Türkei: Hunderte Haftbefehle nach Gebäudeeinstürzen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/6E6S3V5A2BDHDNUVZDS2PTWIPM.jpeg)
Anwohner in Antakya gehen durch die Trümmer ihrer Häuser. Noch immer werden Tausende Opfer unter den Trümmern vermutet.
© Quelle: Boris Roessler/dpa
Istanbul. Eine knappe Woche nach den verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet haben die türkischen Behörden mit den Ermittlungen begonnen. Nach offiziellen Angaben ermitteln die Staatsanwaltschaften inzwischen gegen mehr als 130 Menschen, die dafür verantwortlich sein sollen, dass Gebäude eingestürzt sind. Gegen mehr als 100 wurde bereits Haftbefehl erlassen.
+++ Alle Entwicklungen nach den schweren Erdbeben in der Türkei und in Syrien im Liveblog +++
Der türkische Vizepräsident Fuat Oktay hatte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in der Nacht zu Sonntag gesagt, die Staatsanwaltschaften hätten auf Anweisung des Justizministeriums in zehn Provinzen, die von den Erdbeben betroffen waren, Abteilungen für die Untersuchung von Verbrechen im Zusammenhang mit den Erdbeben eingerichtet. Diese sollten Bauunternehmer und andere Verantwortliche ermitteln, Beweise sammeln, Architekten, Geologen und Ingenieure beauftragen sowie Bau- und Nutzungsgenehmigungen prüfen.
Betonsäulen wurden entfernt, um Räume zu vergrößern
Im Süden der Türkei sind mindestens 14 Menschen wegen mutmaßlicher Fahrlässigkeit festgenommen worden. Haftbefehle seien auch gegen 33 Menschen in der Stadt Diyarbakir ergangen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Samstag unter Berufung auf Strafverfolger. Sie sollen für etwaige Bauschäden verantwortlich sein, die den Einsturz der Gebäude begünstigten, wie etwa das Entfernen von Betonsäulen.
Am Sonntag wurden in der Provinz Gaziantep zwei Menschen festgenommen, die im Verdacht standen, in einem Gebäude Säulen entfernt zu haben, um zusätzlichen Raum zu gewinnen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete.
Seuchengefahr in Katastrophenregion wächst
In den Regionen, wo Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, drohen irgendwann Seuchen, sagt ein erdbebenerfahrener Mediziner.
© Quelle: Reuters
Die Staatsanwaltschaft in Adana ermittelt laut Anadolu ebenfalls wegen möglicher Baumängel bei eingestürzten Gebäuden. Im Rahmen dieser Ermittlungen seien bisher 62 Haftbefehle erlassen worden, hieß es.
Bauunternehmer versuchen Flucht ins Ausland
Zwei der Gesuchten wurden den Angaben zufolge am Flughafen von Istanbul gefasst. Einer der Männer hatte in Antakya ein zwölfstöckiges Luxusgebäude errichtet, das bei dem Beben zusammenbrach und eine unbekannte Zahl Menschen tötete. Er soll versucht haben, mit Bargeld nach Montenegro auszureisen und sitze inzwischen in Untersuchungshaft, teilte Anadolu mit.
Ein weiterer Unternehmer, der für die Bauleitung zahlreicher eingestürzter Gebäude in Adiyaman verantwortlich gewesen sein soll, sei mit seiner Ehefrau am Istanbuler Flughafen gefasst worden, meldete die Nachrichtenagentur DHA am Sonntag. Die beiden hätten sich mit einer großen Menge Bargeld nach Georgien absetzen wollen.
Neun weitere Menschen wurden demnach in den Städten Sanliurfa und Osmaniye verhaftet.
Auf dem Papier schreiben die türkischen Bauvorschriften erdbebensichere Gebäude vor, doch werden diese viel zu selten durchgesetzt. Experten und Einwohner sagten, dies sei ein Grund, warum bei den Erdstößen der Stärke 7,8 am Montag Tausende Häuser schlicht umkippten oder zusammenstürzen und die Menschen darin unter sich begruben.
Mehr als 7500 Gebäude sind dabei allein in der Türkei eingestürzt. Die Zahl der Toten ist am Sonntag auf mehr als 28.000 gestiegen. In der Türkei sind laut den Behörden mindestens 24.617 Menschen ums Leben gekommen.
Opposition sieht Präsident Erdogan in der Verantwortung
Die Festnahmen könnten Präsident Recep Tayyip Erdogan helfen, den Zorn der Betroffener und Hinterbliebener auf Bauunternehmer und örtliche Beamte zu lenken. Viele kritisieren, dass die Rettungsarbeiten nur schleppend angelaufen seien. Erdogan führte dies auf das gewaltige Ausmaß der Schäden zurück und nannte des Erdbeben, die Katastrophe des Jahrhunderts.
Die Opposition sieht auch Präsident Recep Tayyip Erdogan in der Verantwortung und wirft ihm vor, es in seiner 20-jährigen Regierungszeit versäumt zu haben, das Land auf ein solches Beben vorzubereiten.
RND/dpa/AP