Vor einem Jahr starb George Floyd: So steht es um Black Lives Matter in Deutschland

„Black Lives Matter“-Aktivistin Robin Dada.

„Black Lives Matter“-Aktivistin Robin Dada.

Die Welt lernte George Floyd nach seinem Tod kennen. Sie lernte ihn kennen, nachdem er neun Minuten lang auf dem Boden lag, das Knie des Polizisten Derek Chauvin in seinem Nacken und auf seinem Rücken um Luft rang. Immer wieder sagte er: „I can‘t breathe“ (Ich kann nicht atmen). Am 25. Mai 2020 wurde der 46-jährige George Floyd in Minneapolis im US‑Bundesstaat Minnesota durch einen Polizisten getötet. Er hinterließ fünf Kinder.

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Videos von Passantinnen und Passanten und einer Securitykamera gingen innerhalb von Stunden um die ganze Welt. Die „Black Lives Matter“-Proteste aus den USA übertrugen sich schnell nach Deutschland. Auch hier gingen Tausende Menschen in den Wochen nach George Floyds gewaltsamen Tod auf den Straße. Doch im Laufe der zwölf Monate ist es ruhiger geworden um die Bewegung.

„Die Demos waren ein Hype“

Am ersten Todestag von George Floyd sitzt die 17‑jährige Robin Dada, Pressesprecherin von Black Lives Matter in München, vor der Webcam. Auch sie hat das Video vor einem Jahr gesehen – und konnte es nicht ganz anschauen. Doch noch schlimmer seien die Kommentare gewesen, die unter dem Video aufgetaucht seien: „Dass George Floyd ja auch Drogen dabei gehabt hätte und er ja auch kriminell sei. Der Staat hat aber nicht das Recht, einen Menschen umzubringen“, sagt sie mit fester Stimme.

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„Das Video hat bei vielen Leute einen Switch ausgelöst, ohne dass das auf einem festen Fundament fußte. Die hatten dann schnell das Interesse verloren, sich aktiv einzusetzen“, sagt Dada. „Die Demos waren ein Hype.“ In München bestehe das „Black Lives Matter“-Kollektiv heute aus etwa fünf Aktivistinnen und Aktivsten, alle unter 25 Jahren. Zehn Personen seien im weiteren Unterstützerkreis.

Deutschland soll Afrika Reparationen zahlen

Trotzdem ist sie heute im Stress: Am Abend findet in München die Demo statt – in Gedenken an George Floyd und an die Nigerianerin Christy Schwundeck, die vor zehn Jahren bei einem Polizeieinsatz in einem Frankfurter Jobcenter getötet wurde. Es gibt noch viel Arbeit, bevor die Demonstrantinnen und Demonstranten am Giesinger Bahnhof losmarschieren können. „Vielleicht kommen heute 1000 Leute, vielleicht auch nur 100“, sagt die 17‑jährige Schülerin.

„In Deutschland hat sich sehr viel getan, was den Zusammenhalt der schwarzen Community und die Organisation des politischen Aktivismus angeht“, sagt Dada. Doch sofort schiebt sie hinterher: Es gebe noch viel zu tun, vor allem auf politischer Ebene.

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Wenn sie drei Wünsche frei hätte, würde sie diese sofort in politische Tatsachen umwandeln: „Ich wünsche mir mehr Aufklärungsarbeit in Sachen Kolonialgeschichte. Außerdem soll sich Deutschland aktiv dafür einsetzen, dass Reparationen an afrikanische Länder gezahlt werden, die noch unter den Folgen der Kolonialisierung leiden. Es muss nicht nur in Deutschland etwas passieren, sondern auch in Afrika. Ich wünsche mir, dass mehr Menschen innerhalb der schwarzen Community aktiv sind und mehr Menschen mit Migrationshintergrund Politik machen.“

Black Lives Matter hat auch den Umgang im Privaten verändert

Während „I Can‘t Breathe“ zum Schlachtruf wurde, Derek Chauvin angeklagt und wegen Mordes für schuldig gesprochen wurde, hat sich auch in Deutschland etwas verändert, im Kleinen, im persönlichen Miteinander. „Gerade außerhalb meines Freundeskreises merke ich, dass Menschen vorsichtiger werden, wenn sie über mich oder mit mir sprechen“, berichtet Robin Dada, die selbst Rassismuserfahrungen gemacht hat.

„Die sagen nicht, ach, Robin, ist das die Schwarze? Sondern: Ist das die mit den Locken?“ Und das findet sie nicht immer gut: „In Situationen, in denen es irrelevant ist, ob ich schwarz bin oder nicht, muss das auch nicht thematisiert werden. Aber manche Nichtschwarze entwickeln einen Helferkomplex und stecken mich dann in eine Opferrolle. Ich möchte aber betrachtet werden wie jeder andere auch.“

Es gibt immer Sorgen, dass Nazis auftauchen, um Krawall zu machen.

Robin Dada

Pressesprecherin von Black Lives Matter

Black Lives Matter besteht in Deutschland aus mehreren Ortsgruppen. Wie in München gibt es solche Gruppen auch in Berlin oder Leipzig. Doch sie sind nicht zentral in einem Dachverband organisiert: Jede Gruppe steht für sich. „Black Lives Matter betrifft jeden oder jede Schwarzen“, so Dada. Mitgliederzahlen gibt es nicht, auch mit der Bewegung in den USA stehen Robin Dada und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter nicht in Kontakt.

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Dass Black Lives Matter auch ohne hierarchisches System global so bedeutsam werden konnte, liegt an Social Media, glaubt Dada. „2005 starb Oury Jalloh in einer Dessauer Gefängniszelle. Wenn es damals Social Media gegeben hätte wie heute, hätte es ebenfalls so große Reaktionen gegeben wie nach dem Tod von George Floyd.“

„Rassismus ist nicht abschaffbar“

Gleichzeitig sei die rassistische Polizeigewalt in den USA nicht gleichzusetzen mit der Polizeigewalt in Deutschland. Im Deutschland­funk sagte Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), dass es hier seit 1990 180 Fälle rassistischer Polizeigewalt gegeben habe, die tödlich endeten. In den USA sind allein im vergangenen Jahr laut Statista 564 nicht weiße Menschen von Polizeikräften erschossen worden. „Außerdem hat der strukturelle Rassismus in den USA durch die Sklaverei eine sehr viel längere Geschichte als in Deutschland“, so Dada.

In London schwebt die 26‑jährige „Black Lives Matter“-Aktivistin Sasha Johnson nach Schüssen am Sonntag in Lebensgefahr. Die Tat soll mit ihrer politischen Arbeit nicht zusammenhängen, dennoch soll die dreifache Mutter Todesdrohungen erhalten haben.

Von Todes­drohungen gegen deutsche Aktivistinnen und Aktivisten hat Robin Dada nichts gehört. „Natürlich gibt es rechte Gruppen, die in den sozialen Medien Stimmung gegen die Bewegung machen“, berichtet sie. Auch bei der Demo am Dienstagabend seien nicht alle sorgenfrei: „Es gibt immer Sorgen, dass Nazis auftauchen, um Krawall zu machen.“

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Robin Dada sagt ganz nüchtern: „Rassismus ist nicht abschaffbar.“ Am Rassismus seien nicht individuelle Polizistinnen oder Polizisten schuld. „Wer noch nicht die Ursache von Rassismus erkannt hat, der weiß auch nicht, wie er zu beseitigen ist.“ Rassismus sei ein Problem des gesamten Systems – und betrifft nicht nur die, die davon betroffen sind.

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