Jahrhundertflut im chinesischen Henan: Staatsmedien spielen die Katastrophe herunter
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Autos fahren durch die Fluten in Zhengzhou in der zentralchinesischen Provinz Henan. Die schwersten Regenfälle seit Jahrzehnten haben in der zentralchinesischen Millionenmetropole Zhengzhou massive Überschwemmungen verursacht.
© Quelle: Zhu Xiang/Xinhua/AP/dpa
Peking. Wer die schockierenden Videos auf Chinas sozialen Medien gesehen hat, kann nur darüber staunen, dass die Behörden bislang lediglich zwölf Tote bestätigt haben: Im zentralchinesischen Zhengzhou haben sich die Straßen zu reißenden Fluten verwandelt, ganze Bezirke waren vom Stromnetz abgeschnitten, darunter mindestens auch ein Krankenhaus. Ein Fernzug musste 40 Stunden lang auf mittlerer Strecke anhalten und ohne Nahrungsmittelversorgung für die Passagiere auskommen.
Die tragischsten Szenen jedoch ereigneten sich unter der Erde: Am Dienstagabend fluteten die Rekordniederschläge zunächst eine U-Bahnstation im Nordwesten der Fünf-Millionen-Metropole – und wenig später auch mehrere Züge der erst vor wenigen Jahren errichteten Linie 5. Die Wassermassen reichten den eingeschlossenen Fahrgästen bis zur Brust.
Frau schildert, wie knapp sie mit dem Leben davongekommen ist
Eine Überlebende schildert auf dem sozialen Netzwerk Weibo, wie knapp sie mit dem Leben davongekommen ist: „Das Wasser ist durch die Risse in der Tür reingeströmt. Es war das erste Mal, dass ich mich dem Tod nahe gefühlt habe“, schreibt die Nutzerin. Einige der Passagiere seien aufgrund des Sauerstoffmangels gar ohnmächtig geworden. „Ich habe am Ende nur mehr meiner Mutter eine Nachricht geschickt, dass ich sterben würde“, heißt es in dem Beitrag, der wenige Stunden später von den Zensoren gelöscht wurde.
Ein Rückblick: Seit Samstagnacht kam es in der Provinz Henan zu den größten Niederschlägen seit Aufzeichnung der Wetterstationen. In drei Tagen ist so viel Regen gefallen wie sonst während eines gesamten Jahres. Neben zwölf Toten mussten mindestens 140.000 weitere Personen evakuiert und umgesiedelt werden. Chinas Staatsführer Xi Jinping hat die Fluten „sehr besorgniserregend“ genannt und umgehend das Militär in die Region geschickt. Die Truppen sprengten unter anderem Teile eines umliegenden Dammes, um einen vollständigen Kollaps zu vermeiden.
Überschwemmungen gehören in Teilen Chinas zur Sommerroutine
Überschwemmungen gehören in weiten Teilen Chinas leider zur traurigen Sommerroutine. Auch wenn die Regierung die Flüsse des Landes mit Dämmen und Entwässerungssystemen unter Kontrolle zu bringen versucht, werden die Ausmaße der Unwetter immer monströser: Im letzten Sommer kamen bei Überschwemmungen in China mehrere Hundert Menschen ums Leben. Der Drei-Schluchten-Staudamm – immerhin einer der größten weltweit – hatte noch nie mit einem derart hohen Wasserstand zu kämpfen.
Doch das zentralchinesische Henan zählt eigentlich nicht zu den traditionellen Hochrisikogebieten. Das Flachland ist so etwas wie die Kornkammer der Volksrepublik. Mit fast 100 Millionen Einwohnern zählt die landwirtschaftlich geprägte, wirtschaftlich rückständige Region zu den einwohnerreichsten Chinas. Viele betrachten das Gebiet auch als Wiege der Han-chinesischen Zivilisation.
In Staatsmedien wird historischer Regenfall vor allem mit Taifun erklärt
In den offiziellen Staatsmedien wird der historische Regenfall vor allem mit einem Taifun erklärt, der derzeit von Osten auf die chinesische Küste zusteuert. Laut Angaben der nationalen Wetterbehörde habe der Taifun Luftströme in Richtung Henan gedrückt, die sich in Niederschlägen aufgelöst hätten. Debatten über Folgen des Klimawandels hingegen finden derzeit nur am Rande statt. Dabei liegt es auf der Hand, hinter den extremen Unwettern in diesem Jahr ein System zu erkennen – vom Hitzerekord in Kanada über die Waldbrände in Sibirien bis hin zu den Jahrhundertfluten in Westdeutschland.
Doch die humanitäre Katastrophe in Henan bringt nicht nur die Risiken des Klimawandels ans Tageslicht, sondern auch die Verlogenheit der chinesischen Zensur, die selbst Beiträge von Überlebenden löscht. Die „Renmin Rebao“, Zeitung der Kommunistischen Partei, hat gar die Unwetter auf seiner heutigen Titelseite nicht einmal erwähnt.
Todeszahlen wurden im Fernsehen nur am Rande erwähnt
Am Dienstag beschwerte sich der renommierte Journalistikprofessor Zhan Jiang auf seinem Weibo-Account, warum der lokale Fernsehsender in Henan weiterhin die Seifenopern im Vorabendprogramm übertragen würde, anstatt über die Fluten zu berichten. Das Staatsfernsehen berichtete dann am Mittwoch zwar ausgiebig, jedoch stets mit Fokus auf die angeblich erfolgreichen Bergungsarbeiten. Die Todeszahlen wurden nur am Rande erwähnt, Kritik an den Behörden war nicht einmal im Ansatz zu vernehmen.
Dies ist umso erstaunlicher, als dass ebenjene Staatsmedien noch mit einer Mischung aus Schadenfreude und Zynismus auf die Fluten in Westdeutschland geblickt haben. Oder, wie es der Bloomberg-Journalist Vincent Lee, der lange Jahre in China gelebt hat, pointiert auf seinem Twitter-Account schreibt: „Bestimmte Personen, die im übertragenen Sinne auf den Gräbern der deutschen Opfer tanzten, die letzte Woche während der Überschwemmungen ums Leben kamen, sind nun seltsam still.“
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Zweierlei Maß
Gemeint ist damit wohl vor allem Hu Xijin, Chefredakteur der ultranationalistischen „Global Times“, der davon schrieb, dass sich „vom Gebäudekollaps in Miami bis zu den Fluten in Deutschland der Antihumanismus des Westens manifestiert“ habe. Und wenn sich ähnliche Mängel bei Evakuierungen und Frühwarnungen in China ereignen würden, dann wären die verantwortlichen Regierungsbeamten längst bestraft worden. Die Scheinheiligkeit, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird, ist offensichtlich. Doch bei vielen Chinesen verfangen solche Töne, denn sie haben aufgrund der allumfassenden Zensur keinen Zugang zu freien Informationen.