Die gute Nachricht: Langsam wird die Welt gleichberechtigt
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In Bangladesh hängen Arbeiterinnen und Arbeiter gefärbte Tücher zum Trocknen auf. Bangladesch und Island sind die einzigen Länder, in denen Frauen länger als Männer die höchsten politischen Ämter innehatten.
© Quelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com
Da ist sie endlich, die gute Nachricht. Die zeigt, dass nicht die Welt mit all ihren großen Krisen den Bach herunter geht. Die zeigt, dass die Welt grundsätzlich besser wird. Zumindest für Frauen, zumindest etwas, zumindest über eine längere Zeit hinweg. Zu diesem Schluss kommt der Gender Gap Report, auf Deutsch umständlich Geschlechtergleichstellungindex genannt, des Weltwirtschaftsforums. Seit 2006 wertet die Organisation Statistiken zur Gleichberechtigung in den Bereichen Einkommen und Vermögen, Führungspositionen in der Wirtschaft wie in der Politik, Gesundheit und Lebenserwartung sowie Bildung aus. Und siehe da: Die Experten und Expertinnen glauben, dass eine vollkommene Gleichberechtigung global tatsächlich erreicht wird. Allerdings dauert das noch ein bisschen – nämlich genau 131 Jahre.
Einmal vorweg: Es gibt noch viele, viele Länder, in denen es um die Gleichberechtigung nicht gut gestellt ist. Afghanistan beispielsweise ist bei allen Kategorien weit unten in der Liste zu finden, in vielen Fällen sogar auf dem letzten Platz. Und bei allem Fortschritt bleiben auch in diesem Jahr die gläsernen Decken, die beschreiben, dass Frauen zwar arbeiten, aber schwerer in Führungspositionen kommen, intakt. Diesen Schluss ziehen die zumindest die Forschenden des Gender Gap Reports.
Gleichberechtigungsbericht hat weiße Flecken
Auch geben die Forschenden des Weltwirtschaftsforums zu bedenken, dass nicht in allen Fällen die Statistiken überprüft werden können und sie in anderen Fällen nicht absolut vergleichbar sind. Wer den Bericht liest, stellt fest, dass er Gleichberechtigung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten untersucht wird. So werden zwar Punkte wie Einkommen, Bildung oder politische Repräsentation aufgegriffen, aber Indikatoren für eine Gleichberechtigung wie die Aufteilung von Care-Work fehlen. Gleichzeitig wurden Statistiken über sexuelle Übergriffe, häusliche Gewalt und Femizide ausgeschlossen.
Vollständige Geschlechterparität erreichte laut Global Gender Gap Report bisher noch kein Land. Allerdings hätten die neun führenden Länder Island, Norwegen, Finnland, Neuseeland, Schweden, Deutschland, Nicaragua, Namibia und Litauen jeweils mindestens 80 Prozent der Lücke geschlossen. Den Spitzenplatz belege das 14. Jahr in Folge Island mit einem Wert von 91,2 Prozent.
Wir haben uns vier überraschend platzierte Länder aus der langen Liste herausgenommen – und versucht herauszufinden, was wir von ihnen lernen können.
Nicaragua
Nicaragua zeigt als eins der ärmsten Länder in Lateinamerika, dass Gleichberechtigung keineswegs nur ein Privileg reicher Staaten ist. Das mittelamerikanische Land liegt im Gleichstellungsbericht des Weltwirtschaftsforums traditionell weit vorne – obwohl es in diesem Jahr sogar abgerutscht ist, von Platz sechs 2017 auf Platz sieben – einen Platz hinter Deutschland. Was macht Nicaragua richtig? Es hat, ebenso wie in Deutschland, ein hohen Wert der Gleichberechtigung in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Die hohe Platzierung verdankt das Land vor allem dem politischen Engagement von Frauen. Mehr als 50 Prozent der Parlamentsplätze und Ministerposten sind von Frauen belegt.
Am Beispiel von Nicaragua zeigt sich, ähnlich wie in Deutschland, dass zwar in einigen Bereichen eine Gleichberechtigung erreicht wird, aber die Entwicklung auf einem hohen Niveau stagniert. Denn auch in Nicaragua gibt es noch den größten Aufholbedarf bei Frauen in Management-Positionen sowie bei der gleichen Bezahlungen, sprich beim Pay Gap. Diese Lücke hat sich auch in den vergangenen Jahren, in denen Nicaragua regelmäßig unter die Top 10 fällt, nicht geschlossen. Die Wahrscheinlichkeit, extrem arm zu sein, ist bei Frauen gleichzeitig immer noch höher als bei Männern. Außerdem, dieser Wert wird aber nicht mit in dem Bericht des Weltwirtschaftsforum aufgenommen, werden Frauen nach wie vor häufiger als Männer Opfer von Gewalt.
Wo hat die Frauenbewegung in Nicaragua ihren Ursprung? Das große politische Engagement von Frauen in der Politik Nicaraguas ist geschichtlich bedingt. Während der Sandinista Revolution in den 1970er Jahren gegen die Somoza-Diktatur lehnten sich Frauen wie Männer auf. Experten und Expertinnen gehen davon aus, dass 67 Prozent der aktiven Mitglieder Frauen waren. Vor der Revolution unterlagen Themen wie häusliche Gewalt und sexueller Missbrauch einem Tabu. Durch die Revolution wurden die Grundlagen durch wirtschaftliche und politische Anreize für eine moderne Rolle der Frau in der nicaraguanischen Gesellschaft gelegt. Allerdings folgten in den 1980er Jahren eine Gegenrevolution, sodass erst 1990 ein stabiler Frieden möglich war. Ein wirtschaftlicher Aufschwung folgte, in dem Frauen ebenfalls ihren Anteil hatten.
Namibia
Laut des Reports des Weltwirtschaftsforum hat das Land bereits eine Gleichberechtigung von 80,2 Prozent erreicht und erreicht damit Platz 8. In den Bereichen Gesundheit und Bildung ist eine Gleichstellung laut der ausgewerteten Statistiken bereits vollständig erreicht.
Die Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen Dianne Hubbard und Colette Solomon haben sich intensiv mit der Frauenbewegung in Namibia auseinandergesetzt. Sie gehen davon aus, dass die Erfahrungen von Frauen in Namibia sehr abhängig davon sind, wo und in welchem Umfeld sie leben, welchen ethnischen Gruppen und Bevölkerungsschichten sie angehören.
Namibia hat eine gesetzliche Frauenquote, die SWAPO-Regierung hat 2013 eine (South West Afrika People‘s Organisation) eine paritätische Besetzung des Parlaments beschlossen. So sind heute laut Gender Gap Report 44 Prozent der Parlamentssitze von Frauen besetzt, 31 Prozent der Ministerposten sind ebenfalls weiblich besetzt und Saara Kuugongelwa-Amadhila ist seit 2015 Premierministerin. Allerdings haben Frauen im Vergleich zu Männern bei der Verteilung von Einkommen und Besitz das Nachsehen – hier stagnierte die Entwicklung in den vergangenen Jahren – und gerade im Bereich Einkommen und Besitz sind die Werte in den vergangenen Jahren gesunken.
Gleichzeitig arbeiten in Namibia aber mehr Frauen als Männer technischen Berufen – nämlich 56 Prozent von ihnen – und 43 Prozent der Menschen in Führungspositionen sind Frauen, mehr als in Deutschland.
Hubbard und Solomon beschreiben in ihrem Aufsatz in den 1990er Jahren, dass es bereits in den 1960er und 1970er Jahren, eingebettet in den Kampf um Unabhängigkeit, Frauengruppen in der Unabhängigkeitsbewegung gab. Diese Frauengruppen hatten aber nicht als primäres Ziel die Gleichberechtigung, sondern eben die Unabhängigkeit - da diese fundamental die Situation der Frauen verbessern sollte. Tatsächlich war dies auch der Fall: Als Namibia 1990 die Unabhängigkeit von Südafrika erreicht hat, hat das Land in seiner Verfassung die absolute Gleichstellung von Männern und Frauen im Gesetz bereits in der Verfassung verankert. Hubbard und Solomon schreiben, dass nach der Unabhängigkeit „ein Gefühl des Neuaufbaus“ herrschte - hier habe sich auch für Fragen der Gleichberechtigung ein Fenster geöffnet. Die neue Verfassung, ebenso wie die Unterzeichnung der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau 1992, habe die Frauenbewegung mit wichtigen Werkzeugen ausgestattet. In den Folgejahren wurden auch Gesetze verabschiedet, so wie der „Married Persons Equality Act“, der 1996 die bis dahin bestehende Macht eines Mannes über die Frau innerhalb einer Ehe abschaffte.
Ruanda
Das Weltwirtschaftsforum hat Ruanda auf Platz zwölf eingeordnet, fünf Plätze hat das Land zum Vorjahresbericht verloren. Abgerutscht ist das Land im Vergleich zum Vorjahr vor allem aufgrund seiner Ergebnisse bei Einkommen und Wohlstand, hier hat das Land fünf Prozentpunkte verloren. Allerdings liegt Ruanda seit Jahren weit vorn im Gleichstellungsbericht des Weltwirtschaftsforums. Der Ursprung dafür liegt im Trauma des Landes. Während des Genozids an den Tutsi 1994 wurden laut Schätzungen der UN etwa 250.000 bis 500.000 Frauen vergewaltigt, einige Expertinnen und Experten halten diese Zahlen allerdings für zu niedrig. Massenvergewaltigungen waren eines der Mittel in diesem Bürgerkrieg.
Nach dem Ende des Völkermordes wurden Vergewaltigungen zunächst als einfaches Vergehen wie Diebstahl geahndet. Durch das Engagement der Sozialarbeiterin Godeliève Mukasarasi aber wurde dies geändert. Betroffene Frauen trugen ihre traumatisierenden Erfahrungen im Parlament vor – und daraufhin wurde eine Vergewaltigung als schwere Straftat ähnlich einem Mord gewertet. Die geschlechterbezogene Gewalt wurde als zentraler Bestandteil des Konflikts gesehen – und so hat die Gleichberechtigung beim Wiederaufbau des Landes eine zentrale Rolle gespielt.
Heute sind 61,3 Prozent der Abgeordneten im ruandischen Parlament Frauen – 47,62 Prozent der Ministerposten sind an Männer vergeben. Auch werden Frauen für die gleiche Arbeit ähnlich gut wie Männer bezahlt. Allerdings verdienen Frauen im Schnitt noch immer schlechter, weil sie vermehrt schlechter bezahlte Arbeit verrichten. Doch inzwischen gibt es mehr Frauen als Männer, die einen weiterführenden Abschluss absolvieren.
Japan
Japan ist eine der wenigen Industrienationen, die weit unten auf der Liste des Weltwirtschaftsforums stehen – und im Vergleich zur Vorjahresausgabe sogar um neun Plätze auf Platz 125 eingeordnet werden. Dass es nicht reicht, in einigen Bereichen eine vollständige Gleichberechtigung zu erreichen, aber in anderen nicht, zeigt dieses Beispiel. In den Bereichen Bildung und Gesundheit bescheinigt der Bericht Japan eigentlich eine fast vollständige Gleichberechtigung. Doch in der Politik und Wirtschaft wird ein ganz anderes Bild deutlich.
Eine mögliche Erklärung: Japan hat eine der geringsten Werte bei der Gleichberechtigung, wenn es um politisches Empowerment geht. Auch sitzen im japanischen Parlament nur zehn Prozent Frauen, nur 8,3 Prozent der Ministerposten wurden an Frauen vergeben, auch gab es noch nie eine Premierministerin in dem Land. Warum das so ist? Ein Beispiel könnte das Kabinett von Shinzo Abe 2014 sein. Der damalige Premier vergab fünf Posten an Frauen, aber innerhalb von zwei Monaten wurden zwei dazu gebracht ihren Rücktritt einzureichen. Eine Ministerin hatte im Wahlkampf kleine Ventilatoren mit ihrem Bild an Anhängerinnen und Anhänger verteilt, dies wurde in der Öffentlichkeit als Versuch der Bestechung gedeutet.
Laut Report des Weltwirtschaftsforums fehlt es heute generell an Frauen in Schlüsselpositionen in Japan. Nur knapp 13 Prozent der Managementpositionen werden von Frauen bekleidet, nur etwa 54 Prozent der Frauen sind arbeitstätig, dabei erreichen Frauen ähnlich hohe Ausbildungsgrade wie Männer. Japan hat die höchste Pay Gap, also den höchsten Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern, im OECD. In Japan können Väter beispielsweise Elternzeit nehmen – allerdings nehmen diese nur 14 Prozent der Väter wahr. In Medienberichten geben Männer Angst vor einem Karriereknick an – einen den Frauen offensichtlich erfahren.
Drei von vier Frauen in Deutschland sehen keine Gleichberechtigung
Keine Gleichberechtigung von Frauen und Männern: Das empfinden fast drei Viertel der Frauen in Deutschland einer Umfrage zufolge.
© Quelle: dpa
2018 kam durch Medienberichte heraus, dass einige Universitäten gezielt die Eintrittsprüfungen von Frauen und Männern unterschiedlich bewertet haben, um mehr männliche Studierende zu haben. Eine Studie des OECD zeigt, dass etwa 70 Prozent der japanischen Frauen ihren Job kündigen oder aber zehn Jahre nicht wiederkommen, wenn sie ihr erstes Kind bekommen – Care-Work liegt in der Hand der japanischen Frauen. Das traditionelle Rollenbild mit dem Mann als Brotbringer und der Frau zu Hause scheint noch immer vorrangig zu sein. Eine Erklärung könnte die traditionell hohe Bedeutung von Familie in der Gesellschaft sein – allerdings halten auch viele andere Länder die Familie als Gut sehr hoch. So mag es vielleicht auch an der Steuerregelung liegen – so gibt es beispielsweise Rentengarantien und Versicherungsvorteile, wenn einer der beiden Partner nicht oder kaum arbeitet. Dass beide Partner in einer Ehe arbeiten, wird hingegen steuerlich nicht belohnt. Der Arbeitsmarkt ist dazu mit extrem langen Arbeitstagen nicht auf Familien ausgelegt.
Und was lernen wir daraus?
Es gibt noch eine weitere gute Nachricht: Die Welt ist in Sachen Gleichberechtigung wieder auf dem Level von Vorpandemiezeiten. Denn während der Pandemie ging der Index des Weltwirtschaftsforums zur Geschlechtergleichstellung zurück.
Wer nun global auf die Gleichberechtigung schaut, sieht, dass es einige Schritte gibt, die eine Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft sind.
Frauen brauchen eine gute gesundheitliche Versorgung, insbesondere in der Begleitung von Schwangerschaften und Geburten. Dazu braucht es eine Förderung von Frauen an Universitäten - nur dann können sie auch in höher qualifizierte Jobs kommen. Das Weltwirtschaftsforum schreibt, dass die Länder der Top 10 in der Liste es geschafft haben, mehr Frauen in Wirtschaft und Arbeit zu integrieren, insbesondere in Führungsposition und in technisch-mathematischen Berufen. „Dabei sind staatliche Gesetzgebung und Finanzierung von entscheidender Bedeutung“, schlussfolgern die Expertinnen und Experten in dem Bericht. So seien Firmen mit mehr als 25 Mitarbeitenden beim Vorreiter Island verpflichtet nachzuweisen, dass sie gleiche Löhne zahlen.
Gerade das Beispiel Japan zeigt, dass Bildung und gesundheitliche Versorgung sowie genereller Wohlstand nicht automatisch zu einer gleichberechtigten Gesellschaft führt. Denn hier fehlt es, wie der Bericht zeigt, an weiblichem Personal in Schlüsselpositionen und an einem guten Betreuungsmodell für Kinder. Denn dass Frauen nach der Geburt ihrer Kinder nicht wieder gut in die Arbeitswelt integriert werden, würde laut Weltwirtschaftsforum für etwa 80 Prozent des Lohnunterschieds zwischen Frauen und Männern sorgen.