Tanzende Hippies auf Corona-Demos: Was will die Esoterikszene?
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Die Großdemonstration gegen die Corona-Auflagen am 1. August in Stuttgart.
© Quelle: imago images/Stefan Zeitz
Berlin. Seit Wochen und Monaten gehen in Deutschland Demonstranten gegen die Corona-Einschränkungen auf die Straße – zuletzt vor allem unter dem Motto “Querdenken” in Städten wie Berlin, Stuttgart oder Hamburg.
Was Beobachter dieser Veranstaltungen bis heute erstaunt, ist die Mischung der Teilnehmer. Denn die ist ungewöhnlich bunt: Hier stehen Impfgegner neben brüllenden Rechtsextremisten, hier protestieren Verschwörungstheoretiker neben alternativ gekleideten Esoterikern. Oftmals wird dieser ungewöhnliche Zusammenschluss als “Querfront” von Rechten und Linken bezeichnet.
Vor allem die Gruppe der sogenannten Esoteriker rückte zuletzt immer mal wieder in den Fokus von Fernsehreportagen. In Beiträgen ist zu sehen, wie Demoteilnehmer auf der Bühne oder am Straßenrand von der “Liebe” singen und auf Trommeln herumklopfen – während auf derselben Demonstration Kamerateams von Rechtsextremen angepöbelt und Journalisten bedrängt werden.
Wer sind diese Leute? Und was treibt sie an? Marius Hellwig ist freier Mitarbeiter der Amadeu Antonio Stiftung zu den Themen völkischer Rechtsextremismus und rechte Esoterik. Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erklärt er, was hinter der alternativen “Esoterikszene” steckt – und welche Schnittmenge es zum Rechtsextremismus gibt.
Herr Hellwig, könnten Sie die “Esoterikszene” einmal beschreiben? Was sind das für Leute und welche Ideen haben sie?
Marius Hellwig: Die Esoterik ist kein klar abgrenzbares Feld. Schon der Begriff der “Esoterik” ist nicht eindeutig definiert, die Grenzen zur “Mystik”, “Spiritualität” oder auch zum “Aberglauben” sind fließend, genau wie jene zwischen esoterischen Lehren, Sekten und Neuen Religionen. Für die Mehrheit der Menschen, für die Esoterik eine große Bedeutung in ihrem Leben hat, stehen Themen wie Achtsamkeit, Besinnung und die Suche nach einem Sinn, der im Außen liegt, im Vordergrund. Ich halte es für sinnvoll, sämtliche Phänomene kritisch zu begleiten, bei denen sich Menschen bewusst auf ein irrationales Denken einlassen, ihr Leben einem vermeintlich determinierten Schicksal unterordnen.
Wenn wir den Esoterikbegriff weit fassen, beinhaltet er auch Phänomene wie Horoskope und Sternzeichen, Glücksbringer und Engelkult, Wahrsagerei und Tarot, Hexerei und Schamanismus, New Age und Kabbala, biologisch-dynamische Landwirtschaft und die Anthroposophie Rudolf Steiners – also ein sehr weites Feld irrealer, oder zumindest wissenschaftlich umstrittener bis nicht belegbarer Erscheinungen. Selbstverständlich gehört nicht jeder Mensch, der einer dieser Ideen anhängt, zu einer tatsächlichen Szene, vielmehr unterscheidet sich die Anhänger*innenschaft danach, wie stark sie organisiert sind, wie gefestigt ihr esoterisches Weltbild ist und wie sehr sie ihr Leben nach diesen Lehren ausrichten.
Marius Hellwig ist freier Mitarbeiter der Amadeu Antonio Stiftung zu den Themen völkischer Rechtsextremismus und rechte Esoterik.
© Quelle: Privat
Halten Sie die Bewegung denn für gefährlich?
Hellwig: Ich halte es für bedenklich, wenn, wie es aktuell den Anschein hat, die Zahl der Menschen, die sich esoterischen Ideen verschreiben, wächst, und glaube, dass uns dieses Phänomen als Gesellschaft interessieren sollte. Hier scheint ein Potenzial an Menschen zu bestehen, das für rationale Argumente nicht mehr zugänglich ist. Es scheint ein menschliches Bedürfnis zu sein, nach Sicherheit und Souveränität zu streben. Dieses Bedürfnis wird durch Krisenerscheinungen herausgefordert, welche oft mit einem eigenen Kontrollverlust und einer Verunsicherung einhergehen.
Verschwörungserzählungen bieten ein Angebot an, dieses Gefühl der eigenen Ohnmacht gegenüber einer Welt, die man nicht mehr versteht, zu überkommen, indem man sich einfachen Erklärungen und klaren, dualistischen Weltbildern und Freund-Feind-Schemata unterwirft. Anhand dieser neuen, vereindeutlichten Kategorien kann die Welt neu geordnet werden und die und der Einzelne sich innerhalb einer gleich denkenden Gemeinschaft resouveränisieren. Politisch gesehen stellt sich hier zudem ein Defizit da, welches darin besteht, dass Politik und Bildungsinstanzen es offenkundig nicht geschafft haben, diesen Menschen Alternativen aufzuzeigen und ihnen Instrumente an die Hand zu geben, ihre Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen zu artikulieren und einen Wunsch nach progressiver Veränderung entstehen zu lassen.
Bei den Corona-Demos gehen Esoteriker mit Rechtsextremen gemeinsam demonstrieren. Wo sind da die Schnittmengen? Warum verstehen die sich so gut?
Hellwig: Rechte Esoterik weist in Deutschland eine lange Tradition auf, die wohl durch führende Nationalsozialisten wie Heinrich Himmler oder Alfred Rosenberg ihren Höhepunkt erlebte, jedoch noch weitaus weiter zurückreicht, beispielsweise zu den Vertretern der Ariosophie. Die Grundidee dieser Verbindung aus Esoterik und Rassenlehre war die Annahme, dass jede “Rasse” einen eigenen Zugang zum spirituellen Aufstieg habe und “die Arier” am weitesten fortgeschritten seien.
Besonders für völkisch-rechtsextreme Gruppierungen wie die Artamanen oder die Ludendorffer haben solche Theorien auch heute noch eine große Bedeutung. Rechtsextremismus, Verschwörungsideologien und esoterische Lehren bedienen zudem beim Menschen oft ähnliche Bedürfnisse. Sie liefern einfach zugängliche Erklärungen für (zu) komplizierte Sachverhalte, bieten Identifikation mit anderen Gruppenangehörigen und sorgen für vermeintliche Sicherheit und Stabilität innerhalb des Systems. Daher sind vor allem Menschen, die sich in ihrem Leben auf einer Sinnsuche befinden sowie Krisen und Enttäuschungen erlebt haben, anfällig für diese Narrative.
Welche antisemitischen und rechtsextremen Ideen gibt es innerhalb der Esoterikszene?
Hellwig: Sie zeigen sich besonders deutlich, wenn Bestandteile der esoterischen Heilsuche in reaktionäre Bereiche kippen: Wenn eine Rückbesinnung auf “das Natürliche” mit der Verteufelung der urbanen Moderne einhergeht, wenn die Suche nach spiritueller “Reinheit” mit sexfeindlichen und rassistischen Positionen verbunden wird oder wenn eine vermeintliche “Erleuchtung” darauf beruht, die Welt in klare Dualismen zu ordnen: Gut-Böse, Hell-Dunkel, Freund-Feind. Letzteres lässt sich leicht mit den gängigen aktuellen Verschwörungserzählungen verbinden, welche in der Regel antisemitische Züge tragen.
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© Quelle: RND/Matthias Schwarzer
Haben Sie die Corona-Demos näher beobachtet? Können Sie erklären, welche esoterischen Ideen da propagiert werden?
Hellwig: Bei der Berichterstattung über die Demos scheint die Wahrnehmung vorzuherrschen, dass sich dort vereinzelt Rechtsextreme unter eine esoterische Demonstration gemischt haben. Man muss hier ganz deutlich sagen, dass es eine große Schnittmenge zwischen diesen Milieus gibt und die offen rechtsextrem auftretenden Personen auch vom Rest der Demonstrant*innen zugelassen wurden. Dies lässt sich beispielsweise an der Präsenz des “Volkslehrers” Nikolai Nerlings auf zahlreichen Demos festmachen, welcher wiederholt den Holocaust geleugnet hat und wegen Volksverhetzung verurteilt wurde.
Im Kontext von Corona lässt sich die klassische esoterische Sicht auf Krankheiten finden, nämlich die Annahme, dass es überhaupt keine Virenerkrankungen gäbe, sondern Krankheiten in erster Linie Ausdruck von inneren Konflikten oder schlechten Gedanken seien. Mit dieser Denkweise wird selbst Patient*innen von chronischen oder unheilbaren Krankheiten auf zynische Weise die Schuld an ihrer Erkrankung gegeben und deren Lösung außerhalb einer medizinischen Therapie verordnet.
Das Coronavirus selbst ist für viele Demonstrant*innen jedoch nur nebensächlich, es dient vor allem als eine weitere Folie und ein aktueller Anlass, um die gängigen Verschwörungserzählungen darzulegen: das Volk, das von einer eigensinnigen Elite belogen und betrogen wird; der deutsche Staat, der nicht souverän ist und fremdregiert wird; überall Zensur, Einschränkung der Grundrechte, Diktatur. Auch klassische esoterische Themen wie ein vermeintlicher Impfzwang oder Genmanipulation, welche zur Kontrolle des Volkes eingesetzt werden würden, lassen sich auf den Demos finden.
Der Erfolg dieser Demos erklärt sich auch darin, dass es geschafft wurde, bereits bestehende Bewegungen zu integrieren, so lassen sich hier unter anderem auch Impfgegner*innen, die bereits eine drohende Impfpflicht gegen das Coronavirus imaginieren, genauso finden wie Anhänger*innen der neuen QAnon-Bewegung, welche in Deutschland vor allem durch Xavier Naidoo an Aufmerksamkeit gewonnen hat und behauptet, eine internationale Elite würde Kinder entführen, prostituieren und ihnen ein Stoffwechselprodukt entnehmen, um daraus eine Droge herzustellen, die ewige Jugend verleihen würde. In der Phase des weitgehenden Lockdowns hat diese Verschwörungserzählung stark an Popularität gewonnen.
Auf diesen Demos wird aber ja auch viel gesungen, getanzt und von “Liebe” gesprochen. Was wollen die Teilnehmer damit ausdrücken?
Hellwig: Mit Praktiken des friedlichen Protestes und harmlosen Schlagworten möchten die Veranstalter*innen das Bild der Gewaltfreiheit aufrechterhalten und von den deutlichen radikalen und gefährlichen Positionen und der rechten Ideologie mancher Demoteilnehmer*innen ablenken. Der offen zur Schau gestellte Antisemitismus, NS- und Holocaustrelativierungen und Übergriffe auf Journalist*innen aus der Demo heraus sprechen derweil eine deutlich andere Sprache.
Auf den Demos sind Sprechchöre wie “Liebe Frieden Freiheit” zu hören, die nächste große Mobilisierung nach Berlin für den für den 29. August erfolgt unter dem Label “Fest des Friedens und der Freiheit”, für die große Demonstration am 1. August “entwarf” Heiko Schrang sein “Zeichen der Wahrheit” – etwas uninspiriert griff er dabei mit dem eingekreisten Punkt auf ein vielfach benutztes Symbol zurück, das mit der Sonne und in heliozentrischen Religionen mit Göttlichkeit assoziiert wird. Der Vorteil dieser Begriffe liegt zunächst vor allem in ihrer eindeutig positiven Konnotation: für Liebe, Wahrheit und Frieden sind wir alle. Gleichzeitig sind diese Begriffe wahnsinnig unkonkret und laden den oder die Einzelne*n dazu ein, sie individuell mit Sinn zu füllen.
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Viele der Demonstrierenden halten es zum Beispiel für ihre Freiheit, keinen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, ich hingegen fühle mich in meiner persönlichen Freiheit eingeschränkt, wenn mir auf der Straße jemand ohne Maske zu nahe kommt. Mit diesen Allgemeinplätzen erhoffen sich die Organisator*innen der Demos also, einen möglichst großen Teil der Bevölkerung anzusprechen und mobilisieren zu können. Dabei soll gleichzeitig darüber hinweggetäuscht werden, dass es überhaupt keine inhaltlichen Positionen, geschweige denn politischen Forderungen gibt, auf die man sich einigen könnte, die über ein “Weg mit der Maske” hinausgehen. Das wird in Gesprächen mit Demoteilnehmer*innen schnell deutlich: Die einen sagen, das Virus gäbe es gar nicht, die nächsten, es sei nur eine harmlose Grippe und wieder andere sagen, Bill Gates habe es erfunden, um die Weltbevölkerung zu dezimieren.
Viele Corona-Demonstranten informieren sich aus alternativen Medien und über verschwörungstheoretische Youtube-Kanäle. Hat die Esoterikszene auch solche Medien?
Hellwig: Viele Anhänger*innen der Esoterikszene haben sich von den “klassischen” Medien abgewendet und konsumieren stattdessen verschwörungsideologische und/oder rechts-offene Medien wie die NachDenkSeiten, das Compact-Magazin, RT Deutsch, KenFM, die Epoch Times und PI News. Auch die Social-Media-Präsenzen und hier besonders die Youtube- und Telegram-Kanäle von bekannten Akteur*innen der Szene wie Oliver Janich, Attila Hildmann, Xavier Naidoo oder Eva Herman spielen eine große Rolle. Zum Thema Corona erfahren auch die Videos der Ärzte Wolfgang Wodarg oder Bodo Schiffmann große Aufmerksamkeit.
Rechts-esoterische Inhalte verbreiten vor allem Heiko Schrang über seinen Youtube-Kanal Schrang TV, kla.tv der Sekte Organischen Christus-Generation (OCG) sowie NuoViso.TV. Der spirituelle Gehalt dieser Videos ist oftmals sehr gering, vielmehr werden floskelhaft Allgemeinplätze bedient sowie abstruse Verschwörungsideologien dargelegt.
Ich vermute, die Esoterik dürfte auch ein lukratives Geschäftsmodell sein, oder? Ich denke da etwa an den Verkauf von Büchern.
Hellwig: Mit esoterischen Produkten lässt sich gutes Geld verdienen. In Deutschland wird der Umsatz der Branche auf unglaubliche 15 bis 20 Milliarden Euro geschätzt. Es ist eine erkennbare Marketingstrategie esoterischer Anbieter*innen, immer neue Produkte wie Steine, Figuren, Öle und vieles mehr auf den Markt zu werfen, die mit einer übersinnlichen Kraft aufgeladen sein sollen und dadurch zu einem Vielfachen ihres Materialwerts angeboten werden. Dazu kommt die schier unendliche Literatur von esoterischen Ratgebern und Romanen. Dieses reichhaltige Produktangebot passt hervorragend zum sehr neoliberal daherkommenden Konzept der spirituellen Selbstoptimierung.