Kriminologen erklären: Wie ermittelt die Polizei gegen sich selbst?
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Aus Neutralitätsgründen ermittelt nun die Recklinghäuser Polizei in dem Fall des von einem Polizisten getöteten 16-Jährigen in Dortmund. Wie läuft ein innerpolizeiliches Ermittlungsverfahren ab, und wie könnte es reformiert werden?
© Quelle: imago images/NurPhoto
Einen Tag nach dem tragischen Tod eines 16-Jährigen in Dortmund, der am Montag mit fünf Treffern aus dem Maschinengewehr eines Polizisten erschossen wurde, geht ein Tweet des Soziologen Aladin El-Mafaalani viral, der seit 2019 an der Universität Osnabrück lehrt.
El-Mafaalani kritisiert darin die innerpolizeilichen Ermittlungen und fordert ein neues Vorgehen: „Dortmund: Schwarzer Jugendlicher stirbt mit 5 Treffer am ganzen Körper. 11 Polizisten anwesend. Aus Neutralitätsgründen ermittelt Polizei Recklinghausen. Ein Tag zuvor stirbt in Recklinghausen ein Mann bei Polizeieinsatz. Aus Neutralitätsgründen ermittelt Polizei Dortmund. Das ist nicht ‚neutral‘ und schon gar nicht vertrauensfördernd.“
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Laut dem zuständigen Oberstaatsanwalt Carsten Dombert sei es ein übliches Vorgehen in Deutschland, dass bei dem Verdacht einer Straftat, die von Polizeibeamten begangen worden ist, eine andere Dienststelle ermittelt.
Doch wie genau laufen die innerpolizeilichen Ermittlungen im Fall Dortmund nun ab? Und wie sinnvoll ist es, dass Polizisten gegen ihre eigenen Kollegen ermitteln? Wo stößt dieses Vorgehen an seine Grenzen?
Der renommierte Hamburger Polizeiforscher Rafael Behr weiß aus langjähriger Erfahrung: „Interne Ermittlungen laufen meistens so, dass die Polizisten möglichst schonend behandelt werden. In der Vergangenheit sind da schon Beweismittel verschwunden, oder sie werden nicht gewürdigt“, sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Interne Ermittlungen laufen meistens so, dass die Polizisten möglichst schonend behandelt werden.
Rafael Behr,
Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg
Polizeibeamte würden vor Gericht meist wohlwollender behandelt als andere. „Und wenn jemand verurteilt wird, dann meistens so, dass er seine berufliche Existenz nicht verliert.“ Die sei nämlich dann gefährdet, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens zwölf Monaten verhängt werde. „Dann verliert der Beamte automatisch seine Bezüge und wird aus dem Dienst entlassen“, so Behr zum RND.
Wie laufen die Ermittlungen ab?
Die innerpolizeilichen Ermittlungen würden sich grundsätzlich nicht von üblichen Tötungsdelikten, in denen kein Polizist beteiligt ist, unterscheiden, so Behr. „Das ist ganz normale Ermittlungsarbeit, die jetzt stattfindet. Die Recklinghäuser werden nun nach Dortmund fahren und die elf Kollegen als Zeugen und den Beschuldigten vernehmen.“
Es komme nun darauf an, mit welchem Nachdruck das Recklinghäuser Personal ermittelt und ob sie erkennen, wenn es abgestimmte Aussagen gibt. „Wenn das passiert, könnte daraus ein Skandal werden“, sagt Behr.
Polizei ist eine in sich geschlossene Institution
Auch der Kriminologe Thomas Feltes, langjähriger Professor für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, weiß: „Wenn Sie gegen einen Kollegen aussagen, haben Sie natürlich massive Repressalien zu befürchten. Das gehört sich nicht, die Polizei ist eine in sich geschlossene Institution, in der man im täglichen Geschäft aufeinander angewiesen ist.“ Diese Abhängigkeiten sorgten dann dafür, dass in der Regel nicht offen und klar ausgesagt wird. „Jeder weiß Dinge von anderen, die er gegen sie verwenden könnte“, so Feltes gegenüber dem RND.
Dass die Recklinghäuser nun einen Dortmunder Fall ermitteln und umgekehrt, hält Feltes für unglücklich. „Das hätte in meinen Augen anders gelöst werden sollen.“ Polizeiforscher Behr fügt hinzu: „Die Leute kennen sich untereinander, die Grenzen sind fließend. In der Regel duzen sich die Polizisten auch, sie müssen jetzt Zeugen vernehmen, die Kollegen sind.“
Beide Polizeiwissenschaftler fordern mehr Distanz bei innerpolizeilichen Ermittlungen. Zwar gäbe es bereits unabhängige Beschwerdestellen. „Dort werden die Ermittlungen aber nicht sofort durchgeführt, sondern erst Monate später und oft erst, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren schon wieder eingestellt hat“, erklärt Feltes.
Jeder weiß Dinge von anderen, die er gegen sie verwenden könnte.
Prof. Dr. Thomas Feltes,
ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum
Laut Feltes brauche es eine unabhängige Ermittlungsstelle – auch in Deutschland. „Die gibt es zum Beispiel in Portugal. Da werden alle polizeilichen Fehlverhalten durch eine spezielle Stelle im Ministerium sofort untersucht.“ Die habe dann auch die kompletten Ermittlungskompetenzen. „Einschließlich Telefonüberwachung und allem, was dazugehört. Das haben wir nicht in Deutschland und werden wir auch nie kriegen“, so Feltes.
Bremen als Vorbild
Am sinnvollsten erachtet Feltes das Bremer Vorgehen: „Dort werden solche Fälle sofort zum Innensenator hochgezogen und von dort auch die Ermittlungen geleitet. In ganz Deutschland sollte sich sofort das Landeskriminalamt einschalten und die Ermittlungen den jeweiligen regionalen Polizeibehörden aus den Händen nehmen.“
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