Faktencheck: Starben wirklich Kinder, weil sie eine Maske trugen?

Ein Schüler einer ersten Grundschulklasse hält im Klassenzimmer einen Mundschutz in den Händen (Symbolbild).

Ein Schüler einer ersten Grundschulklasse hält im Klassenzimmer einen Mundschutz in den Händen (Symbolbild).

Hannover. Immer wieder versuchen Leugner der Corona-Pandemie, Verschwörungstheorien in den sozialen Medien zu initiieren. Beispiele dafür gab es in den vergangenen Monaten zur Genüge. Seit einigen Tagen verbreitet sich nun eine neue Erzählung in den sozialen Netzwerken: Angeblich seien bereits zwei Kinder gestorben, weil sie eine Maske getragen hätten.

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In unzähligen Kommentaren auf Facebook ist das zu lesen, auch in einschlägigen Telegram-Gruppen verbreitet sich die Nachricht. Von Sauerstoffmangel als Todesursache ist da etwa die Rede. Einer der Fälle habe sich in Rheinland-Pfalz ereignet – der andere an einem unbekannten Ort, ebenfalls in Deutschland.

Doch woher kommt die Erzählung? Und was ist tatsächlich dran?

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Der Ursprung der Verschwörungstheorie

Um den Ursprung der Nachricht zu finden, springen wir einige Monate zurück. Denn bereits im Frühjahr, zu Beginn der Corona-Maßnahmen, wird im Netz vor angeblichen Gefahren durch das Tragen von Masken gewarnt – vor allem für Kinder.

In einem Facebook-Post etwa heißt es, dass Kinder den CO₂-Ausstoß unter der Maske “nicht selbst kontrollieren” könnten. “Sie merken nicht, wenn sie zu wenig Luft bekommen. Das CO₂ sammelt sich darunter und ihre kleine Lunge atmet alles wieder ein, was zu Atemlähmung führt”, heißt es in dem Post, in dem jedoch keinerlei Belege für die Behauptung geliefert werden.

Das Portal Mimikama, das sich auf das Widerlegen von Falschmeldungen im Netz spezialisiert hat, ist diesen Behauptungen schon im April nachgegangen. In einem längeren Text berufen sich die Faktenchecker auf Ärzte, Krankenschwestern und die Kinderärztin Dr. Zala Gruber in Wien. Die abschließende Analyse des Portals: “CO₂ ist ein sehr flüchtiges Gas, welches durch eine solche Maske definitiv nicht aufgehalten wird. Steigt die CO₂-Sättigung im Körper, steigt der Atemantrieb. Bei hohen CO₂-Konzentrationen im Körper würden wir Atemnot bekommen und spätestens dann die Maske ablegen.”

Zudem gibt das Portal zu bedenken: “Würde das Behauptete so stimmen, dann würden in den Krankenhäusern (auch bei Normalbetrieb, ohne eine Pandemie) die Ärzte und medizinisches Personal Reihenweise umkippen, denn die tragen diese und ähnliche Masken oft eine ganze Schicht oder bei stundenlangen Operationen, wo auch miteinander gesprochen wird.”

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Schülerin bricht im Bus zusammen

Die Erzählung von der angeblich gefährlichen Maske wabert seither trotzdem weiter durchs Netz. Immerhin: Zu einer großen Verschwörungstheorie entwickelt sie sich nicht. Wohl auch deshalb, weil über Monate hinweg kein einziger Fall bekannt wird, bei dem junge Menschen durch das Tragen einer Maske ernsthaft verletzt oder gestorben wären.

Das ändert sich jedoch, glaubt man den Erzählungen, am 9. September 2020. An diesem Tag melden lokale und überregionale Medien den plötzlichen Tod einer Schülerin im Landkreis Germersheim (Rheinland-Pfalz). Das Mädchen ist mit 32 weiteren Schülerinnen und Schülern mit dem Bus auf dem Weg nach Hause, als es dort plötzlich zusammenbricht. Laut Polizeiangaben versorgen Rettungskräfte das Mädchen umgehend – doch die Schülerin stirbt wenig später im Krankenhaus. Hinweise auf ein strafbares Verhalten gibt es nicht.

Die Nachricht lässt in rechten Kreisen umgehend die Verschwörungsmaschine warmlaufen. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkelmann teilt schließlich ein Foto auf Facebook. Überschrift: “13-Jährige stirbt nach Zusammenbruch im Schulbus. Erstes Todesopfer durch Maske? Wann folgt die Obduktion?” Im dazugehörigen Post schreibt Malsack-Winkelmann dazu: “Schluss mit dem Irrsinn! Verschont wenigstens unsere Kinder, denn sie können sich nicht wehren! Nur noch #AfD!”

Das hat Folgen: Der Post wird rasant geteilt – und das Gerücht, eine Schülerin sei “wegen der Maskenpflicht im Bus” gestorben, entwickelt sich von einer Frage ohne jeglichen Anhaltspunkt zum gefühlten Fakt. Die Regionalzeitung “Rheinpfalz" sieht sich gezwungen, einen Meinungsbeitrag zum Thema zu veröffentlichten. Lokalredakteur Ralf Wittenmeier schreibt darin: “Maskenverweigerer, Verschwörungsfanatiker und andere Querdenker würden es nur zu gern sehen, dass das Tragen der Maske ein Grund dafür war, dass eine 13-Jährige sterben musste. Diese Menschen und diejenigen, die deren Argumente online teilen, haben keinen Anstand.”

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Keine Grundlage für Tod durch Maske

Tatsächlich gibt es bis heute keinerlei Grundlage für die Annahme, die Schülerin sei ausgerechnet wegen ihreres Mund-Nase-Schutzes verstorben. Laut einem Bericht der “Rheinpflaz” vom 11. September liefert eine erste rechtsmedizinische Untersuchung kein eindeutiges Ergebnis zur Todesursache. Am 16. September gibt die Staatsanwaltschaft bekannt, im Fall der verstorbenen Schülerin würden weitere Untersuchungen angeordnet. Dabei werde auch untersucht, ob eventuell Sauerstoffmangel als Ursache möglich ist.

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Auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) erklärt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Landau am Montag, dass nach der durchgeführten Obduktion weiterhin von einer unklaren Todesursache auszugehen sei. “Zur Ermittlung der Todesursache wurden daher weitere rechtsmedizinische Untersuchungen in Auftrag gegeben. Deren Ergebnis liegt noch nicht vor”, heißt es weiter.

Update, 20. Oktober 2020: Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass der Tod der Schülerin nicht im Zusammenhang mit einer Maske steht. Mehr dazu hier.

Das Gerücht, das Mädchen sei aufgrund seines Mund-Nase-Schutzes im Bus gestorben, basiert derzeit also ausschließlich auf dem Facebook-Post einer AfD-Politikerin. Gegenüber dem Portal t-online.de gibt Malsack-Winkelmann kurz nach Veröffentlichung zu, sie habe “nichts behauptet, sondern nur eine Frage gestellt”.

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Arzt spricht von “zweitem Fall”

Doch das Gerücht ist damit nicht aus der Welt – im Gegenteil: Inzwischen verbreitet sich ein weiteres dieser Art. Am 26. September postet der Sinsheimer Arzt Bodo Schiffmann auf seinen Social-Media-Kanälen ein Video, in dem er behauptet, ein weiteres Kind sei aufgrund der Maskenpflicht verstorben. Schiffmann ist in der Szene der Corona-Leugner ein prominenter Sprecher. Schon seit Beginn der Pandemie verbreitet er auf seinen Kanälen, darunter auf Youtube und Bitchute, umstrittene Thesen zu Covid-19.

Die Faktenlage seiner Erzählung ist derweil noch dünner als im ersten Fall. Schiffmann berichtet, er habe eine “Nachricht von einem ärztlichen Kollegen” bekommen. Innerhalb “kurzer Zeit” sei ein zweites Kind gestorben. “Auch dieses Kind ist ohne Vorerkrankung. Es wird gerade obduziert, die Ergebnisse liegen noch nicht vor. Es ist wieder ein Kind, das mit großer Wahrscheinlichkeit dadurch gestorben ist, dass es diese Maske getragen hat. Genau wie das erste Kind, von dem ich mehrfach berichtet habe.” Damit meint Schiffmann den Fall aus Rheinland-Pfalz.

Doch der Arzt hat noch mehr zu berichten. Auch aus “anderen Kliniken” und “von Neurologen” würden ihm Fälle zugetragen, dass immer mehr Kinder unter starken Kopfschmerzen und Konzentrationsschwächen, Übelkeit und Ähnlichem litten. Der angebliche Grund: die Maske. “Ein Vater schrieb mir heute Morgen, dass sein Sohn im Sportunterricht gezwungen wird, eine Maske zu tragen. Und er darf seine Brille nicht tragen, damit diese Maske besser sitzt.” Die Brille habe 6,5 Dioptrien. Das Kind sei ohne Brille blind. Abgesehen davon sei es “Mord”, ein Kind beim Sport eine Maske trage zu lassen, so Schiffmann weiter.

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Toter Junge in Ostfriesland?

Nach den vermeintlichen Erfahrungsberichten setzt Schiffmann zu einer Wutrede gegen die Regierung und die Corona-Maßnahmen an. Bis zum Ende des Videos bleibt er seinen Zuschauern jedoch eines schuldig: Belege zu seinen Behauptungen, insbesondere zum angeblichen Tod eines Kindes.

Auf RND-Anfrage erklärt Schiffmann, bei dem Opfer habe es sich um einen 13-jährigen Jungen aus dem Raum Aurich (Ostfriesland) gehandelt. Er habe die Information aus “vertraulicher” und vor allem “sicherer” Quelle bekommen, sagt er am Telefon. Den Namen könne er jedoch nicht nennen – sonst sei diese ihren Job los. Auch, in welcher Klinik sich der angebliche weitere Fall zugetragen haben soll, weiß der Arzt laut eigenen Angaben nicht. Jedoch seien die Staatsanwaltschaft Aurich und Oldenburg mit dem Fall befasst.

Die Staatsanwaltschaft weiß von nichts

Bei der Staatsanwaltschaft Aurich allerdings weiß man von diesem Fall nichts. Pressesprecher Jan Wilken erklärt auf RND-Anfrage, er habe von einer derartigen Geschichte bislang nichts gehört. Relevant wäre allerdings in diesem Fall der Todesort des vermeintlichen Opfers. Sollte dieser in einem der großen Unfallhäuser der Region gewesen sein, so wäre die Staatsanwaltschaft Oldenburg zuständig.

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Doch auch in Oldenburg hat man von einem solchen Fall noch nichts gehört. “Ein entsprechender Vorfall ist hier bei der Staatsanwaltschaft Oldenburg bislang nicht bekannt geworden”, bestätigt Sprecher Matthias Rennecke auf Anfrage.

Somit bleibt auch der angebliche zweite Fall nichts weiter als ein Mythos. Der Community der Corona-Leugner ist das aber ohnehin nicht so wichtig. Das Gerücht funktioniert schließlich auch so. Unter Facebook-Posts von Medienhäusern, unter Youtube-Videos, in Chatgruppen – überall verbreitet sich seit dem Wochenende die angebliche Nachricht vom Tod “eines weiteren” Kindes. Dass es für beide Fälle gar keine Belege gibt, ist dabei völlig nebensächlich, denn: Es gibt schließlich auch keine echten Gegenbeweise. Und das oberste Ziel von Verschwörungstheorien wurde nebenbei auch erfüllt: Verwirrung stiften, um jeden Preis.

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