Homophobie und Sexismus im Gemeindebrief: Pastor bittet um Entschuldigung
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Rapperin Reyhan Sahin alias Lady Bitch Ray (Archivfoto).
© Quelle: Ingo Wagner/dpa
Hildesheim. Mit diskriminierenden Aussagen über homosexuelle und geschlechtsdiverse Menschen und persönlichen Angriffen auf die Rapperin Reyhan Şahin, auch bekannt unter ihrem Künstlernamen Lady Bitch Ray, hat ein Pastor aus Nordstemmen (Landkreises Hildesheim) für Empörung gesorgt. Am Freitag entschuldigt sich Marcus Piehl für die Publikation seines Artikels im aktuellen Gemeindebrief der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde St. Johannis.
Dafür trage er allein die Verantwortung, schreibt Piehl in einer am Freitag veröffentlichten Stellungnahme. „Ich bedauere aufrichtig die Verletzungen und Irritationen, die dieser Artikel ausgelöst hat.“ Bei Rapperin Lady Bitch Ray stößt die Entschuldigung allerdings auf Kritik, und auch in der evangelischen Kirche gehen viele auf Distanz.
Lady Bitch Ray als „Porno-Rapperin“ bezeichnet
Piehl hatte sich in dem Gemeindebrief gegen Geschlechtsdiversität gewandt. Sie sei nicht mit der Schöpfungsordnung vereinbar. Diese sehe keine anderen Geschlechter vor als die von Mann und Frau. Lebensmodelle, die nicht dem klassischen Bild einer Familie mit Mutter, Vater und Kind entsprechen, machte Piehl für psychische Probleme bei Kindern verantwortlich. Zudem berief sich der Geistliche auf den umstrittenen Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera. Kutschera musste sich wegen seiner Unterstellung, Homosexuelle hätten eine Neigung zum sexuellen Missbrauch von Kindern, bereits vor Gericht verantworten.
Lady Bitch Ray bezeichnete der 50-jährige Pastor Piehl als „Porno-Rapperin“, die gegen die „göttliche Ordnung“ verstoße. Den Künstlernamen Sahins übersetzte er mit „Dame Schlampenstrahl“. Aber Gott sei durchaus einer, „mit dem nicht zu spaßen ist“, hatte der Geistliche geschrieben. Der Gemeindeblattartikel wurde schnell vielfach geteilt, auch die angegriffene Rapperin Sahin meldete sich zu Wort und warf dem Pastor vor, „frauenfeindlichen und wissenschaftsfeindlichen Stuss“ von sich zu geben.
Lady Bitch Ray: „frauenfeindlicher und wissenschaftsleugnender Artikel“
Am Freitag ruderte Piehl zurück: „Durch meine Aussagen in dem Beitrag fühlen sich Menschen diskriminiert und verletzt. Ich bitte alle, denen ich in dieser Weise weh getan habe, um Entschuldigung“, schreibt Piehl. Er bereue zudem, in seinem Artikel auf Ulrich Kutschera verwiesen zu haben, „denn ich toleriere unterschiedliche Beziehungs- und Familienformen, in denen Menschen verlässlich zusammenleben und füreinander Verantwortung übernehmen.“
Bei Reyhan Şahin kommt die Stellungnahme allerdings nicht gut an: „Will ja nicht kleinlich sein, aber: Der evangelische Pastor aus Nordstemmen entschuldigt sich für seinen frauenfeindlichen und wissenschaftsleugnenden Artikel bei allem und jede:m, schön und gut, nur mich hat er anscheinend vergessen“, schreibt sie auf ihrem Twitteraccount Lady Bitch Ray.
Kirchenvorstand und Landeskirche distanzierten sich
Die Rapperin ist mit ihrer Kritik nicht allein: Am Donnerstag hatte sich der Kirchenvorstand der Gemeinde zu Piehls Text ebenfalls schriftlich geäußert. „Wir als Kirchenvorstand distanzieren uns in aller Form von dem in Rede stehenden Artikel und seinen Aussagen; diese stehen nach unserer Auffassung in klarem Widerspruch zu unserem Leitbild als Kirchengemeinde. Wir bedauern aufrichtig alle entstandenen Verletzungen“, heißt es in dem Schreiben.
In Bezug darauf erklärte Piehl am Freitag, er teile die Auffassung des Kirchenvorstands, dass in der Kirche alle Menschen ohne Ansehen ihres Geschlechts willkommen sind. Auch habe er keine Beziehung zwischen der Genderthematik und ideologischen Bewegungen des vergangenen Jahrhunderts herstellen wollen. „Ich bitte alle Verantwortlichen in der Kirchengemeinde und alle Gemeindemitglieder in Nordstemmen um Verzeihung für all das, was mein Artikel ausgelöst hat. Ich hoffe sehr, dass wir in Gesprächen einen guten Weg finden, um die Verletzungen zu heilen, die entstanden sind.“
Landeskirche spricht von „grundlegend falschen und gefährlichen Positionen“
Für die hannoversche Landeskirche hatte Sprecher Benjamin Simon-Hinkelmann betont, aus Sicht der Landeskirche enthalte der Gemeindebriefartikel „grundlegend falsche und gefährliche Positionen“. Die Landeskirche setze sich ohne Ausnahme klar gegen jede Form von Diskriminierung ein.
Zu den Akten gelegt werden dürfte der Fall so oder so nicht: Wie die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ (HAZ) berichtet, scheint fraglich, ob der Pastor nach den Zuspitzungen der vergangenen Tage auf Dauer in der Gemeinde haltbar sei. Einige Gemeindemitglieder hätten ihren Kirchenaustritt angedroht oder ihre Kinder aus der Jugendarbeit der Nordstemmer Gemeinde genommen.
RND/epd/seb