„Ich möchte mich nicht zum Schweigen bringen lassen“: Transgenderaktivist Linus Giese im Interview
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Linus Giese hat sich in einem Starbucks am Frankfurter Hauptbahnhof geoutet.
© Quelle: Bob Sala
Linus Giese ist Blogger, Buchhändler – und transgender, kurz: trans. Mit 31 Jahren hat Giese sich geoutet, das war im Oktober 2017. Im RND-Interview berichtet der Aktivist von Hass im Alltag, seinem Coming-out und warum er sich nicht mundtot machen lässt.
Lieber Herr Giese, fast 90 Prozent aller queeren Jugendlichen werden laut einer Studie von 2019 online diskriminiert. Wie genau bemerken Sie als Erwachsener Transfeindlichkeit im Alltag?
Bei mir ist das ganz interessant, ich bemerke Transfeindlichkeit nämlich hauptsächlich online. Das geht schon seit Dezember 2017 so. Ich hatte mich ein paar Monate davor als trans Mann geoutet. Ich habe es auf meinem Blog, Twitter und auf Facebook verkündet und war überrascht, wie positiv und wohlgesonnen die ersten Reaktionen darauf waren. Im Dezember 2017 ging es dann aber los, dass sich Menschen auf Twitter zusammengetan haben.
Was genau haben diese Menschen gemacht?
Die Leute haben Fotos von mir vor meinem Outing sowie meinen alten Namen herausgefunden. Sie haben auch herausgefunden, wo ich arbeite. Damals war das eine Buchhandlung in Berlin. Sie haben mir geschrieben, dass ich mich warm anziehen solle und jemand vorbeikommen könne. Sie haben auch dazu aufgerufen, in dem Buchladen anzurufen und nach meinem alten Namen zu fragen.
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© Quelle: RND
Da hat sich der Hass also nicht nur online, sondern auch offline gezeigt.
Das stimmt. Wenn man vom sogenannten Hass im Netz spricht, finde ich das oft verkürzt. Bei mir findet der Hass nicht nur online statt, sondern auch im analogen Leben. Zum Beispiel hat mein Arbeitgeber eine E-Mail bekommen, worin versucht wurde, mich zu diskreditieren. Es gab auch immer den Versuch, mir im realen Leben zu schaden. Da hat zum Beispiel jemand so getan, als würde er ein Buch für seinen Neffen suchen, der trans sei – und am Ende habe ich gemerkt, der hat das nur vorgespielt. Dann hat mich jemand im Laden mit dem Handy gefilmt, mich mit meinem alten Namen angesprochen und dieses Video auf Twitter hochgeladen.
Sie wurden auch zu Hause belästigt, jemand soll bei Ihnen zuhause geklingelt haben.
Im Oktober 2019 habe ich meine Wohnung auf dem Weg zur Arbeit verlassen, und dann ist mir aufgefallen, dass jemand mein Klingelschild und mein Briefkastenschild mit meinem alten Namen ausgetauscht hat. Zwei Wochen später war ich abends zu Hause, und dann hat es direkt an der Wohnungstür geklingelt. Ich habe durch den Spion geguckt, und dort stand ein Mensch, den ich nicht kannte. Der hielt sich 45 Minuten vor meiner Tür auf und hat geklingelt und geklopft.
Was haben Sie dann gemacht?
Ich habe die Polizei gerufen, aber die ist nicht gekommen, weil die das nicht ernst genommen hat. Dann habe ich Freundinnen und Freunde angerufen. Als sie endlich da waren, ist der Typ auch weg gewesen.
Leben Sie in Angst?
Nach dem Vorfall hatte ich schon Schwierigkeiten damit, in meiner Wohnung zu sein. Ich habe jedoch wenig Alternativen: Ich versuche, keine Angst zu haben und mir mein Leben nicht nehmen zu lassen, weil ich weiter sichtbar sein möchte. Ich möchte mich nicht zum Schweigen bringen lassen. Es ist aber natürlich nicht immer einfach, das auszuhalten.
Sie bloggen: „Es kommt für mich auch nicht in Frage, den Hass zu ignorieren.“ Wie gehen Sie persönlich damit um?
Ich mache seit fast zwei Jahren eine Therapie bei einer auf Hass im Netz spezialisierten Therapeutin. Es hat mir unglaublich viel geholfen, alles besser einzuordnen: dass ich nicht mehr das Gefühl habe, ich mache etwas falsch oder etwas stimmt nicht mit mir. Das Problem ist mein Gegenüber, welches nicht erträgt, dass ich mich als trans Mann im Internet äußere.
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Gibt es rechtliche Konsequenzen für die Verfasser der Hassmitteilungen?
Seit September 2017 zeige ich alles an, aber gerade bei anonymen Hasskommentaren ist es schwer, rechtlich dagegen vorzugehen.
Das klingt nach einem langen und schwierigen Weg.
Von September 2017 bis Sommer 2019 habe ich immer wieder Dinge zur Anzeige gebracht, ohne dass es ein großartiges Interesse gab, dies nachzuverfolgen. Als die Menschen im Buchladen waren, ist auch niemand gekommen, der zum Beispiel die Anrufe zurückverfolgen wollte. Wenn ich im Internet erzähle, was mir passiert, ist eine häufige Reaktion: “Dann zeig das doch an.” Dafür muss es aber erst mal Stellen geben, die an solchen Anzeigen interessiert sind und das auch bestrafen. Der Fall an der Wohnungstür – so was fühlt sich unglaublich bedrohlich an. Als ich bei der Polizei angerufen habe, hat der Polizist gesagt, das sei vielleicht ein Nachbar oder ein Pizzabote. Ich habe mich häufig alleingelassen gefühlt.
Warum wird das Ihrer Meinung nach nicht ernst genommen?
Es fällt der Polizei schwer, Hass im Netz richtig einzuordnen und nachzuverfolgen. Menschen, die im Internet etwas schreiben, können auch im realen Leben handeln. Es gibt da immer wieder Hinweise darauf, wie zum Beispiel bei Walter Lübcke. Aber vieles, was ich als schlimm empfinde, zum Beispiel, mit meinem alten Namen angesprochen zu werden oder als Frau bezeichnet zu werden, ist leider noch keine Straftat. Deswegen ist es schwer, solche Kommentare, zum Beispiel auf Twitter, strafrechtlich zu verfolgen.
Was die Nennung des alten Namens angeht, kritisieren Sie auch oft die Medien. Was läuft Ihrer Meinung nach falsch?
Ich würde mir wünschen, dass häufiger – ich mag den Begriff selbst nicht so gern – Betroffene zu Wort kommen. Ich schreibe auch Artikel, und mir ist es jetzt zweimal passiert, dass ich in Redaktionen ein Thema vorgeschlagen habe, doch am Ende hat das jemand anders, der nicht trans ist, übernommen. Ich wünsche mir auch, dass Phrasen wie “Geschlechtsumwandlung”, “im falschen Körper” oder der Deadname, also der alte Name, nicht mehr verwendet werden. Hier fehlt es an Aufklärung und Sensibilität.
Nun zu Ihrem Coming-out 2017. Das war an einem ungewöhnlichen Ort.
Ich war bei einem Starbucks am Frankfurter Hauptbahnhof und wurde gefragt, welchen Namen der Barista auf den Becher schreiben soll, und ich habe Linus gesagt.
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War das geplant?
Nein, ich hatte in den Wochen und Monaten davor damit gerungen, es war Thema in meinem Leben. Dann kam es über mich, und es hat sich in dem Moment richtig angefühlt. Ich wusste auch erst gar nicht, wie mir geschehen ist. Dann habe ich den Becher auf Facebook und Twitter geteilt und habe mir gewünscht, dass mich die Leute nun Linus nennen.
Wie lange wollten Sie sich bereits outen?
Schon als ich 16 Jahre alt war, habe ich das Tagebuch eines Transmanns gelesen. Damals dachte ich bereits, dass ich das auch möchte. Ich hatte aber nie gedacht, dass das eine Option für mich ist, und auch niemanden, der mir geglaubt hat. Im Sommer 2017 habe ich zum ersten Mal einen anderen trans Mann getroffen, das hat mich unglaublich inspiriert und begeistert. Und dann dachte ich mit 31 Jahren auch: Wenn ich jetzt nichts ändere, wann dann?
Es gibt Beratungs- und Hilfestellen, wie zum Beispiel Trans-Ident e.V. Haben Sie sich Hilfe geholt?
Vor meinem Coming-out nicht. Ich war da noch in Frankfurt, bin dann nach Berlin gezogen und habe mir hier eine Therapeutin gesucht. Ich bin in Berlin zu Queerleben gegangen – die haben eine spezielle Transberatung. Ich wusste, dass ich meinen Namen ändern und Hormone nehmen möchte, aber nicht, wie ich das alles machen sollte.
Sie nehmen seit Februar 2018 Testosteron. Wie funktioniert das genau mit den Hormonen?
Ich brauchte ein Indikationsschreiben meiner Therapeutin, dass ich diese Hormone nehmen darf. Damit musste ich zum Endokrinologen gehen, dort wurde ich durchgecheckt. Bei dem bekomme ich nun alle zwölf Wochen eine Spritze in den Gesäßmuskel. Alternativ gibt es Transmänner, die Hormongel bekommen und sich einmal am Tag eincremen.
Spüren Sie neben den positiven Wirkungen auch starke Nebenwirkungen?
Das ist von Person zu Person sicherlich unterschiedlich. Mein Testosteronspiegel ist im unteren Normbereich. Meine Stimme ist tiefer geworden, meine Körperbehaarung hat zugenommen, meine Brüste sind kleiner geworden und meine Schultern dafür breiter. Ich habe aber auch mit Körperakne und Pickeln im Gesicht zu kämpfen. Das sind Nebenwirkungen – für mich sind die aber gut zu ertragen.
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Wie hat Ihr persönliches Umfeld reagiert?
Meine Freunde haben fast alle durchweg positiv reagiert. Rückblickend gibt es natürlich Freundschaften, die das nicht überstanden haben und wo man sich entfremdet hat. Menschen gehen unterschiedlich mit so etwas um. Manche interessiert es gar nicht sonderlich, die haben meinen neuen Namen respektiert und keine Nachfragen dazu. Dann gibt es aber auch welche, die ein großes Interesse haben, aber auch überfordert sind. Die Menschen, die ich am längsten kenne, hatten die größten Schwierigkeiten. Sich an einen neuen Namen zu gewöhnen und ein neues Pronomen zu benutzen ist immer ein Stück weit eine Umstellung.
Kurz nach Ihrem Outing sind Sie von Frankfurt nach Berlin gezogen. Haben Sie in der Hauptstadt in Sachen Akzeptanz einen Unterschied bemerkt?
Ich war in einem Berliner Buchladen, wo viele alternativ waren und ein bisschen aus der Norm gefallen sind. Ich war dort also einer von vielen. An meinem alten Arbeitsplatz in Frankfurt hatte ich das Gefühl, dass ich alles durcheinanderbringe, weil ich etwas Sonderbares tue. In Berlin ist da vielleicht mehr Akzeptanz.
Aber Sie erleben auch in Berlin Ablehnung, oder?
Im Buchladen in Friedrichshain habe ich mal einen Brief von einer Kundin bekommen. Die hat mich gefragt, warum ich nicht einfach eine Frau mit Kurzhaarschnitt und Herrenkleidung sein kann. Menschen, die so was nicht verstehen können, findet man wahrscheinlich in Berlin und in Frankfurt. In den letzten drei Jahren habe ich unglaublich übergriffige und grenzüberschreitende Menschen erlebt. Und an das Interesse an mir musste ich mich auch erst mal gewöhnen.
Ist dieses Interesse auch Transfeindlichkeit?
Da steckt oft eine internalisierte Transfeindlichkeit in der Gesellschaft hinter. Vielleicht ist es aber auch eine Berührungsangst oder eine erstmalige Ablehnung, weil man sich das nicht vorstellen kann. Mir sind da schon echt seltsame Erlebnisse passiert.
Also noch seltsamer als die E-Mail der fremden Kundin?
Mir ist es tatsächlich häufig passiert, dass Menschen in den Friedrichshainer Buchladen gekommen sind, um mich anzugucken. Ein 16-jähriger Junge ist aus Düsseldorf nach Berlin gefahren, um sich jemanden mit demselben Schicksal anzugucken. Damit war ich dann erst einmal überfordert. Eine Kundin wollte darüber sprechen, warum ich denn mit meinem alten Namen ein Problem habe. Sie habe geheiratet und hätte auch kein Problem mit ihrem alten Namen. Das ist anders als Menschen, die mich mit dem Handy filmen, aber damit musste ich auch erst mal zurechtkommen. Meine frühere Chefin hat sich damals sogar ein Codewort überlegt, um mich aus solchen Situationen zu befreien.
Dann gab es also auch durch Ihren Arbeitgeber Unterstützung?
Ich habe mich im Friedrichshainer Buchladen sehr unterstützt gefühlt. An meiner Arbeitsstelle danach in Kreuzberg habe ich das Gegenteil erlebt. Das hat so geendet, dass ich gekündigt wurde, weil sie Angst wegen der Drohungen hatten. Keine Ahnung, ob das Transfeindlichkeit ist, aber es ist auf jeden Fall unsolidarisch.
Wie schätzen Sie Ihre Zukunft ein, zum Beispiel, was die Liebe angeht?
Ich bin gespannt auf mein Buch, das bald erscheint. Partnersuche ist ein schwieriges Thema. Eine Beziehung als trans Mensch zu finden ist nicht einfach. Oder es liegt an mir? Eine gute Partnerschaft ist auf jeden Fall ein Wunschtraum für meine Zukunft. Ich blicke jedoch auch sorgenvoll in die Zukunft, wenn ich mir die Entwicklungen in Ungarn oder Amerika anschaue. Bei mir ist es eine Mischung. Einmal aus Vorfreude auf mein Buch und private Dinge, aber auch Angst bei der Frage, wie das Leben von trans Menschen um mich herum weitergeht.
Im August erscheint Linus Gieses Buch “Ich bin Linus” im Rowohlt-Verlag.
RND