Infektion zu spät erkannt: Vierjährige stirbt in Kinderklinik – Eltern klagen
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Yasmin starb im Alter von nur vier Jahren in der Rostocker Kinderklinik.
© Quelle: privat
Rostock. In wenigen Tagen – am 15. Februar – hätte Yasmin Geburtstag gehabt. Neun Jahre alt wäre sie geworden. Und ganz sicher hätte sie - das Mädchen mit den kurzen, frechen, blonden Haaren – groß gefeiert. Mit ihren Eltern und ihren Geschwistern. Fünf und drei Jahre alt. Doch Yasmin lebt nicht mehr. 2014 ist sie gestorben. Wenige Monate vor ihrem fünften Geburtstag. Ein Tod, der laut Gutachtern vermeidbar gewesen wäre. Jedenfalls, wenn Ärzte der Rostocker Uni-Klinik Yasmin und ihre Mutter damals nicht nach Hause geschickt hätten. Vier Jahre nach dem Tod des kleinen Mädchens verklagen David und Maria K. nun die Uni-Medizin. Weil sie wollen, dass sich etwas ändert an der größten Klinik des Landes. Und weil sie wollen, dass es endlich eine neue, eine gute Kinderklinik in Rostock gibt. "Wir möchten nicht, dass es anderen Eltern so ergeht wie uns", sagt die Mutter gegenüber der Ostsee-Zeitung.
Kurzes Leben, langes Leiden
Yasmin hat es in ihrem kurzen Leben nie leicht gehabt. Bereits im Alter von einem Jahr wurde unter anderem eine Schädigung der Nieren entdeckt. Im Januar 2014 musste sie wegen eines akuten Harnweginfekts – einer so genannten Urosepsis mit Nierenversagen – in der Uni-Kinderklinik behandelt werden. Am 1. September 2014 schließlich kommt das kleine Mädchen erneut ins Krankenhaus. „Yasmin litt an Epilepsie. Sie hatte in der Kita einen Anfall“, erinnert sich ihre Mutter. Auf der Intensivstation und unter Beobachtung sollen die Medikamente neu eingestellt werden. Eine Woche bekommt Yasmin Infusionen, dann darf sie nach Hause. „Als wir am Freitag entlassen wurden, hatte sie aber Fieber“, so Maria K.. Die Ärzte beruhigen, erinnert sich die Mutter: Alles halb so schlimm.
Doch das Fieber geht nicht weg. Im Gegenteil: Am Sonnabend steigt es auf über 40 Grad. Die Eltern machen sich Sorgen – und fahren mit Yasmin zurück in die Klinik. Dort hat eine junge Kinderärztin Dienst. Sie kennt Yasmin, hatte sie in den Tagen zuvor schon behandelt. „Jeder in der Klinik kannte uns. Und jeder wusste, dass bei Yasmins Krankengeschichte immer die Gefahr bestand, dass sie wieder einen schlimmen Infekt haben könnte.“ Doch die junge Medizinerin schaut bei Yasmin lediglich in den Hals und in die Ohren, stellt Rötungen fest, verschreibt fiebersenkende Mittel und schickt das Kind um 2 Uhr nachts wieder nach Hause. So jedenfalls steht es in der Klage-Schrift, die der Anwalt von Yasmins Eltern verfasst hat. Als Beleg führt er Arztbriefe und ein Gutachten aus dem Mai 2018 an. Kein Bluttest, keine weitergehende Untersuchung. Alles halb so schlimm?
Ein kleiner Keim bringt den Tod
„Ein Oberarzt hat uns später mal gesagt, die Klinik hatte an diesem Abend – dem 6. September 2014 – 20 Fälle von normalen Erkältungen. Wir waren Fall 21“, so Vater David Krause. Und zunächst sieht es so aus, als sollte die Ärztin auch Recht behalten: „Es wurde ein bisschen besser“, erzählt Maria K.. Am Mittwoch darauf bringt Papa David das kleine Geschwisterchen in die Kita, Mama Maria will Yasmin fertig machen. „Als ich sie angefasst habe, bekam sie aber plötzlich Blutblasen im Gesicht.“ Sofort fahren die Eltern in die Klinik. Yasmin wird apathisch, ist kaum noch ansprechbar. Erst jetzt macht die Kinderklinik Bluttests. Yasmins Blut gerinnt nicht mehr. Sie bekommt Antibiotika, Bluttransfusionen und wird ins künstliche Koma versetzt. Doch all das kommt zu spät.
Acht Wochen geht Yasmins Leiden weiter. Die Kinderklinik zieht einen niedergelassenen Kinder-Kardiologen hinzu. Weil sie damals keinen eigenen hatte. Yasmin wird per Hubschrauber in die Berliner Charité verlegt. Dort entdecken die Ärzte Wucherungen an den Herzklappen. „Man hat uns gesagt, die sahen aus wie Blumenkohl“, erzählt Maria. Bakterien – Staphylococcus aureus, möglicherweise ein gegen Antibiotika resistenter Stamm dieser so genannten Klinikkeime – zerfressen ihren kleinen Körper bei lebendigem Leibe. Ausgangspunkt sind wieder die Harnwege. Anfang November 2014 wird Yasmin zurück nach Rostock verlegt. „Ich wollte nicht, dass sie da stirbt. Sie sollte zu Hause in Rostock sein.“ Die Eltern dürfen sich den Tag aussuchen, an dem die Ärzte die lebenserhaltenden Maßnahmen beenden. Am 11. November 2014 stirbt das kleine blonde Mädchen. Es war alles doch nicht halb so schlimm.
Im Krankenhaus infiziert?
„Sie hat sich so gequält“, sagt die Mutter. „Als sie ins Krankenhaus kam, hatte sie keinerlei Wunden. Sie war gesund, hatte keinerlei Blessuren.“ Die Eltern vermuten, dass sich ihre Tochter den Keim in der Kinderklinik zugezogen hat. „Die Reinigungskräfte hatten gerade mal zwei Minuten Zeit pro Zimmer. Wie soll da richtig sauber gemacht werden?“ Einmal fand Maria K. noch am nächsten Tag Brötchenkrümel ihres jüngsten Kindes am Boden. Es war nur unzureichend im Krankenzimmer gereinigt worden. Beweisen können sie das aber nicht.
Was sie aber wissen: „Gutachten belegen, dass die Klinik und die Ärzte gravierende Fehler gemacht haben“, erklärt Sven Rathjens, der Anwalt der Familie. Bei Yasmins Vorgeschichte sei es zwingend erforderlich gewesen, bei derart hohem Fieber einen Blut- oder Urintest zu machen. Die junge Kinderärztin habe in der Nacht des 6. September 2014 gravierende Fehler gemacht. Schon zu diesem Zeitpunkt hätte die schließlich tödliche Infektion entdeckt werden können, zitiert Rathjens aus dem Gutachten im Auftrag einer Krankenkasse. „Durch eine dadurch frühzeitigere antibiotische Behandlung hätte die Sepsis verhindert oder in ihrem Verlauf positiv beeinflusst werden können“, heißt es in der Klage-Schrift, die er OZ vorliegt. Im Klartext: Hätte die Klinik, die um Yasmins Krankengeschichte wusste, sie nicht nach Hause geschickt – möglicherweise würde sie in wenigen Tagen Geburtstag feiern.
Landgericht hat zu entscheiden
Kurz vor Weihnachten haben Yasmins Mama und Papa Klage vor dem Landgericht Rostock eingereicht. Gegen die Unimedizin, gegen die Versicherung der Klinik und die behandelnde Kinderärztin. Vier Jahre haben beide gebraucht, um diesen Schritt zu gehen. Die Ehe der Eltern zerbrach. Die Trauer über den Verlust – „jeder geht damit anders um“, sagt der Vater. „24 Stunden waren wir für die Kinder da. Wir waren keine Menschen mehr. Wir hatten keine Zeit mehr füreinander“, ergänzt die Mutter. Aber für ihre gemeinsamen Kinder halten sie weiter zusammen. Wenn die beiden Yasmins Geschichte erzählen, dann ganz ruhig. Sie haben Tränen in den Augen, aber sie weinen nicht. Sie haben so oft geweint.
Jetzt aber geht es nicht um Trauer. Es geht darum, dass Yasmins Tod einen Sinn hat. So das überhaupt möglich sein kann. 90 000 Euro Schmerzensgeld fordern die Eltern. Das Geld ist ihnen aber nicht wichtig. Es nimmt ihnen nicht das Leid, nicht den Schmerz. „Es geht darum, etwas zu bewegen, etwas an der Uni-Klinik zu bewegen. Damit andere Eltern ihr Kind nicht zu Grabe tragen müssen“, so Maria K.. „Wir haben noch zwei Kinder. Wir alle sind auf die Kinderklinik angewiesen. Es ist die einzige hier. Wir brauchen eine vernünftige Klinik.“ Ein Krankenhaus, in dem Kindern immer und jederzeit die richtige Hilfe zukommt.
Uni sagt Aufklärung zu
Die Unimedizin hält sich zum Fall Yasmin bedeckt. Klinik-Sprecherin Susanne Schimke bestätigt lediglich Folgendes: „Es ist richtig, dass sich das Landgericht Rostock mit einer Klage gegen die Universitätsmedizin Rostock befasst. Wir unterstützen das Gericht umfassend bei der Aufklärung.“ Von der OZ mit den konkreten Anschuldigungen konfrontiert, bittet Schimke um Verständnis: Weitergehende Auskünfte könne die Uni-Medizin mit Blick auf das laufende Verfahren nicht erteilen.
Von Andreas Meyer/RND