uniform verkleidete, mit zwei gekreuzten Patronengürteln über der Brust, in deren Laschen statt Munition kleine Schnapsflaschen steckten, während 2500 Kilometer weiter östlich echten, verzweifelten Soldaten die Munition ausgeht, fällt dann schon gar nicht weiter auf.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Er habe „nichts Besseres gefunden“, sagte der Hobbysoldat in einem Interview. Und jetzt die Hände zum Himmel, und lasst uns fröhlich sein!

Hoch die Tassen: Jecken und Narren strömen in die Kölner Altstadt, um an Weiberfastnacht den Kölner Karneval zu feiern.

Hoch die Tassen: Jecken und Narren strömen in die Kölner Altstadt, um an Weiberfastnacht den Kölner Karneval zu feiern.

Kurze Frage an das Partyvolk: Was ist da los? Vor einem Jahr noch, als der russische Überfall auf die Ukraine am 24. Februar genau auf Weiberfastnacht fiel, gab man sich wenigstens eingeschränkt bedrückt: Der leicht entspektakelte Festzug in Köln etwa ließ sich mit ein bisschen gutem Willen als Friedensdemonstration lesen, auch wenn Twitter sich (zu Recht) darüber entsetzte, dass der Straßenkarneval nicht abgesagt wurde. Man feierte mit gebremstem Schaum. Diesmal dagegen: Hoch die Tassen!

An der Weltlage hat sich seit Februar 2022 wenig verändert. Menschen sterben in einem weiter unerbittlich tobenden, europäischen Krieg. Knapp 50.000 weitere kamen unter den Trümmern des Erdbebens in der Türkei und Syrien um. Die Weltlage bietet massig Anlass, die Angemessenheit einer solchen Megaparty zu hinterfragen. Doch von moralischen Bedenken ist in diesem Jahr außer ein paar zerknirschten Halbsätzen wenig zu hören. Im Gegenteil: Man sieht sich als Kämpfer für die gute Sache. In Mainz heißt das gutmütig gereimte Fastnachtsmotto des Jahres tatsächlich: „In Mainz steht Fastnacht voll und ganz / Für Frieden, Freiheit, Toleranz!“ Tusch!

„Davon hört der Krieg ja nicht auf“

Es sei doch wichtig, dass es Tage gebe, „an denen man mal für einige Stunden abschalten und die Sorgen beiseitelegen kann“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Man müsse doch bitte, so heißt es allenthalben, auch bedenken, dass der Karneval nun lange genug ausgefallen sein. Wobei „lange“ im Konkreten die überschaubare Zeitspanne von zwei Jahren umfasst: 2020 gingt die Sause noch schnell als kollektives Superspreader-Event über die Bühne, 2021 fiel sie aus, 2022 fand Weiberfastnacht unter 2G-plus-Bedingungen statt. Ob wir feiern oder nicht, sagte ein Jeck vor einigen Tagen – „davon hört der Krieg ja nicht auf“. Schöne Grüße nach Cherson.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Jeckinnen und Jecken feiern Startschuss für den Straßenkarneval

An Weiberfastnacht um 11.11 Uhr ist die Session heute in Köln, Mainz, Düsseldorf und anderen Karnevalshochburgen in ihre wichtigste Phase gestartet.

Hätte man absagen sollen? In der 200-jährigen Geschichte des organisierten Frohsinns sind die offiziellen Rosenmontagszüge mehrfach ausgefallen: viermal wegen interner Streitereien Mitte des 19. Jahrhunderts, dann während der Besetzung des Rheinlandes zwischen 1915 und 1926, von 1940 bis 1948 – und 1991 während des Zweiten Golfkrieges. Damals formierte sich in der Kölner City ein unvergessener, von keinem Festkomitee organisierter Friedenszug an Rosenmontag, der zu einer machtvollen, spektakulären Sternstunde der kölschen Volksseele wurde. Der WDR sprach vom „Woodstock der Pappnasen“. Das kann passieren, wenn man dem gesunden Empfinden Raum lässt.

Am Ende führte die Ansage 1991 wegen der Einnahmeausfälle der Spaßindustrie freilich zu einem Kommerzialisierungsschub: der bewussten Entschluss der „Deutsche Fachgruppe Karneval im Verband der Spielwaren-Industrie“ nämlich, Halloween als krisenunabhängigen „Konsumanlass“ zwischen Urlaubssaison und Weihnachtsgeschäft in Deutschland zu etablieren. Seither wird hierzulande mit großem Erfolg zweierlei ausgehöhlt: Kürbisse und hiesige Traditionen.

„Die Jecken schunkeln nicht einfach an den Problemen der Welt vorbei“: Karnevalist Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festkomitee Kölner Karneval, mit Mitgliedern der Prinzengarde bei der Taufe des ersten ICE 3neo auf den Namen "Rheinland" im Kölner Hauptbahnhof am 8. Februar 2023.

„Die Jecken schunkeln nicht einfach an den Problemen der Welt vorbei“: Karnevalist Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festkomitee Kölner Karneval, mit Mitgliedern der Prinzengarde bei der Taufe des ersten ICE 3neo auf den Namen "Rheinland" im Kölner Hauptbahnhof am 8. Februar 2023.

„Gerade die Corona-Zeit hat uns allen gezeigt, wie wichtig es ist, persönliche Nähe und die Gemeinschaft mit anderen Menschen zu erleben“, sagte der Präsident des Festkomitees Kölner Karneval, Christoph Kuckelkorn. „Für uns Narren ist der Zoch mit seinen Persiflagen das wichtigste Instrument, um solche Missstände öffentlich aufzuzeigen und zu kritisieren.“ Da wird Putin aber erzittern, wenn er seiner selbst als überdimensionales Papp-Ekel ansichtig wird.

Ein Pups für Greta Thunberg

Der bekannteste Düsseldorfer Karnevalswagenbauer, Jacques Tilly, ist „der Meinung, dass man in schlechten Zeiten gerade gute subversive Satire braucht“. Da ist dem Mann gewiss beizupflichten. Doch das Motiv des politischen Karnevals ist eben nicht entlarvender Witz, sondern zumeist Plumpheit. Sein stumpfes Werkzeug ist eben nicht die feine Klinge, sondern der Holzhammer. Die kluge Doppelbödigkeit, für die manche die Wagenbauer noch immer feiern, fehlt ihren Werken in Wahrheit fast völlig.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
„Energiewende Mainzer Modell“: Ein Mainzer Motivwagen wird einen Mann zeigen, der Handkäs isst und Greta Thunberg entgegen pupst.

„Energiewende Mainzer Modell“: Ein Mainzer Motivwagen wird einen Mann zeigen, der Handkäs isst und Greta Thunberg entgegen pupst.

Ein Motiv namens „Energiewende Mainzer Modell“ in diesem Jahr etwa wird einen Mainzer mit heruntergelassener Hose zeigen, der Handkäs‘ isst und Greta Thunberg entgegen pupst, die ein Windrad hält. Das ist mit voller Absicht bitter, ordinär, grobschlächtig. Aber ist es auch: gut?

Natürlich – eine Satire, die jedem gefällt, kann keine gute sein. Die Satire ist die scharfsinnige, böse Schwester des Humors. Der Humor, zumal der deutsche, ist ja eher ein gemütlicher, rotbackiger Kumpan, der niemandem wehtun möchte. Die Satire dagegen ist ein fieses, kleines Biest, das immer mal testet, was so ein Land aushält. Aber „die echte Satire ist blutreinigend“, schrieb Kurt Tucholsky 1919 in seinem berühmten Text, aus dem die meisten nur den letzten Satz kennen. Etwas wirklich Blutreinigendes aber ist den rheinischen Bastelarbeiten mit oder ohne Putin nicht abzugewinnen. Für gelungene Satire ist der Tabubruch nur ein Mittel. Für die brachialen Respektlosigkeiten der Rosenmontagszüge dagegen ist er der Zweck selbst. Satire wird unten erdacht und oben erlitten. Ihr Zweck ist die Aufdeckung durch Bloßstellung. Aber wer „da oben“ soll sich getroffen fühlen von Styropor-Putins?

Ein Kriegsverbrecher als lustiger Nosferatu

Wenn Humor der heitere Himmel ist, ist Satire der Blitz. Es ist genau das, was den Karnevalsmotiven, für die vor allem Düsseldorf gerühmt wird, fehlt: das Licht, das mit dem Blitz kommt. Das Erhellende. Denn das reine Brechen von Tabus ist ohne Wert, wenn es weder Witz noch Erkenntnis in sich trägt (und für echten Nonsens zu spießig ist). Satire kann als potentes Vehikel eines selbstbewussten Bürgertums dienen, als nützliches Korrektiv: Wir sind das Volk. Wir beobachten euch. Aber ein Kriegsverbrecher als lustiger Nosferatu?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Bruderkuss mit dem Teufel: Ein Kölner Mottowagen zeigt Russlands Präsidenten Wladimir Putin küssend mit Satan.

Bruderkuss mit dem Teufel: Ein Kölner Mottowagen zeigt Russlands Präsidenten Wladimir Putin küssend mit Satan.

Nun ist der politische Teil des rheinischen Karnevals für nicht karnevalisierbare Beobachter immer noch aushaltbarer als die TV-Sitzungen. Wenn zwangsbeglückte Regionalpolitikerinnen im Sinne der Volksnähe mit Obst auf dem Kopf gliederschmeißend Ekstase simulieren. Wenn angeschossene Reservekasper Witze aus dem Holozän des Humors abfeuern. Wenn vor Bedeutung berstende Humorvorstände Minderjährigen in mortadellafarbenen Strumpfhosen auf die Beine starren. Und wenn diese amtlich zugelassene Kurzzeiteruption dann auch noch überwacht wird von einem Frohsinnskomitee, das aussieht wie der Revolutionsrat der Schweizer Garden, festgefroren in Blitzeis. Dann lieber Tillys Wagen.

Tradition ist mit Sachargumenten nicht beizukommen

Gewiss: Als norddeutscher Faschingsabstinenzler steht man sofort unter Spaßbremsenverdacht, wenn man am Karneval herumkrittelt. Der Aphoristiker Wolfgang Reus hat das mal sehr treffend formuliert: „Fasching ist etwas für die, für die Fasching etwas ist.“ Tradition ist mit Sachargumenten traditionell nicht beizukommen. Da kann man als Niedersachse hundertmal fragen, warum im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wochenlang 70-jährige Biene Majas und rotnasige Scherzkommandanten herumsitzen dürfen, während die ARD weder Klootschießen aus Neuharlingersiel noch das Frauentragen aus Rüdesheim überträgt.

Der Deutsche hat es nun mal gern, wenn seine Schnapslust von einem historisch-traditionellen Fundament untermauert wird. Die „Tagesschau“ wird wie immer ordnungsgemäß den „Rottweiler Narrensprung“ vermelden, Schlipse ab, Schnäpschen, Küsschen – aber dann alle wieder husch husch ans Werk, gell? Wenn man die Klischees bemühen möchte, ist die Wahrheit doch: Rheinländer sind fröhlich – Norddeutsche haben Humor. Fröhlichkeit verhält sich zu Humor wie Hopsen zu Tanzen oder Frittieren zu Kochen. Geht auch, ist aber anders.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Hat auch eine Hilfsorganisation für die Ukraine besucht: das Kölner Dreigestirn der Karneval Session 2023 (v. l.) mit Jungfrau "Agrippina" (Andre Fahnenbruck), Prinz Boris I. (Boris Müller) und Bauer Marco (Marco Schneefeld).

Hat auch eine Hilfsorganisation für die Ukraine besucht: das Kölner Dreigestirn der Karneval Session 2023 (v. l.) mit Jungfrau "Agrippina" (Andre Fahnenbruck), Prinz Boris I. (Boris Müller) und Bauer Marco (Marco Schneefeld).

In diesem Jahr jedoch haben die fröhlichen Bilder aus dem Karneval einen bitteren Beigeschmack. Es ist die Ignoranz gegenüber dem massenhaften Krepieren im Osten. Bei allem Verständnis für die Sehnsucht nach Eskalation und Weltflucht: Es gibt keine vernünftige Begründung, warum der Karneval als Massenereignis ohne jede Rücksichtnahme, ohne ein mächtiges Signal der Solidarität wie gewohnt über die Bühne geht. „Die Kölner Jecken schunkeln nicht einfach an den Problemen der Welt vorbei“, versicherte Karnevalspräsident Kuckelkorn. Faktisch aber ist man seit 1991 der Überzeugung, dass die Partylage mehr nicht von der Kriegslage außerhalb des Bundesgebietes abhängig gemacht werden könne. Es geht immerhin auch, so errechnete das Institut der deutschen Wirtschaft in – jawohl – Köln, um mindestens 1,65 Milliarden Euro Umsatz pro Karnevalssession.

Man habe immerhin, meldete das Kölner Dreigestirn aus Prinz, Bauer und Jungfrau, vor der Riesensause eine Hilfsorganisation für die Ukraine besucht. Na dann ist ja alles prima.

Mehr aus Panorama

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Verwandte Themen

Top Themen

Sonstiges

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken