Im Energiesparmodus: Das Leben als Selbstversorger

Lina und Steffen Schimmel vor dem reetgedeckten Haupthaus des Hofes. Familie Schimmel versorgt sich selbst, ihre Lebensmittel bauen sie selbst an, Müll vermeiden sie und auf ein Auto verzichten sie.

Lina und Steffen Schimmel vor dem reetgedeckten Haupthaus des Hofes. Familie Schimmel versorgt sich selbst, ihre Lebensmittel bauen sie selbst an, Müll vermeiden sie und auf ein Auto verzichten sie.

Kalkhorst. Dora ist ungeduldig. Sie ist eine Pünktlichkeitsfanatikerin. An diesem Tag im Spätsommer aber wartet sie schon eine halbe Stunde länger als sonst. Deshalb macht sie sich mit ihrer kräftigen Stimme bemerkbar. Die anderen gucken bloß. Dora aber hat Termindruck: Der Euter drückt. Als ihre Bäuerin endlich kommt, über den Haaren ein Kopftuch, in der Hand einen Eimer, entspannt sich die Leitkuh, die auf der Wiese das Sagen hat.

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Wie ein Hund trottet sie hinter Lina Schimmel her. Etwas entfernt folgt das Kalb. Die Kuh mit dem roten Fell gehört einer alten Nutzviehrasse an: Angler Rind. Ihre Milch nährt eine Familie, deren Lebensentwurf ebenfalls aus einem anderen Jahrhundert stammen könnte.

Lina Schimmel melkt ihre Kuh Dora auf einer Wiese.

Lina Schimmel melkt ihre Kuh Dora auf einer Wiese.

Ein selbst gemachter Zaun, ein Haus wie aus dem Freilichtmuseum, eine Scheune aus Holz, Gemüsegarten, Obstwiese, Bienenkörbe, Teich. Mit dem Fahrrad ist man in wenigen Minuten an der Ostsee. Hier, neben dem Lenorenwald im Klützer Winkel, Nordwestmecklenburg, haben die Schimmels einen Selbstversorgerhof aufgebaut.

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Nur über einen Waldweg ist er zu erreichen. „Ich will so wenig wie möglich daran teilhaben, dass diese Welt kaputtgemacht wird“, sagt Lina Schimmel. Sie spricht aus, was im 21. Jahrhundert eine wachsende Zahl von Menschen bewegt. Aber möchte man gleich so radikal umsteuern?

Einfach weiter so?

Nachhaltig zu leben ist heute nicht mehr nur ein Thema für Grünen-Parteitage und Ökofreaks: In Nachbarschaftsportalen wie „nebenan.de“ bauen Großstadtbewohner längst Tauschringe auf. In Facebook- und Meet-up-Gruppen tauschen sich Interessierte darüber aus, wie sich durch Teilen, Selbermachen oder Verzicht wahlweise eine bessere Welt oder ein ruhigeres Gewissen erreichen lässt – je nach Anspruch. Und auf Instagram stellen manche Influencer einen sportlich-nachhaltig-gesunden Lebensstil zur Schau.

Dabei gehe es „viel öfter darum, das Richtige zu kaufen statt mal gar nichts“, schrieb jüngst die „Süddeutsche Zeitung“ kritisch über das Netzphänomen des Nachhaltigkeitshipsters. Doch es führt mit dazu, dass sich Unternehmen verstärkt auf Verbraucher einstellen, die wissen wollen, was genau sie konsumieren und wie es produziert wurde.

Steffen Schimmel bringt mit seinen Pferden „Paul" (r) und „Bert" den Mistwagen zurück auf den Hof.

Steffen Schimmel bringt mit seinen Pferden „Paul" (r) und „Bert" den Mistwagen zurück auf den Hof.

Dahinter steckt eine Frage, die sich angesichts des Klimawandels heute für viele in neuer Dringlichkeit stellt: Welchen Anteil hat der Einzelne – und was könnte ich selbst unternehmen? „Wenn ich mir die Bevölkerung anschaue, erkennen viele an, dass ein Einfach-weiter-so auf Dauer nicht gut gehen kann“, sagt der Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt von der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg.

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Die Schimmels haben daraus Konsequenzen gezogen – und versuchen, ihren sogenannten ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Aber geht das überhaupt im heutigen Deutschland? Welche Kompromisse sind nötig? Und: Könnte ihr Leben Modell stehen für eine bessere, weil schonender mit ihren Ressourcen umgehende Welt?

Schon vor dem Trend da

In der DDR war Steffen Schimmel Forstarbeiter. Als er Ende der 1980er-Jahre das alte Bauernhaus kaufte, in dem sie heute leben, verlief die Grenze, die Deutschland in zwei Staaten teilte, gar nicht weit entfernt. Als die Schimmels nach der Wende zusammenzogen, regierte in Deutschland noch CDU-Kanzler Helmut Kohl. Man kam ohne Netzwerke wie Facebook aus, Klimawandel war nicht das Riesenthema wie heute.

Das Draußensein und die Arbeit mit Tieren zieht Steffen Schimmel bis heute vielem anderen vor. „Ich wollte vor allem mit den Pferden arbeiten“, sagt der 52-Jährige. „Und ich habe mir einen Weg gesucht, wie das geht.“

Lina Schimmel wuchs in Hamburg auf, der zweitgrößten deutschen Stadt, und damit im Westen. Schon der Vater habe die Natur geliebt, sie selbst als Schülerin vom Aussteigen geträumt, wie es manche beim Heranwachsen tun, ohne später daraus Konsequenzen zu ziehen. Bei Freunden lernten sich die beiden kennen.

Lina Schimmel erntet auf dem Hof der Familie Bohnen.

Lina Schimmel erntet auf dem Hof der Familie Bohnen.

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Barfuß läuft Lina Schimmel durch den Gemüsegarten. Hinter einem verwitterten, moosbedeckten Zaun wachsen Kräuter, Obst und Gemüse. An diesem Tag erntet die 43-Jährige Dillsamen für die Saat im nächsten Jahr. Frühling, Sommer, Herbst und Winter: Sie geben den Rhythmus der Familie vor.

Im Frühjahr ziehen Bert und Paul, zwei schwere Kaltblüter, den Pflug durch die Äcker, um die Aussaat vorzubereiten. Im Sommer gehen sie mit dem Miststreuer über die Felder und Blumenwiesen, die den 60 Bienenstämmen als Nahrung dienen.

Ein Rückfalloption für die Welt der Warenströme

Die süße Produktion der Insekten ist eine der Rückfalloptionen, die der Familie erlaubt, auf die andere Welt zuzugreifen – die Welt draußen, die Welt der Warenströme. Außerdem verkaufen die Schimmels Rindfleisch.

Fällt die Ernte einmal nicht so üppig aus oder die Milch bereitet Probleme, können sie zukaufen, was fehlt. Gekäst wird von Hand – „eine Art Gouda“ mache sie meistens, sagt Lina Schimmel, als sie mit einem Messer die Dickete aus Doras Rohmilch schneidet.

Bereits Ende Oktober – einer der wärmsten, den der Deutsche Wetterdienst verzeichnet hat – ist bei den Schimmels alles angerichtet für die kalte Jahreszeit. Nur ein paar Äpfel müssen noch gepflückt werden, ein wenig Lagergemüse muss in den Keller kommen: etwa Rote Bete und Möhren.

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Steffen Schimmel öffnet eine sogenannte Magazinbeute, in der auf dem Hof der Familie Bienenvölker leben. Mit dem Verkauf von Honig und Kerzen aus Bienenwachs wird ein Teil der Einkünfte der fünfköpfigen Familie bestritten.

Steffen Schimmel öffnet eine sogenannte Magazinbeute, in der auf dem Hof der Familie Bienenvölker leben. Mit dem Verkauf von Honig und Kerzen aus Bienenwachs wird ein Teil der Einkünfte der fünfköpfigen Familie bestritten.

Während in vielen Teilen Deutschlands Bauern über Dürrefolgen klagen, herrscht bei den Schimmels Überfluss: Zwei Tonnen Honig haben die Bienen produziert. In normalen Jahren ist es die Hälfte.

Weil es kaum geregnet hat, mussten die Tiere kaum im Stock bleiben. Auch die Böden fielen nicht trocken, weil es im Klützer Winkel oft etwas kühler ist, wie der Imker sagt. Deshalb speichere der Boden das Wasser lange. So habe die Sonne vor allem Wachstum und Blüten gebracht.

Um den Verkauf muss er sich nicht sorgen, weil Deutschland im Honigessen weltklasse ist: 1,1 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Nur ein Fünftel des Bedarfs konnte 2017 ohne Importe gedeckt werden.

Verlorenes Wissen

Steffen Schimmel sitzt am Holztisch vor der Haustür und beißt in ein Brot mit „Immenschiet“, so hat er seinen Honig getauft. Er erzählt von einer Nachbarin, Kriegsgeneration, aufgewachsen auf dem Land. „Was die alles weiß!“, ruft er. „Was die alles gemacht haben.“ Abfall vermeiden, Lebensmittel selbst herstellen. Zu ihren Zeiten war es eine Notwendigkeit. „Es gab keine Möglichkeit, schnell im Laden alles zu kaufen.“

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Im Gespräch mit der Nachbarin merke er, was verloren gegangen sei – Wissen über Pflanzen, die als Hausmittel gegen Krankheiten helfen oder sich anders nutzen lassen: Seifenkraut als Waschmittel, Spitzwegerich gegen Insektenstiche. Auch Lina Schimmel hat sich mit den Jahren viel Wissen über Heilpflanzen und Kräuter angeeignet. Sie verarbeitet die Pflanzen in Tees und Tinkturen.

Auch anderes aus der Natur kommt zum Einsatz: Die Halme des Roggenstrohs werden mit Lehm vermischt, um Wände zu bauen oder das Dach abzudichten. „Die alten Deckenbalken haben Riefen, in die die Lehmwickel genau hineinpassen“, sagt die Bäuerin über das Haus, das vermutlich aus dem frühen 17. Jahrhundert stammt. Es ist eine Bautechnik, die sich sonst eher im Freilichtmuseum beobachten lässt.

Lina Schimmel füttert auf dem Hof der Familie die chinesischen Laufenten mit Entengrütze.

Lina Schimmel füttert auf dem Hof der Familie die chinesischen Laufenten mit Entengrütze.

Als Dora am Morgen endlich gemolken wird, gibt sie ein wohliges „Muh“ von sich. Und sie hält still, bis Lina Schimmel fertig ist. Die Sonne steht noch tief. Das Geräusch des Strahls ist zu hören, der auf den Boden des Milchkanne trifft, abwechselnd aus zwei Euterzitzen, rhythmisch; außerdem ein paar Tierstimmen aus dem Wald.

Die Kühe und anderen Tiere der Schimmels haben mehr als eine Funktion: Sie liefern Milch, Fleisch, Käse. Sie sind Lastenschlepper, Wächter, Schädlingsbekämpfer. Von dem knappen Dutzend Rindern, die auf dem Hof weiden, werden zwei für den eigenen Verbrauch geschlachtet. Sechs bis sieben werden verkauft.

„Das alles schlecht war, ist eigentlich nie passiert“

Ein richtiges Krisenjahr? „Hat es noch nicht gegeben“, sagt Steffen Schimmel, Lina Schimmel bestätigt es. Mal fiel die Honigernte geringer aus, ein anderes Jahr warf das Getreide weniger ab. Zweifel an ihrem Lebensentwurf seien deshalb nie aufgekommen. „Das alles schlecht war, ist eigentlich nie passiert“, sagt er. Am schlimmsten sei es gewesen, als in einem Jahr unerwartet mehrere Tiere starben.

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Einmal stürzte sich ein Greifvogel auf die Laufenten, die den Gemüsegarten von Schnecken befreien. Eine war schwer verletzt. An diesem Tag wurde Lina Schimmel klar, was es heißt, Verantwortung für die Tiere zu tragen: Noch nie hatte sie ein Tier getötet. Nun lag da eines und litt. Sie erlöste die Ente. Später gab es Entenbraten.

Preis der Selbstbestimmtheit

1999 wurde der erste Sohn geboren, 2001 die Tochter, vier Jahre später der jüngste Sohn. Mit dem ersten Kind war es am schwersten, sagt die 43-Jährige. Manchmal fühlte sie sich am Ende ihrer Kräfte: Wenn der Kleine schrie und die Ernte eingebracht werden musste. Auf den nächsten Tag verschieben, freimachen?

In der Stadt mag das gehen, aber nicht, wo Tiere und Pflanzen zu versorgen sind. Sich im Urlaub vom Alltag erholen? Schwer zu machen. „Im Januar waren wir mit Steffens Familie vier Tage in Dänemark. Länger machen wir das ungern.“ Lina Schimmels Mutter hütete den Hof. Unterstützung gab es von einer Nachbarin. Zum Melken kam ein Helfer.

Mit dem Auto zu Freunden und Sportvereinen gebracht werden? Den Kindern ist das fremd. Sie müssen mit dem Fahrrad zur Schule nach Kalkhorst fahren, auch im Winter. Drei Bushaltestellen gibt es in dem Ort. In gewisser Weise sind sie das Tor zur Restwelt, auch wenn ihre Namen kaum danach klingen: Kalkhorst-Dorf, Kalkhorst-Schule, Kalkhorst-Kirche. Ein Auto besitzt die Familie nicht.

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„Manchmal komme ich mir schon komisch vor, hier unten auf meinem Pflug“: Steffen Schimmel lebt das Gegenmodell zur Globalisierung.

„Manchmal komme ich mir schon komisch vor, hier unten auf meinem Pflug“: Steffen Schimmel lebt das Gegenmodell zur Globalisierung.

Manchmal fliegen bei der Feldarbeit Flugzeuge über Steffen Schimmel. Dann schauen oben aus den Fenstern Urlauber, Geschäftsleute und Berufspendler, sehen Landstriche zu geometrisch geformten Parzellen schrumpfen. Von oben ist er mit seinem Gespann höchstens ein winziger Punkt in der Landschaft.

Ihn erinnern die Stahlkolosse mit ihren Insassen an diese andere Art zu leben: die der Arbeitsverträge, des Welthandels und der Globalisierung. „Manchmal komme ich mir dann schon komisch vor, hier unten auf meinem Pflug“, sagt er.

Oder wenn der Nachbar mit dem Trecker den Acker pflügt, „während ich hier langsam Furche um Furche mache“. Andererseits: zwei Meter über dem Boden zu sitzen, dazu das Radio an, so zu arbeiten könne er sich nicht vorstellen. Zu weit entfernt vom Boden sei das, zu distanziert.

Zwischen Massenmodell und Gedankenexperiment

Das Leben der Schimmels ist eines im Energiesparmodus. Fühlt es sich manchmal wie ein Verlust an, wie Verzicht? Lina Schimmel denkt nach. Dann sagt sie: „Als wir das letzte Mal in Berlin waren, da hat Steffen gesagt, er verstehe diese ganzen Leute nicht und was die alle hier machen, also auf eine emotionale Art.“ So getrieben, wie die Menschen in der Großstadt auf den Imker und Bauern wirkten, diesen Eindruck vermitteln die Schimmels an diesem Besuchstag nicht.

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Doch könnte das Leben der Familie ein Massenmodell sein, auch für jene, die heute in der Großstadt leben? Steffen Schimmel winkt ab. „Die, die die Flugzeuge bauen, muss es natürlich auch geben“, sagt er, und all die anderen. Das sei ihm klar. Denn die Moderne beruht auf Arbeitsteilung: Für alle Aufgaben, die zu erfüllen sind, bilden sich Zuständigkeiten und Berufe aus.

Ein Deutschland, in dem eine Mehrheit es wie die Schimmels macht, ist daher vor allem ein Gedankenexperiment. Das zeigt auch eine Art „Thron“, mit rotem Stoff überdeckt, der verloren im Badezimmer steht. Darunter: eine Toilette mit Wasserspülung. Installiert hat sie der älteste Sohn, für seine Freundin, die nicht aufs Plumpsklo der Familie gehen wollte. Enthüllt wird sie nur für Besucher.

Lina Schimmel arbeitet im Garten vor dem Haupthaus an einem Käseprozess. Ihr Mann, Steffen Schimmel beginnt mit dem Mittagessen.

Lina Schimmel arbeitet im Garten vor dem Haupthaus an einem Käseprozess. Ihr Mann, Steffen Schimmel beginnt mit dem Mittagessen.

Andere Teile aus der Welt der Schimmels treffen draußen auf mehr positive Resonanz: Dass die Nachfrage steigt nach „sauberen“ Produkten, einem ruhigen Gewissen, merken sie im Klützer Winkel verstärkt. Seit Kurzem haben die Schimmels nun sogar Internet – denn mit den Bestellungen wurde es langsam etwas unübersichtlich.

Dass es bald viel mehr Menschen den Schimmels gleichtun könnten, glaubt auch Zukunftsforscher Reinhardt nicht. Darüber sagten Trends wie Urban Gardening und bewusster Konsum erst mal wenig: „Es wird eher in einer Generation, zwei Generationen sein, dass sich da wirklich etwas Grundsätzliches verändert“, urteilt er. Schließlich brauche es Zeit dafür und Wissen. Die Schimmels machen jedenfalls den Eindruck, als hätten sie beides.

„Der Klimawandel ist die große Herausforderung“

Ulrich Reinhardt ist Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg. Außerdem arbeitet er als Professor für Empirische Zukunftsforschung am Fachbereich Wirtschaft der FH Westküste in Heide in Schleswig-Holstein.

Ulrich Reinhardt ist Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg. Außerdem arbeitet er als Professor für Empirische Zukunftsforschung am Fachbereich Wirtschaft der FH Westküste in Heide in Schleswig-Holstein.

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Eine Ihrer Umfragen ergab, dass die Hälfte der Menschen Nachhaltigkeit in Zukunft wichtiger findet als Wirtschaftswachstum. Ticken die Politik und die Menschen auf der Straße da ähnlich?

Das eine bedingt das andere. Wenn ich mir die Bevölkerung anschaue, erkennen viele an, dass ein Einfach-weiter-so auf Dauer nicht gut gehen kann. Die Themen Klimawandel und Ressourcensparen sind angekommen. Auf lange Sicht wird die Politik auch die entsprechenden Maßnahmen einleiten, um das Ganze zu unterstützen – vor allem, wenn es sich volkswirtschaftlich niederschlägt. Das erleben wir in den letzten Jahren, ob es nun um Milliardenschäden durch die Hurrikans „Sandy“ und „Katrina“ in den USA geht, um Fukushima, oder, wie jüngst, um Ernteausfälle. Derzeit sind wir davon aber noch relativ weit entfernt.

Auch wenn viele eigentlich wissen, dass unser Verbrauch an Energie und anderen Rohstoffen zu hoch ist: Wo hakt es in der Praxis?

Die tatsächliche Nutzung eines Autos liegt bei unter 5 Prozent, den Rest der Zeit steht es rum. Wenn ich an den Rasenmäher oder die Heckenschere denke, liegt die Nutzungszeit wahrscheinlich noch tiefer. Trotzdem meint jeder, einen Rasenmäher, eine elektrische Heckenschere und ein Auto besitzen zu müssen. In Deutschland sind wir jetzt bereit, den Müll zu trennen oder Standby-Geräte auszuschalten. Aber wenn es an die großen Sachen geht, weniger fliegen, weniger Fleisch essen, vielleicht auch den Verzicht aufs ein oder andere Vollbad, tun wir uns nach wie vor schwer, weil das sonst direkten Einfluss auf unsere Lebensqualität hätte.

Wächst die Bereitschaft, Abstriche zu machen, je weiter wir in die Zukunft gehen?

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Das glaube ich. Es fängt an, wenn Leute sagen: Es muss nicht mehr jedes Jahr eine Flugreise sein oder alle zwei Jahre ein neues Smartphone. Auch die ganze Sharing-Economy (Geschäftsmodelle, die auf dem Prinzip des Teilens basieren; die Red.) wird ja gerade durch die jüngere Generation getrieben. Auch wenn die Jungen im Moment noch ziemlich viel konsumieren. Ob es mehr Carsharing-Angebote geben wird, ob der öffentliche Nahverkehr kostenlos wird, über all das kann man nachdenken. Das wären Steuerungsmechanismen.

Sind weltweite Lösungen denkbar?

Es wäre eine Riesenherausforderung. Es ist auch problematisch, als westliche Industrienation den Indern oder Brasilianern vorschreiben zu wollen: Ihr müsst euch nachhaltiger verhalten und dürft unsere Fehler nicht wiederholen. Das sind ja grundsätzlich erst mal Bedürfnisse der Menschen. Die sagen: Ich möchte aber mobil sein. Zu sagen, es müssen alle auf das elektrische Auto sparen, das ist ja nicht realistisch.

Glauben Sie, dass sich in Zukunft, vielleicht analog zu so einer Bewegung zurück aufs Land, wieder mehr Menschen selbst mit Nahrungsmitteln versorgen werden und wollen?

Sehr begrenzt. Man kann natürlich sagen, dass wieder eine Schrebergartenkultur aufkommt: Urban Gardening, gemeinschaftliches Anbauen und bewirtschaften von irgendwelchen Flächen. Das gibt es schon im Kleinen. Ich glaube, dass es das in Zukunft verstärkt geben wird. Aber wir können das nicht als Massenphänomen betrachten und sagen: In Zukunft baut jeder wieder seine Kartoffeln im Hinterhof an und kann sich selbst damit versorgen.

Zum Schluss, wie steht es um Ihre eigenen Erwartungen?

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Optimistisch, muss ich ganz klar sagen. Es gab in jeder Phase der Geschichte Herausforderungen und Probleme. Die große Herausforderung heute ist der Klimawandel. Früher hat man Lösungen gefunden, ich hoffe, dass es auch diesmal der Fall sein wird. Vielleicht muss es auch irgendwann von oben herab reglementiert werden, per Gesetz, wer was an Ressourcen verbrauchen darf. Das mag alles kommen, aber ich bin mir sicher, als Menschen werden wir die richtigen Schritte einleiten. Das ist ja sozusagen der Kern unseres Daseins, dass wir am Leben bleiben wollen.

Von Oliver Beckhoff

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