Experimente in mehreren Städten: Wird der Nahverkehr jetzt überall kostenlos?
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Nur für die 1. Klasse muss man in Luxemburg ab März noch zahlen.
© Quelle: imago images/photonews.at
Oh, da kommt schon der Bus: Jetzt schnell noch eine Fahrkarte kaufen. Denn ohne Ticket darf man in der Regel nicht mitfahren. Außer man befindet sich in der Innenstadt von Augsburg. Dort ist ab Neujahr der öffentliche Nahverkehr in der Cityzone umsonst. Wer zwischen den neun Haltestellen im Zentrum pendelt, braucht künftig kein Ticket mehr. Um Einnahmen in Höhe von 800.000 Euro, schätzen die Verkehrsbetriebe, wird das Projekt sie bringen.
Aber Augsburg ist nicht die erste Stadt: Im bayerischen Pfaffenhofen fahren die sechs Linienbusse bereits seit einem Jahr, ohne, dass jemand ein Ticket kaufen muss - und zwar nicht nur für die Einwohner der 26.000-Seelen-Kleinstadt bei München, sondern für alle Besucher. In der bayerischen Gemeinde Viechtach gibt es einen kostenlosen Bus: Der Rufbus, der bei Bedarf eingesetzt wird, ist vor allem für Senioren gedacht, die etwa zum Arzt oder ins Krankenhaus müssen.
Monheim am Rhein startet ab April mit Gratisfahrten - aber nur für Einwohner
Als nächste Stadt will Monheim am Rhein mitmischen. Derzeit fahren in der 44.000-Einwohner-Stadt 47 Busse. Spätestens ab April wird - so hat es der Stadtrat bereits entschieden - der ÖPNV kostenfrei für alle Monheimer, Auswärtige brauchen weiterhin ein Ticket. Auch halbieren sich laut "Tagesspiegel" die Kosten für ein Ticket nach Düsseldorf, und ins benachbarte Langenfeld bedarf es keines Tickets mehr.
In mehreren deutschen Städten ist der Nahverkehr immerhin an einigen Tagen im Jahr kostenfrei. In Karlsruhe und Münster waren alle Fahrten an den Adventssamstagen für die Fahrgäste kostenfrei, zusätzlich am Samstag vor dem ersten Advent. An letzterem konnten auch Hannoveraner den ÖNPV nutzen, ohne ein Ticket lösen zu müssen. Üstra-Sprecher Udo Iwannek sagte, der Tag solle wichtige Erkenntnisse für eine Verkehrswende bringen. Eine Viertelmillion Menschen kamen laut "Hannoversche Allgemeine Zeitung" in die Stadt, es gab kein Verkehrschaos, allerdings sei unklar, ob die Aktion wiederholt werde.
Einen ersten Test gab es übrigens schon vor mehr als 20 Jahren: 1998 führte die Stadt Templin in Brandenburg Gratisfahrten ein. Da allerdings so viele Menschen auf die Busse umstiegen, dass weitere Fahrzeuge angeschafft und eingesetzt werden mussten, wurde das Projekt fünf Jahre später beendet.
Luxemburg setzt als erstes Land komplett auf kostenfreien Nahverkehr
Das erste Land, das komplett auf einen kostenfreien ÖPNV setzt, ist Luxemburg. Vom 1. März 2020 an braucht dort keiner mehr Fahrkarten für Busse und Bahnen. Nur die 1. Klasse der Bahn bleibt kostenpflichtig. Fahrkartenschalter werden geschlossen, Kontrolleure bekommen neue Service-Aufgaben. "Das steht uns einfach gut zu Gesicht und trägt enorm zum Image und zur Attraktivität Luxemburgs bei", sagt der liberale Premierminister Xavier Bettel zum Gratis-Nahverkehr.
Die freie Fahrt im zweitkleinsten EU-Land mit gut 600.000 Einwohnern und 2586 Quadratkilometern Fläche ist aber nur der besonders öffentlichkeitswirksame Teil eines größeren Bemühens um eine Verkehrswende. Denn Luxemburg platzt aus allen Nähten. Großes Wirtschaftswachstum schafft auch Probleme - nicht nur auf einem völlig überhitzten Immobilien- und Wohnungsmarkt, der viele Bürger auf der Suche nach einem bezahlbaren Obdach über die Landesgrenzen hinaus in die Nachbarländer treibt.
In 20 Jahren hat die Bevölkerung um gut ein Drittel zugenommen, die Hälfte der Bürger sind Ausländer. Zusätzlich pendeln noch rund 200.000 Menschen aus Frankreich, Belgien und Deutschland täglich zur Arbeit nach Luxemburg: Ein Anstieg um 140 Prozent gegenüber dem Jahr 2000. Morgens und abends herrscht Stau allerorten. Grenzenlos.
Die staatlichen Mehrausgaben für die Gratisfahrten liegen bei etwa 41 Millionen Euro
Mobilitätsminister François Bausch von den Luxemburger Grünen hat wiederholt gesagt, er erwarte nicht, dass alleine wegen der Kostenfreiheit viele Autofahrer auf den öffentlichen Verkehr umsteigen werden. Die Kostenfreiheit sei ein "Sahnehäubchen auf einer umfassenden multimodalen Verkehrsstrategie" - die den Nahverkehr so attraktiv machen will, dass die Menschen das ÖPNV-Angebot auch zuverlässig nutzen können.
Da der Steuerzahler des vergleichsweise reichen Großherzogtums schon bisher 90 Prozent der Kosten für die öffentlichen Verkehrsmittel von 491 Millionen Euro getragen hatte, bedeutet der komplette Gratis-Verzicht "nur" noch Mehrausgaben des Staates von 41 Millionen Euro.
Seit sich die von Premier Bettel geführte Dreierkoalition mit Grünen und Sozialdemokraten für ein neues, nachhaltiges Verkehrskonzept namens "Modu 2.0" entschieden hat, nimmt sie viel Geld in die Hand. Die Investitionen in die Mobilität steigen laut Plan von 501 Millionen Euro in 2018 auf 806 Millionen Euro im Jahr 2021. Die Hauptstadt - auf, neben und unter zerklüfteten Felsen gelegen - wird immer mehr mit einer hochmodernen Straßenbahn erschlossen. Im engen Stadtzentrum funktioniert sie ohne Oberleitung mit Batterie.
RND/msk/dpa