Sie hilft bei Evakuierung von Tieren

Geflüchtete Tierärztin über Lage in Charkiw: „Täglicher Beschuss von Wohngebieten“

Die ukrainische Tierärztin Veronika Herasymenko half Geflüchteten an der polnischen Grenze mit ihren Haustieren.

Die ukrainische Tierärztin Veronika Herasymenko half Geflüchteten an der polnischen Grenze mit ihren Haustieren.

Als Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine startete, flüchtete Veronika Herasymenko aus ihrer Heimatstadt Charkiw und ließ alles zurück. „Wir sind am ersten Tag des Krieges abgereist, weil wir Angst hatten, unter Besatzung zu geraten“, sagt die Ukrainerin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Alle Straßen waren blockiert, Panzer fuhren durch die Stadt, (...) Bomben flogen von allen Seiten.“ Auch das Haus ihrer Mutter sei beschossen worden. Das ist nun fast ein Jahr her.

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Veronika Herasymenko ist Tierärztin, sie war Miteigentümerin und Mitleiterin einer Tierklinik in Charkiw. Doch mit der Flucht ließ sie auch das zurück, zwangsläufig. Ihr Leben habe sich seitdem dramatisch verändert, sagt sie. „Keine vertrauten Dinge mehr, kein Job mehr, den ich liebte, mein Kind hat die Möglichkeit verloren, zur Schule zu gehen und mit Freunden auszugehen. Wir haben unser Zuhause nicht mehr.“

Nach meiner Flucht aus Charkiw sah ich das Leid und die Verzweiflung der Tiere und meiner ukrainischen Mitbürger.

Ukrainische Tierärztin Veronika Herasymenko

Doch statt zu verzweifeln, wollte die 44-Jährige etwas Nützliches machen. „Nach meiner Flucht aus Charkiw sah ich das Leid und die Verzweiflung der Tiere und meiner ukrainischen Mitbürger“, sagt sie. „Und ich überlegte nicht lange – ich musste etwas tun, ich musste helfen.“ Sie sei auf die Organisation International Fund for Animal Welfare (IFAW) gestoßen, die nach Tierärzten suchte, die Geflüchteten an der polnischen Grenze mit ihren Tieren helfen. Diese Chance habe sie ergriffen, auch für sich. „Es war sehr wichtig, etwas zu tun und nicht darüber nachzudenken, was vor sich geht, es half mir, nicht verrückt zu werden“, sagt sie.

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Sie halfen den Tieren – und ihren Besitzern

Am polnischen Bahnhof Przemyśl, wo viele Geflüchtete ankamen, half sie vier Monate lang mit. „Wir haben die Tiere gechipt und geimpft“, erzählt Herasymenko. Zudem hätten sie den Menschen mit den Genehmigungen für die Einreise der Tiere in die Europäische Union geholfen. Aber es ging auch viel um seelische Unterstützung: „Es war sehr schwer, verängstigte Menschen und Tiere zu sehen, die nicht wussten, was sie tun sollten“, sagt die Tierärztin. „Wir mussten mit ihnen reden und versuchen, sie zu beruhigen.“

Veronika Herasymenko (rechts) half an der polnischen Grenze, Haustiere von Geflüchteten zu impfen und chippen.

Veronika Herasymenko (rechts) half an der polnischen Grenze, Haustiere von Geflüchteten zu impfen und chippen.

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Das Ganze machte sie in 24-Stunden-Schichten. Mit einer anderen ukrainischen Tierärztin zusammen behandelte sie mehr als 3300 Tiere in dieser Zeit. Ihre Herkunft machte die beiden zu Vermittlerinnen: „Für die Kommunikation zwischen den ukrainischen Flüchtlingen und den polnischen Behörden war es sehr hilfreich, dass ich Russisch, Ukrainisch und Polnisch konnte“, erzählt sie. Denn die anderen Tierärzte seien alle aus Polen gewesen, einer auch aus England.

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Auch Löwen und Pferde werden evakuiert

Die Organisation schätzte ihre Arbeit – und stellte sie nun fest an. Herasymenko ist jetzt beim IFAW Koordinatorin für Rettungseinsätze in der Ukraine. „Ich bin dem IFAW sehr dankbar für die Möglichkeit, zu arbeiten und zu helfen“, sagt sie. „Es war sehr wichtig für mich, da meine Familie arbeitslos war.“

Während sie an der Grenze vor allem Haustiere wie Hunde und Katzen behandelte, stehen nun auch größere Vierbeiner im Fokus ihrer Arbeit. „Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Evakuierung von Wildtieren aus gefährdeten Gebieten und aus Geisterstädten“, sagt sie und erzählt von einem Beispiel: „Kürzlich wurde ein Löwe aus der Region Sumy evakuiert. Der Löwe kann nicht laufen, ist sehr abgemagert und verängstigt.“ Aber auch erschöpfte und ausgelaugte Pferde seien etwa aus der Region Charkiw evakuiert worden.

Charkiw fast vollständig zurückerobert

Die zu Anfang von den Russen besetzte Stadt Charkiw wurde im Herbst von ukrainischen Streitkräften fast vollständig wieder zurückerobert. Gebannt ist die Gefahr dort aber nicht, erzählt Tierärztin Herasymenko: „Meine Schwester und ihre Familie, meine Tante und einige Freunde leben jetzt in Charkiw. Die Lage in der Stadt ist weiterhin sehr gefährlich“, sagt sie und berichtet von „täglichem Beschuss von Wohngebieten, Zerstörung der Infrastruktur der Stadt, Tötung von Menschen und Tieren“. Sie selbst lebt seit ihrer Flucht in Lwiw, im Westen der Ukraine, nicht weit von der polnischen Grenze entfernt.

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Der Betrieb unserer Klinik lief trotz aller Schwierigkeiten weiter. Bei Beschuss und Luftangriffen, in Zeiten akuter Not, sogar nachts, trotz der Kommandantenstunde.

Veronika Herasymenko über die Tierarztpraxis in Charkiw

Die Klinik, die sie vor dem Krieg mitführte, gibt es noch immer in Charkiw. „Nach dem Ausbruch des Krieges blieben einige Ärzte in Charkiw und sorgten für die notwendige Versorgung der Tiere“, erzählt Herasymenko. Dazu gehöre auch ein Kollege, der bis heute dort arbeite und allen Tieren in Not helfen, auch Heimatlosen ohne Besitzer. „Der Betrieb unserer Klinik lief trotz aller Schwierigkeiten weiter. Bei Beschuss und Luftangriffen, in Zeiten akuter Not, sogar nachts, trotz der Kommandantenstunde.“

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